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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Lin Vorläufer L-isscilles,

Nach und nach ward die Milch der Tiere eine Nahrung für die Menschen.
Um sie ohne viel Mühe haben zu können, zähmte man die friedlichsten von
ihnen. So entstand das Hirtenleben und die Teilung der Gesellschaft in Bernfs-
klcisscn. Bald fing der Schäfer an, die Herde zu zählen, und der Jäger die
Häute; so entstand, ohne daß man es merkte, der Begriff des beweglichen Eigen¬
tums. "Das Schaf ist von meiner Heerde, sagte jetzt ein Schäfer zu dem
andern mit ernster Miene, die diesen lachen machte. Das Wort "meiner" hatte
er nicht verstanden, wohl aber die Miene, die ihm soviel sagen wollte als:
minus nicht."

Allmählich gewöhnte man sich an das Recht des Eigentums. Dasselbe
war damals wirklich eine zeitgemäße und nützliche Institution; denn an zahmen
und wilden Tieren war kein Mangel.

Dann ward der Ackerbau erfunden. Aber da stellte sich der Übelstand ein,
daß, wo der eine gesäet hatte, andre ernten wollten. Um dem vorzubeugen,
verbanden sich die Ackerbauer zu gegenseitiger Sicherung des Genusses ihrer
Arbeit. Da kam im nächsten Jahre ein neuer Adept der Arbeit. Er säete
aber, anstatt sich ein Stück Land urbar zu machen, auf das bereits urbar ge¬
machte Land. "Was, hieß es, ich habe das Land im Schweiße meines Ange¬
sichts urbar gemacht, und du kommst, darauf zu säen? Das Land ist mein!
fügte er hinzu, drehte sich aber schamrot um, vor seinein eignen Ausspruch er¬
schreckend. Das Land ist mein! hallte das Echo nach. Ist sein? fragte der
bestürzte Säemann. Mein, sein und unser, wiederholten die horchenden Nachbarn."

Damit war das Eigentum auch an Grund und Boden anerkannt. Es
fand keinen Widerspruch; denn das Land war damals im Überfluß vorhanden.
Das Gesetz paßte also ganz für jene Zeiten.

Aber seitdem hat sich das Menschengeschlecht bedeutend vermehrt. Der
Boden dagegen ist immer derselbe geblieben. Er ist ganz und gar verteilt
worden, und es giebt heute kein Stück Land mehr, das nicht einen Herrn hätte,
während es eine große Menge von Menschen giebt, die kein Eigentum haben.
Damit ist das Eigentum gerichtet. Es ist ein gegen die Gesellschaft verübtes
Unrecht geworden, ein unverzeihlicher, schändlicher Diebstahl. Zugleich aber ist
es seitdem die Ursache aller Übel, alles Mangels, aller Not.

Zunächst zwang das Eigentum die Gesellschaft, die Erbschaft einzuführen,
um den bei dem Tode eines Besitzers um sein Eigentum drohenden Streitig¬
keiten vorzubeugen. Damit kamen manche ohne irgend welche Arbeit in den
Besitz von Produkten, und so wurde der Müßiggang eine Wirkung des Eigentums.

Die gemeinsamen Interessen aber, vor allem die Furcht vor Beraubung,
bewogen die Eigentümer, sich zusammenzuschließen und ihre persönlichen Inter¬
essen in den Tagen der Gefahr beiseite zu setzen. Je länger diese Gefahr nun
mehreren Stämmen drohte, desto mehr blieben sie miteinander verbunden, und
so gewöhnten sie sich durch eine genauere Bekanntschaft miteinander und durch


Lin Vorläufer L-isscilles,

Nach und nach ward die Milch der Tiere eine Nahrung für die Menschen.
Um sie ohne viel Mühe haben zu können, zähmte man die friedlichsten von
ihnen. So entstand das Hirtenleben und die Teilung der Gesellschaft in Bernfs-
klcisscn. Bald fing der Schäfer an, die Herde zu zählen, und der Jäger die
Häute; so entstand, ohne daß man es merkte, der Begriff des beweglichen Eigen¬
tums. „Das Schaf ist von meiner Heerde, sagte jetzt ein Schäfer zu dem
andern mit ernster Miene, die diesen lachen machte. Das Wort „meiner" hatte
er nicht verstanden, wohl aber die Miene, die ihm soviel sagen wollte als:
minus nicht."

Allmählich gewöhnte man sich an das Recht des Eigentums. Dasselbe
war damals wirklich eine zeitgemäße und nützliche Institution; denn an zahmen
und wilden Tieren war kein Mangel.

Dann ward der Ackerbau erfunden. Aber da stellte sich der Übelstand ein,
daß, wo der eine gesäet hatte, andre ernten wollten. Um dem vorzubeugen,
verbanden sich die Ackerbauer zu gegenseitiger Sicherung des Genusses ihrer
Arbeit. Da kam im nächsten Jahre ein neuer Adept der Arbeit. Er säete
aber, anstatt sich ein Stück Land urbar zu machen, auf das bereits urbar ge¬
machte Land. „Was, hieß es, ich habe das Land im Schweiße meines Ange¬
sichts urbar gemacht, und du kommst, darauf zu säen? Das Land ist mein!
fügte er hinzu, drehte sich aber schamrot um, vor seinein eignen Ausspruch er¬
schreckend. Das Land ist mein! hallte das Echo nach. Ist sein? fragte der
bestürzte Säemann. Mein, sein und unser, wiederholten die horchenden Nachbarn."

Damit war das Eigentum auch an Grund und Boden anerkannt. Es
fand keinen Widerspruch; denn das Land war damals im Überfluß vorhanden.
Das Gesetz paßte also ganz für jene Zeiten.

Aber seitdem hat sich das Menschengeschlecht bedeutend vermehrt. Der
Boden dagegen ist immer derselbe geblieben. Er ist ganz und gar verteilt
worden, und es giebt heute kein Stück Land mehr, das nicht einen Herrn hätte,
während es eine große Menge von Menschen giebt, die kein Eigentum haben.
Damit ist das Eigentum gerichtet. Es ist ein gegen die Gesellschaft verübtes
Unrecht geworden, ein unverzeihlicher, schändlicher Diebstahl. Zugleich aber ist
es seitdem die Ursache aller Übel, alles Mangels, aller Not.

Zunächst zwang das Eigentum die Gesellschaft, die Erbschaft einzuführen,
um den bei dem Tode eines Besitzers um sein Eigentum drohenden Streitig¬
keiten vorzubeugen. Damit kamen manche ohne irgend welche Arbeit in den
Besitz von Produkten, und so wurde der Müßiggang eine Wirkung des Eigentums.

Die gemeinsamen Interessen aber, vor allem die Furcht vor Beraubung,
bewogen die Eigentümer, sich zusammenzuschließen und ihre persönlichen Inter¬
essen in den Tagen der Gefahr beiseite zu setzen. Je länger diese Gefahr nun
mehreren Stämmen drohte, desto mehr blieben sie miteinander verbunden, und
so gewöhnten sie sich durch eine genauere Bekanntschaft miteinander und durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/182>, abgerufen am 04.07.2024.