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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Unsinn, Alter.

Je nun, wir sind beide nach dieser Seite hin die Unschuld selbst --

Gewesen, denn du wenigstens scheinst jetzt den armen Mädchen tief in die
Karten geguckt zu haben.

Sa hast du also nie darauf geachtet, daß es junge Damen giebt, die
immer ins Zimmer gelaufen, statt gegangen kommen, und über deren Atcm-
lvsigkcit -- denn sie spielen immer noch die lieben Kinder -- die Mutter alle-
mal von neuem schilt, indem sie doch nichts lieber sieht, als wenn jetzt auch die
jungen Herren sich, tadelnd oder für die lose Kleine Partei ergreifend, ein¬
mische, worüber denn alle ruhig eintretenden jungen Damen unbemerkt bleiben?

Nein, sagte Frau Anna, so etwas habe ich mein Lebtag nicht wahr¬
genommen.

Auch nicht, daß ein junger Herr plötzlich errötet, weil er, unversehens sich
uniblickend, eine junge Dame, die ihn seit längerm mit Interesse beobachtet haben
mußte, rasch in andrer Richtung blicken und dabei sehr verlegen werden sieht,
worauf er natürlich nun die nächste Gelegenheit benutzt, um sich ihr zu nähern?

Was doch die Mißgunst alles ersinnt!

Auch nicht, daß einige junge Damen immer irgendwo ihren Florshawl
liegen ließen und nun auf besonders graziös cinstudirte Weise mit den Schul¬
tern zusammenschaudern, bis die sofort auf die Suche gegangenen Herren mit
allerhand Tüchern anlangen, wo es nnn an ein Ein- und Wiederauswickeln
und ein überaus heiteres Lachen geht, worauf besagte Schultern doch lieber
unbedeckt bleiben möchten, was den jungen Herren nnn erst recht lustig dünkt?

Geh, man kann aus jeder Blume Gift saugen.

Und die Liebhaberei einiger Dämchen für ganz niedrige Stühle? Die
verschiednen Methoden, um das Wiegen in Schaukeln und in Hängematten aufs
Tapet zu bringen? Nicht zu reden von dem Übermaß an Zärtlichkeiten und
um Küssen, deren sich einige junge Mädchen untereinander hingeben, aber Nota¬
bene nur in Gegenwart --

Von Herren! Natürlich! Geh, geh, ich werde unsre Bibliothek vernageln lassen.

Aber Kaspar Veucdikt war nicht der Mann, der zum bloßen Zeitvertreibe
las. Mochten, wie die Schreiberin jener Beobachtungen behauptete, neben den
unscheinbar und still sich bcnchmcndcn jun.gar Damen immer einige, und zwar
die von den Herren bevorzugtesten, sein, die dergleichen Kunstgriffe förmlich vor
dem Spiegel, ja unter Anleitung ihrer Mutter einübten, oder mochte, was sie
an Allotria trieben, bloße Eingebung des Augenblicks sein, Kaspar Benedikts
altes Mißtrauen gegen Fran von Mvckritz und ihre schöne Tochter war wieder
wach geworden.

Daß Berthold es über sich gewinnen kann, einer so bestechend ausgestat¬
teten jungen Person zu entsagen, summirte er seine Reflexionen auf, ist immer
aller Ehre" wert, und wir dürfen uns nicht vermessen, ihn zu meistern,


Auf der Leiter des Glücks.

Unsinn, Alter.

Je nun, wir sind beide nach dieser Seite hin die Unschuld selbst —

Gewesen, denn du wenigstens scheinst jetzt den armen Mädchen tief in die
Karten geguckt zu haben.

Sa hast du also nie darauf geachtet, daß es junge Damen giebt, die
immer ins Zimmer gelaufen, statt gegangen kommen, und über deren Atcm-
lvsigkcit — denn sie spielen immer noch die lieben Kinder — die Mutter alle-
mal von neuem schilt, indem sie doch nichts lieber sieht, als wenn jetzt auch die
jungen Herren sich, tadelnd oder für die lose Kleine Partei ergreifend, ein¬
mische, worüber denn alle ruhig eintretenden jungen Damen unbemerkt bleiben?

Nein, sagte Frau Anna, so etwas habe ich mein Lebtag nicht wahr¬
genommen.

Auch nicht, daß ein junger Herr plötzlich errötet, weil er, unversehens sich
uniblickend, eine junge Dame, die ihn seit längerm mit Interesse beobachtet haben
mußte, rasch in andrer Richtung blicken und dabei sehr verlegen werden sieht,
worauf er natürlich nun die nächste Gelegenheit benutzt, um sich ihr zu nähern?

Was doch die Mißgunst alles ersinnt!

Auch nicht, daß einige junge Damen immer irgendwo ihren Florshawl
liegen ließen und nun auf besonders graziös cinstudirte Weise mit den Schul¬
tern zusammenschaudern, bis die sofort auf die Suche gegangenen Herren mit
allerhand Tüchern anlangen, wo es nnn an ein Ein- und Wiederauswickeln
und ein überaus heiteres Lachen geht, worauf besagte Schultern doch lieber
unbedeckt bleiben möchten, was den jungen Herren nnn erst recht lustig dünkt?

Geh, man kann aus jeder Blume Gift saugen.

Und die Liebhaberei einiger Dämchen für ganz niedrige Stühle? Die
verschiednen Methoden, um das Wiegen in Schaukeln und in Hängematten aufs
Tapet zu bringen? Nicht zu reden von dem Übermaß an Zärtlichkeiten und
um Küssen, deren sich einige junge Mädchen untereinander hingeben, aber Nota¬
bene nur in Gegenwart —

Von Herren! Natürlich! Geh, geh, ich werde unsre Bibliothek vernageln lassen.

Aber Kaspar Veucdikt war nicht der Mann, der zum bloßen Zeitvertreibe
las. Mochten, wie die Schreiberin jener Beobachtungen behauptete, neben den
unscheinbar und still sich bcnchmcndcn jun.gar Damen immer einige, und zwar
die von den Herren bevorzugtesten, sein, die dergleichen Kunstgriffe förmlich vor
dem Spiegel, ja unter Anleitung ihrer Mutter einübten, oder mochte, was sie
an Allotria trieben, bloße Eingebung des Augenblicks sein, Kaspar Benedikts
altes Mißtrauen gegen Fran von Mvckritz und ihre schöne Tochter war wieder
wach geworden.

Daß Berthold es über sich gewinnen kann, einer so bestechend ausgestat¬
teten jungen Person zu entsagen, summirte er seine Reflexionen auf, ist immer
aller Ehre« wert, und wir dürfen uns nicht vermessen, ihn zu meistern,


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[0375] Auf der Leiter des Glücks. Unsinn, Alter. Je nun, wir sind beide nach dieser Seite hin die Unschuld selbst — Gewesen, denn du wenigstens scheinst jetzt den armen Mädchen tief in die Karten geguckt zu haben. Sa hast du also nie darauf geachtet, daß es junge Damen giebt, die immer ins Zimmer gelaufen, statt gegangen kommen, und über deren Atcm- lvsigkcit — denn sie spielen immer noch die lieben Kinder — die Mutter alle- mal von neuem schilt, indem sie doch nichts lieber sieht, als wenn jetzt auch die jungen Herren sich, tadelnd oder für die lose Kleine Partei ergreifend, ein¬ mische, worüber denn alle ruhig eintretenden jungen Damen unbemerkt bleiben? Nein, sagte Frau Anna, so etwas habe ich mein Lebtag nicht wahr¬ genommen. Auch nicht, daß ein junger Herr plötzlich errötet, weil er, unversehens sich uniblickend, eine junge Dame, die ihn seit längerm mit Interesse beobachtet haben mußte, rasch in andrer Richtung blicken und dabei sehr verlegen werden sieht, worauf er natürlich nun die nächste Gelegenheit benutzt, um sich ihr zu nähern? Was doch die Mißgunst alles ersinnt! Auch nicht, daß einige junge Damen immer irgendwo ihren Florshawl liegen ließen und nun auf besonders graziös cinstudirte Weise mit den Schul¬ tern zusammenschaudern, bis die sofort auf die Suche gegangenen Herren mit allerhand Tüchern anlangen, wo es nnn an ein Ein- und Wiederauswickeln und ein überaus heiteres Lachen geht, worauf besagte Schultern doch lieber unbedeckt bleiben möchten, was den jungen Herren nnn erst recht lustig dünkt? Geh, man kann aus jeder Blume Gift saugen. Und die Liebhaberei einiger Dämchen für ganz niedrige Stühle? Die verschiednen Methoden, um das Wiegen in Schaukeln und in Hängematten aufs Tapet zu bringen? Nicht zu reden von dem Übermaß an Zärtlichkeiten und um Küssen, deren sich einige junge Mädchen untereinander hingeben, aber Nota¬ bene nur in Gegenwart — Von Herren! Natürlich! Geh, geh, ich werde unsre Bibliothek vernageln lassen. Aber Kaspar Veucdikt war nicht der Mann, der zum bloßen Zeitvertreibe las. Mochten, wie die Schreiberin jener Beobachtungen behauptete, neben den unscheinbar und still sich bcnchmcndcn jun.gar Damen immer einige, und zwar die von den Herren bevorzugtesten, sein, die dergleichen Kunstgriffe förmlich vor dem Spiegel, ja unter Anleitung ihrer Mutter einübten, oder mochte, was sie an Allotria trieben, bloße Eingebung des Augenblicks sein, Kaspar Benedikts altes Mißtrauen gegen Fran von Mvckritz und ihre schöne Tochter war wieder wach geworden. Daß Berthold es über sich gewinnen kann, einer so bestechend ausgestat¬ teten jungen Person zu entsagen, summirte er seine Reflexionen auf, ist immer aller Ehre« wert, und wir dürfen uns nicht vermessen, ihn zu meistern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/375>, abgerufen am 02.07.2024.