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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Praxis der deutschen Fenervcrsicherungsgesellschaften.

unlängst zwischen der Deutschen Transportversicheruugsgcsellschaft in Berlin
und dem Rheinisch-Westfälischen Lloyd in Gladbach sich ereignete und das
Eingreifen der Staatsanwaltschaft veranlaßte, steht auch bei andern Zweigen
des Versicherungsgeschäftes nicht vereinzelt da.

Nicht unerwähnt darf auch der Mangel an Anstandsgefühl bleiben, womit
viele Gesellschaften zu den von Gehcimmittelschwindlern und Wurmdoktoren als
probat erfundenen Mitteln der Reklame greifen. Gleichwie jene über erfolgte
Heilungen, lassen sie sich für "prompt und koulant" regulirte Brandschäden
Danksagungen von den Beschädigtem ausstellen und geben diese, in Broschüren
vereinigt, den Agenten und Beamten als schätzbares Material zur Heranziehung
des bereits mißtrauisch gewordenen Publikums.

Die Anzahl der bestehenden Doppelversicherungen, zu deren Eingehung der
betreffende Versicherte durch übergroße Provisionsjägerei gewissenloser Agenten
veranlaßt worden ist, deren Unrecht den betreffenden Gesellschaften mit zur Last
sällt, wenn sie trotz Einsicht in die Verhältnisse auf ihrem Schein bestehen und
eventuell die Prämien einklagen, zeigt auch die Unzulänglichkeit der polizeilichen
Prcivcntivkontrolc, wie diese laut Gesetz vom 22. Mai 1837 sür Preußen be¬
steht. Diese Kontrole ist vollständig unwirksam, daher überflüssig, sie kann
sogar insofern dem Publikum schädlich werden, als sie durch Verschleppung der
Polizeilicher Versicherungsgcnehmigung die Wirkung der Versicherung verzögert.
Baiern, wo eine ähnliche Kontrole bestand, hat die Unzulänglichkeit derselben
und die mit ihr verbundenen Übelstände erkannt und das Gesetz im Jahre 1872
aufgehoben.

Durch die vielfachen zweifelhaften Manipulationen bei Requisition und
Schadmrcgulirung und durch den Zusammenbruch mancher Gesellschaften, wo¬
durch die innern Schäden des Geschäfts ooulos demonstrirt worden sind,
hat sich das Vertrauen des großen Publikums zum Versicherungsgeschäft sehr
gelockert. Eine Befestigung desselben ist angesichts der hohen Bedeutung der
Assekuranz für das Wohlergehen des Volkes und die Sicherheit des Volks-
vcrmögens durchaus notwendig. Sind doch bei den obengenannten Gesellschaften
allein für vierzig Milliarden Werte gegen den elementaren Schaden des Feuers
versichert. Das höchste Interesse des Staates muß sich auf diesen Zweig der
Volkswirtschaft hinlenken, er darf nicht länger die gleichgiltige Rolle spielen,
zu der ihn die Anhänger der manchesterlichen Is-isss^-ks-ire-Theorie verurteilen
wollen. Wo einzelne oder vereinigte Privatpersonen mit ihren Kräften nicht
mehr helfen können, hat der Staat das Recht und die Pflicht, mit seineu
Mitteln einzutreten; das Geschäft der Feuerversicherung in seiner heutigen Ver¬
fassung kann nicht mehr allen an dasselbe herantretenden Ansprüchen genügen.

Eine Verstaatlichung des Versicherungsgeschüsts durch Ankauf der Gesell¬
schaften dürfte sich vermeiden lassen; die Besserung der Zustände ließe sich schon
herbeiführen durch Erlaß eines allgemeinen deutschen Versicherungsgesetzes und


Die Praxis der deutschen Fenervcrsicherungsgesellschaften.

unlängst zwischen der Deutschen Transportversicheruugsgcsellschaft in Berlin
und dem Rheinisch-Westfälischen Lloyd in Gladbach sich ereignete und das
Eingreifen der Staatsanwaltschaft veranlaßte, steht auch bei andern Zweigen
des Versicherungsgeschäftes nicht vereinzelt da.

Nicht unerwähnt darf auch der Mangel an Anstandsgefühl bleiben, womit
viele Gesellschaften zu den von Gehcimmittelschwindlern und Wurmdoktoren als
probat erfundenen Mitteln der Reklame greifen. Gleichwie jene über erfolgte
Heilungen, lassen sie sich für „prompt und koulant" regulirte Brandschäden
Danksagungen von den Beschädigtem ausstellen und geben diese, in Broschüren
vereinigt, den Agenten und Beamten als schätzbares Material zur Heranziehung
des bereits mißtrauisch gewordenen Publikums.

Die Anzahl der bestehenden Doppelversicherungen, zu deren Eingehung der
betreffende Versicherte durch übergroße Provisionsjägerei gewissenloser Agenten
veranlaßt worden ist, deren Unrecht den betreffenden Gesellschaften mit zur Last
sällt, wenn sie trotz Einsicht in die Verhältnisse auf ihrem Schein bestehen und
eventuell die Prämien einklagen, zeigt auch die Unzulänglichkeit der polizeilichen
Prcivcntivkontrolc, wie diese laut Gesetz vom 22. Mai 1837 sür Preußen be¬
steht. Diese Kontrole ist vollständig unwirksam, daher überflüssig, sie kann
sogar insofern dem Publikum schädlich werden, als sie durch Verschleppung der
Polizeilicher Versicherungsgcnehmigung die Wirkung der Versicherung verzögert.
Baiern, wo eine ähnliche Kontrole bestand, hat die Unzulänglichkeit derselben
und die mit ihr verbundenen Übelstände erkannt und das Gesetz im Jahre 1872
aufgehoben.

Durch die vielfachen zweifelhaften Manipulationen bei Requisition und
Schadmrcgulirung und durch den Zusammenbruch mancher Gesellschaften, wo¬
durch die innern Schäden des Geschäfts ooulos demonstrirt worden sind,
hat sich das Vertrauen des großen Publikums zum Versicherungsgeschäft sehr
gelockert. Eine Befestigung desselben ist angesichts der hohen Bedeutung der
Assekuranz für das Wohlergehen des Volkes und die Sicherheit des Volks-
vcrmögens durchaus notwendig. Sind doch bei den obengenannten Gesellschaften
allein für vierzig Milliarden Werte gegen den elementaren Schaden des Feuers
versichert. Das höchste Interesse des Staates muß sich auf diesen Zweig der
Volkswirtschaft hinlenken, er darf nicht länger die gleichgiltige Rolle spielen,
zu der ihn die Anhänger der manchesterlichen Is-isss^-ks-ire-Theorie verurteilen
wollen. Wo einzelne oder vereinigte Privatpersonen mit ihren Kräften nicht
mehr helfen können, hat der Staat das Recht und die Pflicht, mit seineu
Mitteln einzutreten; das Geschäft der Feuerversicherung in seiner heutigen Ver¬
fassung kann nicht mehr allen an dasselbe herantretenden Ansprüchen genügen.

Eine Verstaatlichung des Versicherungsgeschüsts durch Ankauf der Gesell¬
schaften dürfte sich vermeiden lassen; die Besserung der Zustände ließe sich schon
herbeiführen durch Erlaß eines allgemeinen deutschen Versicherungsgesetzes und


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[0455] Die Praxis der deutschen Fenervcrsicherungsgesellschaften. unlängst zwischen der Deutschen Transportversicheruugsgcsellschaft in Berlin und dem Rheinisch-Westfälischen Lloyd in Gladbach sich ereignete und das Eingreifen der Staatsanwaltschaft veranlaßte, steht auch bei andern Zweigen des Versicherungsgeschäftes nicht vereinzelt da. Nicht unerwähnt darf auch der Mangel an Anstandsgefühl bleiben, womit viele Gesellschaften zu den von Gehcimmittelschwindlern und Wurmdoktoren als probat erfundenen Mitteln der Reklame greifen. Gleichwie jene über erfolgte Heilungen, lassen sie sich für „prompt und koulant" regulirte Brandschäden Danksagungen von den Beschädigtem ausstellen und geben diese, in Broschüren vereinigt, den Agenten und Beamten als schätzbares Material zur Heranziehung des bereits mißtrauisch gewordenen Publikums. Die Anzahl der bestehenden Doppelversicherungen, zu deren Eingehung der betreffende Versicherte durch übergroße Provisionsjägerei gewissenloser Agenten veranlaßt worden ist, deren Unrecht den betreffenden Gesellschaften mit zur Last sällt, wenn sie trotz Einsicht in die Verhältnisse auf ihrem Schein bestehen und eventuell die Prämien einklagen, zeigt auch die Unzulänglichkeit der polizeilichen Prcivcntivkontrolc, wie diese laut Gesetz vom 22. Mai 1837 sür Preußen be¬ steht. Diese Kontrole ist vollständig unwirksam, daher überflüssig, sie kann sogar insofern dem Publikum schädlich werden, als sie durch Verschleppung der Polizeilicher Versicherungsgcnehmigung die Wirkung der Versicherung verzögert. Baiern, wo eine ähnliche Kontrole bestand, hat die Unzulänglichkeit derselben und die mit ihr verbundenen Übelstände erkannt und das Gesetz im Jahre 1872 aufgehoben. Durch die vielfachen zweifelhaften Manipulationen bei Requisition und Schadmrcgulirung und durch den Zusammenbruch mancher Gesellschaften, wo¬ durch die innern Schäden des Geschäfts ooulos demonstrirt worden sind, hat sich das Vertrauen des großen Publikums zum Versicherungsgeschäft sehr gelockert. Eine Befestigung desselben ist angesichts der hohen Bedeutung der Assekuranz für das Wohlergehen des Volkes und die Sicherheit des Volks- vcrmögens durchaus notwendig. Sind doch bei den obengenannten Gesellschaften allein für vierzig Milliarden Werte gegen den elementaren Schaden des Feuers versichert. Das höchste Interesse des Staates muß sich auf diesen Zweig der Volkswirtschaft hinlenken, er darf nicht länger die gleichgiltige Rolle spielen, zu der ihn die Anhänger der manchesterlichen Is-isss^-ks-ire-Theorie verurteilen wollen. Wo einzelne oder vereinigte Privatpersonen mit ihren Kräften nicht mehr helfen können, hat der Staat das Recht und die Pflicht, mit seineu Mitteln einzutreten; das Geschäft der Feuerversicherung in seiner heutigen Ver¬ fassung kann nicht mehr allen an dasselbe herantretenden Ansprüchen genügen. Eine Verstaatlichung des Versicherungsgeschüsts durch Ankauf der Gesell¬ schaften dürfte sich vermeiden lassen; die Besserung der Zustände ließe sich schon herbeiführen durch Erlaß eines allgemeinen deutschen Versicherungsgesetzes und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/455>, abgerufen am 28.09.2024.