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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Line neue Niederlage Englands im Sudan.

glück nach Kairo und London telegraphirt hat. Die Schlacht hat zehn eng¬
lische Meilen von Trinkitat, wo Baker mit seinen Leuten sich ausgeschifft hatte,
stattgefunden. Brav gehalten haben sich während derselben mir die englischen Offi¬
ziere, von denen die meisten gefallen zu sein scheinen, die ans Europa rcknitirtcn
Polizcisoldate" und die türkische" Truppen, die Mann für Mann znsammcn-
gehauen wurde". Die Überlebenden bestehen fast mir aus Ägypter", dere" Un-
geübtheit und Feigheit man das schwierige Unternehmen im wesentliche" anver¬
traut hatte. Ein kläglicher Anfang für das n"u zur Wirklichkeit gewordene
Protektorat Englands über Ägypten.

Fürwahr, wenn Gladstones Politik in den ägyptischen Angelegenheiten nicht
eine sehr tiefe und hinterhältige ist, so ist sie unbegreiflich zu nennen. Am
4. November vorigen Jahres wurde der Engländer Hicks Pascha mit einem
Heere von 11000 Maun bei El Obeid vom Mahdi geschlagen, und zwar so
gründlich, daß fast niemand von seinen Leuten entkam. Der Chcdive wollte
darauf sofort alle ihm noch zu Gebote stehenden Truppen nach dem Sudan
schicken, um dem weitern Vordringen des siegreichen Propheten Einhalt zu thun.
Der Sultan war bereit, ihn dabei zu unterstützen, und man mußte glauben,
England werde es in seinem Interesse finden, desgleichen zu thun. War doch
die Eroberung, die man mit der Schlacht bei Tel El Kabir gemacht, durch jeden
Fortschritt der Revolution am obern Nil, ebenso Englands Ansehen in der ge¬
samten Welt des Islam sichtlich und unstreitig bedroht. Aber nichts davon.
Vielmehr faßte die britische Regierung den Beschluß, den Sudan aufzugeben,
selbst die Hauptstadt, Chartum, zu räumen und mir Nubien mit den Städte"
Berber und Suakin festzuhalten. Dem Sultan stellte man für seine Mitwir¬
kung die völlig unannehmbare Bedingung, die Kosten derselben zu tragen und
die betreffenden Truppen nicht über Ägypten, sondern über Suakiu mich dein
Kriegsschauplatze abzusenden. Natürlich lehnte er ab. und die Dinge gingen
ihren Gang. Der Chedivc fiigte sich dein Willen der englischen Regierung, sein
Premier Scherif Pascha, der dafür die Verantwortung nicht übernehmen zu
können glaubte, trat vom Amte zurück, und Nubar Pascha, ein Werkzeug Eng¬
lands, gelangte ans Ruder. Unter ihm geschah geraume Zeit sogut wie nichts.
Erst als Gefahr vorhanden war, der Mahdi werde nächstens vor Chartum er¬
scheinen und dessen europäische Bewohner -- etwa 11000 Köpfe -- niedermetzeln
oder in die Sklaverei abführen lassen, traf man in Kairo Anstalten, der letzter"
Eventualität vorzubeugen. Jene Europäer sollten unter dem Beistande des ägyp¬
tischen Kriegsministers Abd el Kader nach Norden befördert und in Sicherheit
gebracht werden. Wie das zu machen, blieb fraglich, wenigstens hörte man nichts
von andern dahin zielenden Maßregel" als der Abreise Abd et Katers nach
Korosko in Nubien.

Inzwischen war Gladstone auf einen andern seltsamen Einfall gekommen.
Der englische General Gordon, ein Kenner des Orients und erfolgreich gewesen


Line neue Niederlage Englands im Sudan.

glück nach Kairo und London telegraphirt hat. Die Schlacht hat zehn eng¬
lische Meilen von Trinkitat, wo Baker mit seinen Leuten sich ausgeschifft hatte,
stattgefunden. Brav gehalten haben sich während derselben mir die englischen Offi¬
ziere, von denen die meisten gefallen zu sein scheinen, die ans Europa rcknitirtcn
Polizcisoldate» und die türkische» Truppen, die Mann für Mann znsammcn-
gehauen wurde». Die Überlebenden bestehen fast mir aus Ägypter», dere» Un-
geübtheit und Feigheit man das schwierige Unternehmen im wesentliche» anver¬
traut hatte. Ein kläglicher Anfang für das n»u zur Wirklichkeit gewordene
Protektorat Englands über Ägypten.

Fürwahr, wenn Gladstones Politik in den ägyptischen Angelegenheiten nicht
eine sehr tiefe und hinterhältige ist, so ist sie unbegreiflich zu nennen. Am
4. November vorigen Jahres wurde der Engländer Hicks Pascha mit einem
Heere von 11000 Maun bei El Obeid vom Mahdi geschlagen, und zwar so
gründlich, daß fast niemand von seinen Leuten entkam. Der Chcdive wollte
darauf sofort alle ihm noch zu Gebote stehenden Truppen nach dem Sudan
schicken, um dem weitern Vordringen des siegreichen Propheten Einhalt zu thun.
Der Sultan war bereit, ihn dabei zu unterstützen, und man mußte glauben,
England werde es in seinem Interesse finden, desgleichen zu thun. War doch
die Eroberung, die man mit der Schlacht bei Tel El Kabir gemacht, durch jeden
Fortschritt der Revolution am obern Nil, ebenso Englands Ansehen in der ge¬
samten Welt des Islam sichtlich und unstreitig bedroht. Aber nichts davon.
Vielmehr faßte die britische Regierung den Beschluß, den Sudan aufzugeben,
selbst die Hauptstadt, Chartum, zu räumen und mir Nubien mit den Städte»
Berber und Suakin festzuhalten. Dem Sultan stellte man für seine Mitwir¬
kung die völlig unannehmbare Bedingung, die Kosten derselben zu tragen und
die betreffenden Truppen nicht über Ägypten, sondern über Suakiu mich dein
Kriegsschauplatze abzusenden. Natürlich lehnte er ab. und die Dinge gingen
ihren Gang. Der Chedivc fiigte sich dein Willen der englischen Regierung, sein
Premier Scherif Pascha, der dafür die Verantwortung nicht übernehmen zu
können glaubte, trat vom Amte zurück, und Nubar Pascha, ein Werkzeug Eng¬
lands, gelangte ans Ruder. Unter ihm geschah geraume Zeit sogut wie nichts.
Erst als Gefahr vorhanden war, der Mahdi werde nächstens vor Chartum er¬
scheinen und dessen europäische Bewohner — etwa 11000 Köpfe — niedermetzeln
oder in die Sklaverei abführen lassen, traf man in Kairo Anstalten, der letzter»
Eventualität vorzubeugen. Jene Europäer sollten unter dem Beistande des ägyp¬
tischen Kriegsministers Abd el Kader nach Norden befördert und in Sicherheit
gebracht werden. Wie das zu machen, blieb fraglich, wenigstens hörte man nichts
von andern dahin zielenden Maßregel» als der Abreise Abd et Katers nach
Korosko in Nubien.

Inzwischen war Gladstone auf einen andern seltsamen Einfall gekommen.
Der englische General Gordon, ein Kenner des Orients und erfolgreich gewesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/380>, abgerufen am 04.07.2024.