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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Unser Reichskanzler.

graphen Moritz Busch gehäuft, welcher soeben mit einem Buche über dasselbe
Thema, aber unter dem Titel Unser Reichskanzler (Leipzig, Fr. Wilh.
Grunow, 1884) hervorgetreten ist.

Der unparteiische Leser möchte sich indessen wohl bald bei dem Gedanken
beruhigen, daß das Genie sich in einer Ausnahmestellung befindet, indem es,
vom Ruhme, der doch nur wenigen zu teil wird, hinausgehoben über deu Kreis
der gewöhnlichen Sterblichen, dazu bestimmt ist, gesehen zu werden, und auch
die Kraft hat, sich selbst über eine falsche oder gar feindliche Beurteilung ver¬
achtungsvoll so leicht hinwegzusetzen, wie die Götter im Liede der Parzen von
Bergen zu Bergen hinüberschreitcn. Der wohlwollende Leser aber wird dem
Biographen vollen Glauben schenken, der nicht allein mit Worten, sondern mehr
noch durch das zwischen den Zeilen atmende Gefühl versichert, er halte es für
seine Pflicht, das Seinige zu dem Bilde beizutragen, welches die Geschichte
dereinst von dem großen Kanzler entwerfen werde. Die Bücher von Moritz Busch
siud voller Pietät, und man könnte sagen: dieser Schriftsteller bringt sich selbst
zum Opfer für sein Ideal. Mehr kann man aber von keinem Menschen
verlangen.

Höchst anspruchslos heißt es in dem Titel: Studien zu einem Charakter¬
bilde, und bescheiden sagt der Verfasser in der Vorrede, er sei zu wenig Künstler,
um das Charakterbild selbst zu entwerfen, er biete daher nur Skizzen, Beiträge.
Sehen wir uns in diesen Beiträgen um, damit wir deutlicher erkennen, um was
es sich handelt.

Der Verfasser hat sein Buch in zwölf Kapitel geteilt. Der erste Band
hat deren fünf, und zwar: 1. Das politische Glaubensbekenntnis und der staats¬
männische Sittenkodex des Kanzlers, 2. Sein Verhältnis zu deu göttlichen
Dingen, 3. Die Junkerlegcnde, 4. Diplomatische Indiskretionen, und ü. Bismarck
und Österreich. Der zweite Band hat siehe" Kapitel: 1. Bismarck und die Fran¬
zosen, 2. Der Reichskanzler und Rußland, 3. Bismarcks Stellung zu den
Ansprüchen der Polen, 4. Bismarck und die Presse, 6. Der Kanzler als Staats¬
sozialist, 6. Bismarck als Redner und der Humorist in ihm, und 7. Der Fürst
als Privatmann.

Hören wir einige der bemerkenswertesten Stellen aus diesen Kapiteln,
welche deu Reichskanzler in so verschiedenartigen Eigenschaften vorführen. Im
ersten Kapitel (Seite 90 ff.) heißt es:

Wir kommen nun zu den Hauptmaximen des staatsmännischen Sittenkodex
unsers Reichskanzlers, von denen sich einige schon in den bisher zitirten Äußerungen
desselben spiegelten. Staatsmännisch, politisch denken und handeln, heißt zweck-
bewußt, dein geschichtlichen Leben und der Natur der Dinge entsprechend, also
sachgemäß, weitschaucnd und billig denken und handeln, nur das Notwendige wollen
und nur das Erreichbare erstreben, das Gute nicht verschmähen, weil das Beste
noch nicht zu gewinnen ist. Das gilt von den äußern nicht minder wie von den
innern Angelegenheiten. Die Politik kennt keine Gefühle, oder richtiger, sie haf


Unser Reichskanzler.

graphen Moritz Busch gehäuft, welcher soeben mit einem Buche über dasselbe
Thema, aber unter dem Titel Unser Reichskanzler (Leipzig, Fr. Wilh.
Grunow, 1884) hervorgetreten ist.

Der unparteiische Leser möchte sich indessen wohl bald bei dem Gedanken
beruhigen, daß das Genie sich in einer Ausnahmestellung befindet, indem es,
vom Ruhme, der doch nur wenigen zu teil wird, hinausgehoben über deu Kreis
der gewöhnlichen Sterblichen, dazu bestimmt ist, gesehen zu werden, und auch
die Kraft hat, sich selbst über eine falsche oder gar feindliche Beurteilung ver¬
achtungsvoll so leicht hinwegzusetzen, wie die Götter im Liede der Parzen von
Bergen zu Bergen hinüberschreitcn. Der wohlwollende Leser aber wird dem
Biographen vollen Glauben schenken, der nicht allein mit Worten, sondern mehr
noch durch das zwischen den Zeilen atmende Gefühl versichert, er halte es für
seine Pflicht, das Seinige zu dem Bilde beizutragen, welches die Geschichte
dereinst von dem großen Kanzler entwerfen werde. Die Bücher von Moritz Busch
siud voller Pietät, und man könnte sagen: dieser Schriftsteller bringt sich selbst
zum Opfer für sein Ideal. Mehr kann man aber von keinem Menschen
verlangen.

Höchst anspruchslos heißt es in dem Titel: Studien zu einem Charakter¬
bilde, und bescheiden sagt der Verfasser in der Vorrede, er sei zu wenig Künstler,
um das Charakterbild selbst zu entwerfen, er biete daher nur Skizzen, Beiträge.
Sehen wir uns in diesen Beiträgen um, damit wir deutlicher erkennen, um was
es sich handelt.

Der Verfasser hat sein Buch in zwölf Kapitel geteilt. Der erste Band
hat deren fünf, und zwar: 1. Das politische Glaubensbekenntnis und der staats¬
männische Sittenkodex des Kanzlers, 2. Sein Verhältnis zu deu göttlichen
Dingen, 3. Die Junkerlegcnde, 4. Diplomatische Indiskretionen, und ü. Bismarck
und Österreich. Der zweite Band hat siehe» Kapitel: 1. Bismarck und die Fran¬
zosen, 2. Der Reichskanzler und Rußland, 3. Bismarcks Stellung zu den
Ansprüchen der Polen, 4. Bismarck und die Presse, 6. Der Kanzler als Staats¬
sozialist, 6. Bismarck als Redner und der Humorist in ihm, und 7. Der Fürst
als Privatmann.

Hören wir einige der bemerkenswertesten Stellen aus diesen Kapiteln,
welche deu Reichskanzler in so verschiedenartigen Eigenschaften vorführen. Im
ersten Kapitel (Seite 90 ff.) heißt es:

Wir kommen nun zu den Hauptmaximen des staatsmännischen Sittenkodex
unsers Reichskanzlers, von denen sich einige schon in den bisher zitirten Äußerungen
desselben spiegelten. Staatsmännisch, politisch denken und handeln, heißt zweck-
bewußt, dein geschichtlichen Leben und der Natur der Dinge entsprechend, also
sachgemäß, weitschaucnd und billig denken und handeln, nur das Notwendige wollen
und nur das Erreichbare erstreben, das Gute nicht verschmähen, weil das Beste
noch nicht zu gewinnen ist. Das gilt von den äußern nicht minder wie von den
innern Angelegenheiten. Die Politik kennt keine Gefühle, oder richtiger, sie haf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/503>, abgerufen am 07.01.2025.