Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf der Leiter des Glücks.

Sie waren nie so wortkarg, Hoheit, sagte Hermione, während sie behende
aus dem Sattel auf die Erde glitt. Lassen Sie uns heiter scheiden; ich mag
niemand um seine gute Laune gebracht haben. Es braucht ja nicht einzig in
der Tragödie zu heißen: 8070us g,uns, viam.

Sie sind ein Engel, sagte der Prinz, mit einem schmerzlichen Lächeln ihre
Hand festhaltend, hätten Sie doch fürs Leben mein guter Engel sein dürfen!
Morgen, fuhr er fort und gab ihre sich ihm entziehende Hand frei, muß unser
regierender Herr mir endlich den längst erbetenen Urlaub zu einer Weltumsege¬
lung bewilligen.

Beneidenswerter! rief Hermione, indem sie mit der Hand auf dem Herzen
von dannen eilte.

Beklagenswerter! hallte es ihr nach.

So schieden sie. --

Frau Anna stand bleich vor Angst in der Gartenpforte des Fasanen-
Wäldchens. Endlich! rief sie, als sie im Dämmerdunkel Hermione von der Seite
der van der Eiselschen Schonung herüberkommen sah. Wo blieben Sie? Wir
sind alle auf der Suche gewesen, der Vater, ich, unser Berthold, denn er ist
da, denken Sie, unser Berthold ist da! Aber wo blieben Sie, bestes Fräulein?
Hatten Sie sich verirrt?

Sehr verirrt! sagte Hermione, seien Sie nachsichtig und lassen Sie mich
heute Abend ruhig auf meinem Zimmer bleiben.

Was ist da von Nachsicht zu reden, versetzte Frau Anna, indem sie die
Wiedergefundene umarmte, Gott sei Dank, daß Sie wieder heil und ganz zur
Stelle sind. Aber der abscheuliche Wald! Es ist zwar wahr, er soll für Leute,
die sich ans die Banmabzeichen der Forstverwaltung verstehen, garnicht so schlimm
sein. Mein guter Alter hat sogar eine Art Landkarte, die bis an die Grenze
reicht, und auf der ist jede Lichtung und jede Schneuse deutlich eingetragen.
Ich meinesteils bin aber nie vor dem Verirren sicher. Nun, da sind wir ja
schon am Hause. Das Abendbrot soll Ihnen aufs Zimmer geschickt werden.
Zerzaust sehen Sie ohnehin ans. Die bösen Büsche und Brombeerstanden!
Nein, so hätte mein Berthold Sie auch garnicht sehen dürfen. Ein Glück noch,
daß es kein Gewitter gab! Es drohte, nicht wahr? es drohte. Nachher verzog
sichs, und der Abend ward noch ganz schön.

Ich habe nie einen schönern erlebt, sagte Hermione fast elegisch; gute Nacht!

Nun, nun, versetzte Frau Anna, für uns andern ist es noch nicht Schla¬
fenszeit.

Sie blickte der trcppnnf gehenden mit besorgter Miene nach. Dann aber
rieb sie sich die Hände. Er müßte ein Eisbär sein, wenn er an ihr nicht zum
Narren würde, redete sie schmunzelnd vor sich hin; selbst die verknitterte Krause
und das Haargcwirre auf der Stirn vermochten nicht, sie zu entstellen. Das
arme Schäfchen! Wie die Angst es zugerichtet hat! Aber immer behält sie


Auf der Leiter des Glücks.

Sie waren nie so wortkarg, Hoheit, sagte Hermione, während sie behende
aus dem Sattel auf die Erde glitt. Lassen Sie uns heiter scheiden; ich mag
niemand um seine gute Laune gebracht haben. Es braucht ja nicht einzig in
der Tragödie zu heißen: 8070us g,uns, viam.

Sie sind ein Engel, sagte der Prinz, mit einem schmerzlichen Lächeln ihre
Hand festhaltend, hätten Sie doch fürs Leben mein guter Engel sein dürfen!
Morgen, fuhr er fort und gab ihre sich ihm entziehende Hand frei, muß unser
regierender Herr mir endlich den längst erbetenen Urlaub zu einer Weltumsege¬
lung bewilligen.

Beneidenswerter! rief Hermione, indem sie mit der Hand auf dem Herzen
von dannen eilte.

Beklagenswerter! hallte es ihr nach.

So schieden sie. —

Frau Anna stand bleich vor Angst in der Gartenpforte des Fasanen-
Wäldchens. Endlich! rief sie, als sie im Dämmerdunkel Hermione von der Seite
der van der Eiselschen Schonung herüberkommen sah. Wo blieben Sie? Wir
sind alle auf der Suche gewesen, der Vater, ich, unser Berthold, denn er ist
da, denken Sie, unser Berthold ist da! Aber wo blieben Sie, bestes Fräulein?
Hatten Sie sich verirrt?

Sehr verirrt! sagte Hermione, seien Sie nachsichtig und lassen Sie mich
heute Abend ruhig auf meinem Zimmer bleiben.

Was ist da von Nachsicht zu reden, versetzte Frau Anna, indem sie die
Wiedergefundene umarmte, Gott sei Dank, daß Sie wieder heil und ganz zur
Stelle sind. Aber der abscheuliche Wald! Es ist zwar wahr, er soll für Leute,
die sich ans die Banmabzeichen der Forstverwaltung verstehen, garnicht so schlimm
sein. Mein guter Alter hat sogar eine Art Landkarte, die bis an die Grenze
reicht, und auf der ist jede Lichtung und jede Schneuse deutlich eingetragen.
Ich meinesteils bin aber nie vor dem Verirren sicher. Nun, da sind wir ja
schon am Hause. Das Abendbrot soll Ihnen aufs Zimmer geschickt werden.
Zerzaust sehen Sie ohnehin ans. Die bösen Büsche und Brombeerstanden!
Nein, so hätte mein Berthold Sie auch garnicht sehen dürfen. Ein Glück noch,
daß es kein Gewitter gab! Es drohte, nicht wahr? es drohte. Nachher verzog
sichs, und der Abend ward noch ganz schön.

Ich habe nie einen schönern erlebt, sagte Hermione fast elegisch; gute Nacht!

Nun, nun, versetzte Frau Anna, für uns andern ist es noch nicht Schla¬
fenszeit.

Sie blickte der trcppnnf gehenden mit besorgter Miene nach. Dann aber
rieb sie sich die Hände. Er müßte ein Eisbär sein, wenn er an ihr nicht zum
Narren würde, redete sie schmunzelnd vor sich hin; selbst die verknitterte Krause
und das Haargcwirre auf der Stirn vermochten nicht, sie zu entstellen. Das
arme Schäfchen! Wie die Angst es zugerichtet hat! Aber immer behält sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155104"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf der Leiter des Glücks.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_909"> Sie waren nie so wortkarg, Hoheit, sagte Hermione, während sie behende<lb/>
aus dem Sattel auf die Erde glitt. Lassen Sie uns heiter scheiden; ich mag<lb/>
niemand um seine gute Laune gebracht haben. Es braucht ja nicht einzig in<lb/>
der Tragödie zu heißen: 8070us g,uns, viam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_910"> Sie sind ein Engel, sagte der Prinz, mit einem schmerzlichen Lächeln ihre<lb/>
Hand festhaltend, hätten Sie doch fürs Leben mein guter Engel sein dürfen!<lb/>
Morgen, fuhr er fort und gab ihre sich ihm entziehende Hand frei, muß unser<lb/>
regierender Herr mir endlich den längst erbetenen Urlaub zu einer Weltumsege¬<lb/>
lung bewilligen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_911"> Beneidenswerter! rief Hermione, indem sie mit der Hand auf dem Herzen<lb/>
von dannen eilte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_912"> Beklagenswerter! hallte es ihr nach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_913"> So schieden sie. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_914"> Frau Anna stand bleich vor Angst in der Gartenpforte des Fasanen-<lb/>
Wäldchens. Endlich! rief sie, als sie im Dämmerdunkel Hermione von der Seite<lb/>
der van der Eiselschen Schonung herüberkommen sah. Wo blieben Sie? Wir<lb/>
sind alle auf der Suche gewesen, der Vater, ich, unser Berthold, denn er ist<lb/>
da, denken Sie, unser Berthold ist da! Aber wo blieben Sie, bestes Fräulein?<lb/>
Hatten Sie sich verirrt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_915"> Sehr verirrt! sagte Hermione, seien Sie nachsichtig und lassen Sie mich<lb/>
heute Abend ruhig auf meinem Zimmer bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_916"> Was ist da von Nachsicht zu reden, versetzte Frau Anna, indem sie die<lb/>
Wiedergefundene umarmte, Gott sei Dank, daß Sie wieder heil und ganz zur<lb/>
Stelle sind. Aber der abscheuliche Wald! Es ist zwar wahr, er soll für Leute,<lb/>
die sich ans die Banmabzeichen der Forstverwaltung verstehen, garnicht so schlimm<lb/>
sein. Mein guter Alter hat sogar eine Art Landkarte, die bis an die Grenze<lb/>
reicht, und auf der ist jede Lichtung und jede Schneuse deutlich eingetragen.<lb/>
Ich meinesteils bin aber nie vor dem Verirren sicher. Nun, da sind wir ja<lb/>
schon am Hause. Das Abendbrot soll Ihnen aufs Zimmer geschickt werden.<lb/>
Zerzaust sehen Sie ohnehin ans. Die bösen Büsche und Brombeerstanden!<lb/>
Nein, so hätte mein Berthold Sie auch garnicht sehen dürfen. Ein Glück noch,<lb/>
daß es kein Gewitter gab! Es drohte, nicht wahr? es drohte. Nachher verzog<lb/>
sichs, und der Abend ward noch ganz schön.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_917"> Ich habe nie einen schönern erlebt, sagte Hermione fast elegisch; gute Nacht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_918"> Nun, nun, versetzte Frau Anna, für uns andern ist es noch nicht Schla¬<lb/>
fenszeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_919" next="#ID_920"> Sie blickte der trcppnnf gehenden mit besorgter Miene nach. Dann aber<lb/>
rieb sie sich die Hände. Er müßte ein Eisbär sein, wenn er an ihr nicht zum<lb/>
Narren würde, redete sie schmunzelnd vor sich hin; selbst die verknitterte Krause<lb/>
und das Haargcwirre auf der Stirn vermochten nicht, sie zu entstellen. Das<lb/>
arme Schäfchen! Wie die Angst es zugerichtet hat! Aber immer behält sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Auf der Leiter des Glücks. Sie waren nie so wortkarg, Hoheit, sagte Hermione, während sie behende aus dem Sattel auf die Erde glitt. Lassen Sie uns heiter scheiden; ich mag niemand um seine gute Laune gebracht haben. Es braucht ja nicht einzig in der Tragödie zu heißen: 8070us g,uns, viam. Sie sind ein Engel, sagte der Prinz, mit einem schmerzlichen Lächeln ihre Hand festhaltend, hätten Sie doch fürs Leben mein guter Engel sein dürfen! Morgen, fuhr er fort und gab ihre sich ihm entziehende Hand frei, muß unser regierender Herr mir endlich den längst erbetenen Urlaub zu einer Weltumsege¬ lung bewilligen. Beneidenswerter! rief Hermione, indem sie mit der Hand auf dem Herzen von dannen eilte. Beklagenswerter! hallte es ihr nach. So schieden sie. — Frau Anna stand bleich vor Angst in der Gartenpforte des Fasanen- Wäldchens. Endlich! rief sie, als sie im Dämmerdunkel Hermione von der Seite der van der Eiselschen Schonung herüberkommen sah. Wo blieben Sie? Wir sind alle auf der Suche gewesen, der Vater, ich, unser Berthold, denn er ist da, denken Sie, unser Berthold ist da! Aber wo blieben Sie, bestes Fräulein? Hatten Sie sich verirrt? Sehr verirrt! sagte Hermione, seien Sie nachsichtig und lassen Sie mich heute Abend ruhig auf meinem Zimmer bleiben. Was ist da von Nachsicht zu reden, versetzte Frau Anna, indem sie die Wiedergefundene umarmte, Gott sei Dank, daß Sie wieder heil und ganz zur Stelle sind. Aber der abscheuliche Wald! Es ist zwar wahr, er soll für Leute, die sich ans die Banmabzeichen der Forstverwaltung verstehen, garnicht so schlimm sein. Mein guter Alter hat sogar eine Art Landkarte, die bis an die Grenze reicht, und auf der ist jede Lichtung und jede Schneuse deutlich eingetragen. Ich meinesteils bin aber nie vor dem Verirren sicher. Nun, da sind wir ja schon am Hause. Das Abendbrot soll Ihnen aufs Zimmer geschickt werden. Zerzaust sehen Sie ohnehin ans. Die bösen Büsche und Brombeerstanden! Nein, so hätte mein Berthold Sie auch garnicht sehen dürfen. Ein Glück noch, daß es kein Gewitter gab! Es drohte, nicht wahr? es drohte. Nachher verzog sichs, und der Abend ward noch ganz schön. Ich habe nie einen schönern erlebt, sagte Hermione fast elegisch; gute Nacht! Nun, nun, versetzte Frau Anna, für uns andern ist es noch nicht Schla¬ fenszeit. Sie blickte der trcppnnf gehenden mit besorgter Miene nach. Dann aber rieb sie sich die Hände. Er müßte ein Eisbär sein, wenn er an ihr nicht zum Narren würde, redete sie schmunzelnd vor sich hin; selbst die verknitterte Krause und das Haargcwirre auf der Stirn vermochten nicht, sie zu entstellen. Das arme Schäfchen! Wie die Angst es zugerichtet hat! Aber immer behält sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/221>, abgerufen am 03.07.2024.