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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Sprachenstreit in Österreich.

nicht in eine lockere Föderation auflösen will, ins Unendliche, und schließlich
müßte mit Naturnotwendigkeit ein allgemeines Tohuwabohu herauskommen,
wobei in der That das Gefüge des Staates, wie Purkynö meinte, in ernstliche
Gefahr geraten könnte.

Man sieht, daß bei dem Sprachenstreite in Österreich, obwohl die Wort¬
führer der Rechten der Sache nur die Bedeutung einer Art von nationaler
Etikettenfrage zu geben suchten, doch sehr gewichtige Interessen auf dem Spiele
stehen. Es sind dies in erster Reihe staatliche Interessen. Diese will ich jedoch
hier nicht näher berühren, sondern dafür die Sache von einer Seite betrachten,
die bei der Debatte nur ganz flüchtig gestreift wurde. Ich meine die Interessen
der nichtdeutschen Nationalitäten in Österreich.

Wer aus eigner Anschauung die Verhältnisse des Kaiserstaates vor der glor¬
reichen Nationalitätenära kennt, der weiß, daß trotz des Vorherrschens der
deutschen Sprache von "Deutschtum" in Österreich sehr wenig die Rede sein
konnte. Die deutsche Sprache war damals wie jetzt das allgemeine Verstündi-
gungsmittel nicht nur zwischen den Deutschösterreichcrn und den nichtdeutschen
Nationalitäten, sondern auch zwischen diesen untereinander; da es wohl slavische
Sprachen, aber keine slavische Sprache giebt, so mußten Polen, Tschechen, Slo-
venen, Kroaten, Serben :c., deren einzelne Sprachen von einander abweichen
wie etwa das Deutsche vom Holländischen, oder das Französische vom Pro-
venzalischen, notgedrungen zu der ihnen zunächst liegenden deutschen Sprache
greifen. Ähnlich verhält es sich mit den Magyaren. Der gebildete Teil dieser
verschiednen Nationalitäten war des Deutschen in Wort und Schrift, vielfach
sogar besser als des eignen Idioms mächtig. Mit Ausnahme der italienischen
Provinzen bediente sich die Verwaltung der deutschen Sprache, und in Ungarn
behalf man sich sowohl im Verkehr mit den Nationalitäten der xartes aänsx^s
als mit der Zentrale in Wien, falls man nicht Deutsch sprechen wollte, mit
jener seltsamen unter dem Namen "Husarenlatcin" bekannten Latinität. An
"Germanisirung" dachte keine Seele, und in der That verfolgte die österreichische
Regierung vor 1848 eher alles andre als germanisatorische Zwecke. Den deutsch-
österreichischen Schriftstellern war man in Wien bekanntlich durchaus nicht hold.
Entweder beteiligten sie sich an der geistigen Strömung in Deutschland und
mußten dann sehr bald den schwarzgelben Grenzpfählen den Rücken kehren,
oder sie standen völlig abseits wie Grillparzer oder K. E. Ebert, der sich selbst
als "böhmisch-deutscheu" Schriftsteller bezeichnete. Wenn die kaiserliche Regierung
von ihren Beamten die Kenntnis des Deutschen (d. h. des k. k. Beamtendeutsch)
als etwas Selbstverständliches verlangte, so that sie damit nur, was sie nicht
lassen konnte. Eine Bevorzugung des deutschen Elements als solches kann ihr
mich der grimmigste Feind nicht zum Vorwurfe machen.

Seit der Nationalitätenära ist das alles anders geworden. Während vor
1848 z. B. in Böhmen die Vorkämpfer der freiheitlichen Richtung ohne Unter-


Der Sprachenstreit in Österreich.

nicht in eine lockere Föderation auflösen will, ins Unendliche, und schließlich
müßte mit Naturnotwendigkeit ein allgemeines Tohuwabohu herauskommen,
wobei in der That das Gefüge des Staates, wie Purkynö meinte, in ernstliche
Gefahr geraten könnte.

Man sieht, daß bei dem Sprachenstreite in Österreich, obwohl die Wort¬
führer der Rechten der Sache nur die Bedeutung einer Art von nationaler
Etikettenfrage zu geben suchten, doch sehr gewichtige Interessen auf dem Spiele
stehen. Es sind dies in erster Reihe staatliche Interessen. Diese will ich jedoch
hier nicht näher berühren, sondern dafür die Sache von einer Seite betrachten,
die bei der Debatte nur ganz flüchtig gestreift wurde. Ich meine die Interessen
der nichtdeutschen Nationalitäten in Österreich.

Wer aus eigner Anschauung die Verhältnisse des Kaiserstaates vor der glor¬
reichen Nationalitätenära kennt, der weiß, daß trotz des Vorherrschens der
deutschen Sprache von „Deutschtum" in Österreich sehr wenig die Rede sein
konnte. Die deutsche Sprache war damals wie jetzt das allgemeine Verstündi-
gungsmittel nicht nur zwischen den Deutschösterreichcrn und den nichtdeutschen
Nationalitäten, sondern auch zwischen diesen untereinander; da es wohl slavische
Sprachen, aber keine slavische Sprache giebt, so mußten Polen, Tschechen, Slo-
venen, Kroaten, Serben :c., deren einzelne Sprachen von einander abweichen
wie etwa das Deutsche vom Holländischen, oder das Französische vom Pro-
venzalischen, notgedrungen zu der ihnen zunächst liegenden deutschen Sprache
greifen. Ähnlich verhält es sich mit den Magyaren. Der gebildete Teil dieser
verschiednen Nationalitäten war des Deutschen in Wort und Schrift, vielfach
sogar besser als des eignen Idioms mächtig. Mit Ausnahme der italienischen
Provinzen bediente sich die Verwaltung der deutschen Sprache, und in Ungarn
behalf man sich sowohl im Verkehr mit den Nationalitäten der xartes aänsx^s
als mit der Zentrale in Wien, falls man nicht Deutsch sprechen wollte, mit
jener seltsamen unter dem Namen „Husarenlatcin" bekannten Latinität. An
„Germanisirung" dachte keine Seele, und in der That verfolgte die österreichische
Regierung vor 1848 eher alles andre als germanisatorische Zwecke. Den deutsch-
österreichischen Schriftstellern war man in Wien bekanntlich durchaus nicht hold.
Entweder beteiligten sie sich an der geistigen Strömung in Deutschland und
mußten dann sehr bald den schwarzgelben Grenzpfählen den Rücken kehren,
oder sie standen völlig abseits wie Grillparzer oder K. E. Ebert, der sich selbst
als „böhmisch-deutscheu" Schriftsteller bezeichnete. Wenn die kaiserliche Regierung
von ihren Beamten die Kenntnis des Deutschen (d. h. des k. k. Beamtendeutsch)
als etwas Selbstverständliches verlangte, so that sie damit nur, was sie nicht
lassen konnte. Eine Bevorzugung des deutschen Elements als solches kann ihr
mich der grimmigste Feind nicht zum Vorwurfe machen.

Seit der Nationalitätenära ist das alles anders geworden. Während vor
1848 z. B. in Böhmen die Vorkämpfer der freiheitlichen Richtung ohne Unter-


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[0492] Der Sprachenstreit in Österreich. nicht in eine lockere Föderation auflösen will, ins Unendliche, und schließlich müßte mit Naturnotwendigkeit ein allgemeines Tohuwabohu herauskommen, wobei in der That das Gefüge des Staates, wie Purkynö meinte, in ernstliche Gefahr geraten könnte. Man sieht, daß bei dem Sprachenstreite in Österreich, obwohl die Wort¬ führer der Rechten der Sache nur die Bedeutung einer Art von nationaler Etikettenfrage zu geben suchten, doch sehr gewichtige Interessen auf dem Spiele stehen. Es sind dies in erster Reihe staatliche Interessen. Diese will ich jedoch hier nicht näher berühren, sondern dafür die Sache von einer Seite betrachten, die bei der Debatte nur ganz flüchtig gestreift wurde. Ich meine die Interessen der nichtdeutschen Nationalitäten in Österreich. Wer aus eigner Anschauung die Verhältnisse des Kaiserstaates vor der glor¬ reichen Nationalitätenära kennt, der weiß, daß trotz des Vorherrschens der deutschen Sprache von „Deutschtum" in Österreich sehr wenig die Rede sein konnte. Die deutsche Sprache war damals wie jetzt das allgemeine Verstündi- gungsmittel nicht nur zwischen den Deutschösterreichcrn und den nichtdeutschen Nationalitäten, sondern auch zwischen diesen untereinander; da es wohl slavische Sprachen, aber keine slavische Sprache giebt, so mußten Polen, Tschechen, Slo- venen, Kroaten, Serben :c., deren einzelne Sprachen von einander abweichen wie etwa das Deutsche vom Holländischen, oder das Französische vom Pro- venzalischen, notgedrungen zu der ihnen zunächst liegenden deutschen Sprache greifen. Ähnlich verhält es sich mit den Magyaren. Der gebildete Teil dieser verschiednen Nationalitäten war des Deutschen in Wort und Schrift, vielfach sogar besser als des eignen Idioms mächtig. Mit Ausnahme der italienischen Provinzen bediente sich die Verwaltung der deutschen Sprache, und in Ungarn behalf man sich sowohl im Verkehr mit den Nationalitäten der xartes aänsx^s als mit der Zentrale in Wien, falls man nicht Deutsch sprechen wollte, mit jener seltsamen unter dem Namen „Husarenlatcin" bekannten Latinität. An „Germanisirung" dachte keine Seele, und in der That verfolgte die österreichische Regierung vor 1848 eher alles andre als germanisatorische Zwecke. Den deutsch- österreichischen Schriftstellern war man in Wien bekanntlich durchaus nicht hold. Entweder beteiligten sie sich an der geistigen Strömung in Deutschland und mußten dann sehr bald den schwarzgelben Grenzpfählen den Rücken kehren, oder sie standen völlig abseits wie Grillparzer oder K. E. Ebert, der sich selbst als „böhmisch-deutscheu" Schriftsteller bezeichnete. Wenn die kaiserliche Regierung von ihren Beamten die Kenntnis des Deutschen (d. h. des k. k. Beamtendeutsch) als etwas Selbstverständliches verlangte, so that sie damit nur, was sie nicht lassen konnte. Eine Bevorzugung des deutschen Elements als solches kann ihr mich der grimmigste Feind nicht zum Vorwurfe machen. Seit der Nationalitätenära ist das alles anders geworden. Während vor 1848 z. B. in Böhmen die Vorkämpfer der freiheitlichen Richtung ohne Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/492>, abgerufen am 01.07.2024.