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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

gabung von vornherein vorhanden war. Weder das Material der Farbe noch
die Fähigkeit, Farben zu erkennen, machen allein den Maler aus. Wie die
Normannen in erster Linie für den Krieg angelegt waren, so hatte die Natur
den Leuten, welche sich an den Ufern der Maas, der Scheide und an den Aus¬
flüssen des Rheins auf dem beweglichen Dünensande ansiedelten, die Gabe der
Kunst mit auf den Weg gegeben. Die Niederländer sind ein spezifisches Kunst¬
volk. Die Organe für die Kunst waren ihr natürliches Besitztum, und nur
die Ausbildung derselben war äußeren Einflüssen unterworfen. Wir müssen
diese Thatsache g, priori als vorhanden einnehmen, da sich auf dem Wege der
Analhse nicht mehr feststellen läßt, weshalb gerade die Niederländer im Besitz
dieser Organe waren. Diese Thatsache ist aber umso wunderbarer, als die
Bevölkerung jenes Länderkomplexcs, welcher heute das Königreich der Nieder¬
lande und das Königreich Belgien bildet, eigentlich ein Mischvolk ist. Schon
die Belger selbst, welche dem letzteren den Namen gegeben haben, waren kein
rein gallischer Stamm, sondern aus Kelten und Germanen gemischt; dagegen waren
die nördlicher wohnenden Bataver und Friesen reine Germanen. Während die
Bevölkerung dieses nördlichen Teils der Niederlande sich bis auf den heutigen
Tag rein erhalten hat, spiegeln sich in Belgien die alten Verhältnisse noch hente
wieder, indem die autochthone Einwohnerschaft zur einen Hälfte vlämisch, also
germanischer Herkunft, zur andern Hülste wallonisch, also keltischen Ursprungs
ist. Trotzdem daß der Boden, auf welchem diese Bevölkerung ansässig war, im
großen und ganzen eine gleiche Physiognomie trug, machte sich der Riß, welcher
dnrch die nördlichen und südlichen Landschaften ging, schon frühzeitig in der
Kunst, in der Religion und im Staatswesen geltend. Die Lostrennnng der
sieben nördlichen Provinzen von den südlichen im Jahre 1ö81 gab diesem
Zwiespalt nur den politischen Ausdruck.

Von vornherein war die Bevölkerung der südlichen Niederlande lebhafter,
feuriger, temperamentvoller. Der Sinn für äußere Pracht und festlichen Glanz
war hier bei weitem mehr entwickelt als im Norden. Man braucht nur eine
vlämische Kirmes mit einer holländischen zu vergleichen, um auf die Verschieden¬
artigkeit des Volkscharakters bei aller scheinbaren Einheit in den Gebräuchen
aufmerksam zu werden. Im Süden die Freude an glänzenden Aufzügen, das
Aufgehen des Individuums in der Masse, im Norden, wo sich der Charakter
im beständigen Kampfe mit den Elementen mehr schärft und festigt, das Hervor¬
treten des Individuums, die Freude am Bewähren der persönlichen Tüchtigkeit
und, darnach auf die Kunst angewendet, die Freude am Bildnis des Einzelnen
und an größern Pvrträtgruppen, die aber auch nur auserwählte Individuen
umfassen. Die Schützen- und Regentenstücke, welche in der holländischen Portrait-
malerei eine so bedeutsame Rolle spielen, sind ans diesen Charakterzug zurück¬
zuführen. Der Süden kennt solche Porträtgruppen von Leuten aus dem mittlern
Bürgerstande nicht. Die größere Prachtliebe brachte den Südländer auch dazu,


Grenzboten I. 1884. M
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

gabung von vornherein vorhanden war. Weder das Material der Farbe noch
die Fähigkeit, Farben zu erkennen, machen allein den Maler aus. Wie die
Normannen in erster Linie für den Krieg angelegt waren, so hatte die Natur
den Leuten, welche sich an den Ufern der Maas, der Scheide und an den Aus¬
flüssen des Rheins auf dem beweglichen Dünensande ansiedelten, die Gabe der
Kunst mit auf den Weg gegeben. Die Niederländer sind ein spezifisches Kunst¬
volk. Die Organe für die Kunst waren ihr natürliches Besitztum, und nur
die Ausbildung derselben war äußeren Einflüssen unterworfen. Wir müssen
diese Thatsache g, priori als vorhanden einnehmen, da sich auf dem Wege der
Analhse nicht mehr feststellen läßt, weshalb gerade die Niederländer im Besitz
dieser Organe waren. Diese Thatsache ist aber umso wunderbarer, als die
Bevölkerung jenes Länderkomplexcs, welcher heute das Königreich der Nieder¬
lande und das Königreich Belgien bildet, eigentlich ein Mischvolk ist. Schon
die Belger selbst, welche dem letzteren den Namen gegeben haben, waren kein
rein gallischer Stamm, sondern aus Kelten und Germanen gemischt; dagegen waren
die nördlicher wohnenden Bataver und Friesen reine Germanen. Während die
Bevölkerung dieses nördlichen Teils der Niederlande sich bis auf den heutigen
Tag rein erhalten hat, spiegeln sich in Belgien die alten Verhältnisse noch hente
wieder, indem die autochthone Einwohnerschaft zur einen Hälfte vlämisch, also
germanischer Herkunft, zur andern Hülste wallonisch, also keltischen Ursprungs
ist. Trotzdem daß der Boden, auf welchem diese Bevölkerung ansässig war, im
großen und ganzen eine gleiche Physiognomie trug, machte sich der Riß, welcher
dnrch die nördlichen und südlichen Landschaften ging, schon frühzeitig in der
Kunst, in der Religion und im Staatswesen geltend. Die Lostrennnng der
sieben nördlichen Provinzen von den südlichen im Jahre 1ö81 gab diesem
Zwiespalt nur den politischen Ausdruck.

Von vornherein war die Bevölkerung der südlichen Niederlande lebhafter,
feuriger, temperamentvoller. Der Sinn für äußere Pracht und festlichen Glanz
war hier bei weitem mehr entwickelt als im Norden. Man braucht nur eine
vlämische Kirmes mit einer holländischen zu vergleichen, um auf die Verschieden¬
artigkeit des Volkscharakters bei aller scheinbaren Einheit in den Gebräuchen
aufmerksam zu werden. Im Süden die Freude an glänzenden Aufzügen, das
Aufgehen des Individuums in der Masse, im Norden, wo sich der Charakter
im beständigen Kampfe mit den Elementen mehr schärft und festigt, das Hervor¬
treten des Individuums, die Freude am Bewähren der persönlichen Tüchtigkeit
und, darnach auf die Kunst angewendet, die Freude am Bildnis des Einzelnen
und an größern Pvrträtgruppen, die aber auch nur auserwählte Individuen
umfassen. Die Schützen- und Regentenstücke, welche in der holländischen Portrait-
malerei eine so bedeutsame Rolle spielen, sind ans diesen Charakterzug zurück¬
zuführen. Der Süden kennt solche Porträtgruppen von Leuten aus dem mittlern
Bürgerstande nicht. Die größere Prachtliebe brachte den Südländer auch dazu,


Grenzboten I. 1884. M
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[0243] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. gabung von vornherein vorhanden war. Weder das Material der Farbe noch die Fähigkeit, Farben zu erkennen, machen allein den Maler aus. Wie die Normannen in erster Linie für den Krieg angelegt waren, so hatte die Natur den Leuten, welche sich an den Ufern der Maas, der Scheide und an den Aus¬ flüssen des Rheins auf dem beweglichen Dünensande ansiedelten, die Gabe der Kunst mit auf den Weg gegeben. Die Niederländer sind ein spezifisches Kunst¬ volk. Die Organe für die Kunst waren ihr natürliches Besitztum, und nur die Ausbildung derselben war äußeren Einflüssen unterworfen. Wir müssen diese Thatsache g, priori als vorhanden einnehmen, da sich auf dem Wege der Analhse nicht mehr feststellen läßt, weshalb gerade die Niederländer im Besitz dieser Organe waren. Diese Thatsache ist aber umso wunderbarer, als die Bevölkerung jenes Länderkomplexcs, welcher heute das Königreich der Nieder¬ lande und das Königreich Belgien bildet, eigentlich ein Mischvolk ist. Schon die Belger selbst, welche dem letzteren den Namen gegeben haben, waren kein rein gallischer Stamm, sondern aus Kelten und Germanen gemischt; dagegen waren die nördlicher wohnenden Bataver und Friesen reine Germanen. Während die Bevölkerung dieses nördlichen Teils der Niederlande sich bis auf den heutigen Tag rein erhalten hat, spiegeln sich in Belgien die alten Verhältnisse noch hente wieder, indem die autochthone Einwohnerschaft zur einen Hälfte vlämisch, also germanischer Herkunft, zur andern Hülste wallonisch, also keltischen Ursprungs ist. Trotzdem daß der Boden, auf welchem diese Bevölkerung ansässig war, im großen und ganzen eine gleiche Physiognomie trug, machte sich der Riß, welcher dnrch die nördlichen und südlichen Landschaften ging, schon frühzeitig in der Kunst, in der Religion und im Staatswesen geltend. Die Lostrennnng der sieben nördlichen Provinzen von den südlichen im Jahre 1ö81 gab diesem Zwiespalt nur den politischen Ausdruck. Von vornherein war die Bevölkerung der südlichen Niederlande lebhafter, feuriger, temperamentvoller. Der Sinn für äußere Pracht und festlichen Glanz war hier bei weitem mehr entwickelt als im Norden. Man braucht nur eine vlämische Kirmes mit einer holländischen zu vergleichen, um auf die Verschieden¬ artigkeit des Volkscharakters bei aller scheinbaren Einheit in den Gebräuchen aufmerksam zu werden. Im Süden die Freude an glänzenden Aufzügen, das Aufgehen des Individuums in der Masse, im Norden, wo sich der Charakter im beständigen Kampfe mit den Elementen mehr schärft und festigt, das Hervor¬ treten des Individuums, die Freude am Bewähren der persönlichen Tüchtigkeit und, darnach auf die Kunst angewendet, die Freude am Bildnis des Einzelnen und an größern Pvrträtgruppen, die aber auch nur auserwählte Individuen umfassen. Die Schützen- und Regentenstücke, welche in der holländischen Portrait- malerei eine so bedeutsame Rolle spielen, sind ans diesen Charakterzug zurück¬ zuführen. Der Süden kennt solche Porträtgruppen von Leuten aus dem mittlern Bürgerstande nicht. Die größere Prachtliebe brachte den Südländer auch dazu, Grenzboten I. 1884. M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/243>, abgerufen am 01.07.2024.