Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf der toller des Glücks.

Berthold blickte sinnend vor sich nieder. Davon hatte ich keine Ahnung,
sagte er, halb geschmeichelt, halb verlegen.

In Wirklichkeit verhielt sich die Sache übrigens etwas anders.

Der Vers bestand aus einer Zeile aus Shakespeares Sommernachtstraum
und hieß:


Zorns Luxiä Knif ivitli "roof, soins nÄü trg.ps.

Fräulein von Mockritz hatte ihn zitirt, als sie einen kleinen, im Palmenhause
stehenden Amor bewundern mußte, und da Frau Anna das Zitat ihrem Kaspar
Benedikt mitteilen wollte, hatte das Fräulein es auf die Rückseite der nächst¬
besten Photographie für ihn aufgeschrieben, es aber überkritzelt, als sich dieselbe
als Vertholds Bild auswies. Die mit dem Diamant eingeschnittenen Initialen
waren nicht B und H, sondern O und H gewesen, eine durch das Zerspringen
der Scheibe noch zur rechten Zeit unschädlich gemachte Unbedachtsamkeit. Die
Faxen auf dem Kürbis endlich waren die herkömmlichen gewesen: ein Sonne,
ein Halbmond, ein paar Sterne, ein Haus, ein Herz -- für Frau Annas immer
alles auf ihren Berthold znrückbeziehende Phantasie die Illustration zu ihrem
Lieblingsliede:


Eine Hütte und ein Herz,
Andres wünsch' ich nicht hinieden,
Maid und Stern und Sonne hört's!
Andres nicht sei mir beschicken,
Als ein Hüttchen und ein Herz!

Nein, davon hatte ich keine Ahnung! wiederholte Berthold, ich bin doch
wahrlich das Gegenteil von hübsch!

Das ist Geschmacksache, lächelte Frau Anna, denn seine Bescheidenheit ver¬
schönerte ihn freilich bis zur Anmut.

Und dann -- sie kennt mich ja kaum!

Wovon denkst dn denn, daß wir zwei Frauenzimmer uns so manche Stunde
unterhielten, während dein Papa im Garten Raupeujagd trieb?

Ich war schon so glücklich, euch, liebe Eltern, nur wieder nahe zu sein.
Jetzt soll mich auch noch ein drittes lieb haben?

Unglaublich, aber wahr!

Genug jetzt, schloß der Fabrikant, sonst bethörst du mir den Jungen, bis
er auf der Stelle dem Fräulein einen Antrag macht. Die Ehe ist kein Logir-
haus, das man heute betritt und von dem man morgen wieder loskommen kann.
Fürs Leben! Das ist ein furchtbar ernstes Wort. Lernt einander erst gründ¬
lich kennen. Gesteht einander offen eure Schwächen. Ernüchtert euch. Laufe
einander nicht im Rausch in die Arme. Wir haben für dich gewählt, aber du
bist ganz frei, Sohn, und jedes Mädchen aus gutem Hause, notabene aus



*) Einige tötet Cupido mit Pfeilen, andre in Fallen.
Auf der toller des Glücks.

Berthold blickte sinnend vor sich nieder. Davon hatte ich keine Ahnung,
sagte er, halb geschmeichelt, halb verlegen.

In Wirklichkeit verhielt sich die Sache übrigens etwas anders.

Der Vers bestand aus einer Zeile aus Shakespeares Sommernachtstraum
und hieß:


Zorns Luxiä Knif ivitli »roof, soins nÄü trg.ps.

Fräulein von Mockritz hatte ihn zitirt, als sie einen kleinen, im Palmenhause
stehenden Amor bewundern mußte, und da Frau Anna das Zitat ihrem Kaspar
Benedikt mitteilen wollte, hatte das Fräulein es auf die Rückseite der nächst¬
besten Photographie für ihn aufgeschrieben, es aber überkritzelt, als sich dieselbe
als Vertholds Bild auswies. Die mit dem Diamant eingeschnittenen Initialen
waren nicht B und H, sondern O und H gewesen, eine durch das Zerspringen
der Scheibe noch zur rechten Zeit unschädlich gemachte Unbedachtsamkeit. Die
Faxen auf dem Kürbis endlich waren die herkömmlichen gewesen: ein Sonne,
ein Halbmond, ein paar Sterne, ein Haus, ein Herz — für Frau Annas immer
alles auf ihren Berthold znrückbeziehende Phantasie die Illustration zu ihrem
Lieblingsliede:


Eine Hütte und ein Herz,
Andres wünsch' ich nicht hinieden,
Maid und Stern und Sonne hört's!
Andres nicht sei mir beschicken,
Als ein Hüttchen und ein Herz!

Nein, davon hatte ich keine Ahnung! wiederholte Berthold, ich bin doch
wahrlich das Gegenteil von hübsch!

Das ist Geschmacksache, lächelte Frau Anna, denn seine Bescheidenheit ver¬
schönerte ihn freilich bis zur Anmut.

Und dann — sie kennt mich ja kaum!

Wovon denkst dn denn, daß wir zwei Frauenzimmer uns so manche Stunde
unterhielten, während dein Papa im Garten Raupeujagd trieb?

Ich war schon so glücklich, euch, liebe Eltern, nur wieder nahe zu sein.
Jetzt soll mich auch noch ein drittes lieb haben?

Unglaublich, aber wahr!

Genug jetzt, schloß der Fabrikant, sonst bethörst du mir den Jungen, bis
er auf der Stelle dem Fräulein einen Antrag macht. Die Ehe ist kein Logir-
haus, das man heute betritt und von dem man morgen wieder loskommen kann.
Fürs Leben! Das ist ein furchtbar ernstes Wort. Lernt einander erst gründ¬
lich kennen. Gesteht einander offen eure Schwächen. Ernüchtert euch. Laufe
einander nicht im Rausch in die Arme. Wir haben für dich gewählt, aber du
bist ganz frei, Sohn, und jedes Mädchen aus gutem Hause, notabene aus



*) Einige tötet Cupido mit Pfeilen, andre in Fallen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155157"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf der toller des Glücks.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1116"> Berthold blickte sinnend vor sich nieder. Davon hatte ich keine Ahnung,<lb/>
sagte er, halb geschmeichelt, halb verlegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1117"> In Wirklichkeit verhielt sich die Sache übrigens etwas anders.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118" next="#ID_1119"> Der Vers bestand aus einer Zeile aus Shakespeares Sommernachtstraum<lb/>
und hieß:</p><lb/>
          <quote> Zorns Luxiä Knif ivitli »roof, soins nÄü trg.ps.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1119" prev="#ID_1118"> Fräulein von Mockritz hatte ihn zitirt, als sie einen kleinen, im Palmenhause<lb/>
stehenden Amor bewundern mußte, und da Frau Anna das Zitat ihrem Kaspar<lb/>
Benedikt mitteilen wollte, hatte das Fräulein es auf die Rückseite der nächst¬<lb/>
besten Photographie für ihn aufgeschrieben, es aber überkritzelt, als sich dieselbe<lb/>
als Vertholds Bild auswies. Die mit dem Diamant eingeschnittenen Initialen<lb/>
waren nicht B und H, sondern O und H gewesen, eine durch das Zerspringen<lb/>
der Scheibe noch zur rechten Zeit unschädlich gemachte Unbedachtsamkeit. Die<lb/>
Faxen auf dem Kürbis endlich waren die herkömmlichen gewesen: ein Sonne,<lb/>
ein Halbmond, ein paar Sterne, ein Haus, ein Herz &#x2014; für Frau Annas immer<lb/>
alles auf ihren Berthold znrückbeziehende Phantasie die Illustration zu ihrem<lb/>
Lieblingsliede:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_8" type="poem">
              <l> Eine Hütte und ein Herz,<lb/>
Andres wünsch' ich nicht hinieden,<lb/>
Maid und Stern und Sonne hört's!<lb/>
Andres nicht sei mir beschicken,<lb/>
Als ein Hüttchen und ein Herz!</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1120"> Nein, davon hatte ich keine Ahnung! wiederholte Berthold, ich bin doch<lb/>
wahrlich das Gegenteil von hübsch!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1121"> Das ist Geschmacksache, lächelte Frau Anna, denn seine Bescheidenheit ver¬<lb/>
schönerte ihn freilich bis zur Anmut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1122"> Und dann &#x2014; sie kennt mich ja kaum!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1123"> Wovon denkst dn denn, daß wir zwei Frauenzimmer uns so manche Stunde<lb/>
unterhielten, während dein Papa im Garten Raupeujagd trieb?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1124"> Ich war schon so glücklich, euch, liebe Eltern, nur wieder nahe zu sein.<lb/>
Jetzt soll mich auch noch ein drittes lieb haben?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1125"> Unglaublich, aber wahr!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1126" next="#ID_1127"> Genug jetzt, schloß der Fabrikant, sonst bethörst du mir den Jungen, bis<lb/>
er auf der Stelle dem Fräulein einen Antrag macht. Die Ehe ist kein Logir-<lb/>
haus, das man heute betritt und von dem man morgen wieder loskommen kann.<lb/>
Fürs Leben! Das ist ein furchtbar ernstes Wort. Lernt einander erst gründ¬<lb/>
lich kennen. Gesteht einander offen eure Schwächen. Ernüchtert euch. Laufe<lb/>
einander nicht im Rausch in die Arme. Wir haben für dich gewählt, aber du<lb/>
bist ganz frei, Sohn, und jedes Mädchen aus gutem Hause, notabene aus</p><lb/>
          <note xml:id="FID_24" place="foot"> *) Einige tötet Cupido mit Pfeilen, andre in Fallen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] Auf der toller des Glücks. Berthold blickte sinnend vor sich nieder. Davon hatte ich keine Ahnung, sagte er, halb geschmeichelt, halb verlegen. In Wirklichkeit verhielt sich die Sache übrigens etwas anders. Der Vers bestand aus einer Zeile aus Shakespeares Sommernachtstraum und hieß: Zorns Luxiä Knif ivitli »roof, soins nÄü trg.ps. Fräulein von Mockritz hatte ihn zitirt, als sie einen kleinen, im Palmenhause stehenden Amor bewundern mußte, und da Frau Anna das Zitat ihrem Kaspar Benedikt mitteilen wollte, hatte das Fräulein es auf die Rückseite der nächst¬ besten Photographie für ihn aufgeschrieben, es aber überkritzelt, als sich dieselbe als Vertholds Bild auswies. Die mit dem Diamant eingeschnittenen Initialen waren nicht B und H, sondern O und H gewesen, eine durch das Zerspringen der Scheibe noch zur rechten Zeit unschädlich gemachte Unbedachtsamkeit. Die Faxen auf dem Kürbis endlich waren die herkömmlichen gewesen: ein Sonne, ein Halbmond, ein paar Sterne, ein Haus, ein Herz — für Frau Annas immer alles auf ihren Berthold znrückbeziehende Phantasie die Illustration zu ihrem Lieblingsliede: Eine Hütte und ein Herz, Andres wünsch' ich nicht hinieden, Maid und Stern und Sonne hört's! Andres nicht sei mir beschicken, Als ein Hüttchen und ein Herz! Nein, davon hatte ich keine Ahnung! wiederholte Berthold, ich bin doch wahrlich das Gegenteil von hübsch! Das ist Geschmacksache, lächelte Frau Anna, denn seine Bescheidenheit ver¬ schönerte ihn freilich bis zur Anmut. Und dann — sie kennt mich ja kaum! Wovon denkst dn denn, daß wir zwei Frauenzimmer uns so manche Stunde unterhielten, während dein Papa im Garten Raupeujagd trieb? Ich war schon so glücklich, euch, liebe Eltern, nur wieder nahe zu sein. Jetzt soll mich auch noch ein drittes lieb haben? Unglaublich, aber wahr! Genug jetzt, schloß der Fabrikant, sonst bethörst du mir den Jungen, bis er auf der Stelle dem Fräulein einen Antrag macht. Die Ehe ist kein Logir- haus, das man heute betritt und von dem man morgen wieder loskommen kann. Fürs Leben! Das ist ein furchtbar ernstes Wort. Lernt einander erst gründ¬ lich kennen. Gesteht einander offen eure Schwächen. Ernüchtert euch. Laufe einander nicht im Rausch in die Arme. Wir haben für dich gewählt, aber du bist ganz frei, Sohn, und jedes Mädchen aus gutem Hause, notabene aus *) Einige tötet Cupido mit Pfeilen, andre in Fallen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/274>, abgerufen am 02.10.2024.