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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des..Glücks.

seiner Art Dastehendes vorzustellen. Im Gegenteil empfiehlt es sich, um dem
Beispiel des Sokrates wirklich nacheifern zu können, die Gattin desselben sich
ganz so aufbrausend und wieder auch ganz so herzensgut auszumalen, wie Tem¬
peramente dieser gemischten Art uns selbst so häufig im Leben begegnet sind.
Denn an dem Beispiel des Ausharrens mit und neben einer Furie könne" wir
nichts lernen. Das liegt außerhalb unsers Vergleichungsvermögens. Dagegen
lernen wir viel eigne Selbstbeherrschung an dem Beispiel der die Grenze nicht
maßlos überschreitenden Selbstbeherrschung eines andern. Nach dem Ausspruch
eines englischen Denkers ist die Ehe, je nachdem wir sie mit Liebe oder mit
Haß zu sättigen beflissen sind, das vollkommenste Bild des Himmels oder der --
Hölle. Daß sie dem letztern Bilde entsprechen kann, dafür liefert die Geschichte
zahlreiche Belege. Der Begriff des Himmels ist ein minder bestimmter, und
wie am wirklichen Himmel Regen und Sonnenschein sich ablösen, wird die mit
ähnlichem Wechsel ausgestattete Ehe noch immer dem Himmel verglichen werden
dürfen. Man muß dabei nur vor allem an dem Glauben festhalten, daß sich
die Wolken zerstreuen lassen. Und guter Wille vermag dabei gerade soviel, wie
er wenig oder nichts vermag, um am wirklichen Himmel auf Regen oder Sonnen¬
schein Einfluß zu üben.

Dies waren so etwa die Auseinandersetzungen, mit denen Kaspar Bettedikt
-- denn er hatte den Winter über erstaunlich viel in der Bibliothek der Muster¬
villa umhergestöbert -- seine Gattin belehrte, eine Ehe könne auch ohne die
vorgängige Einmischung erfahrener Leute recht wohl eine glückliche werden, und
eine Braut für Berthold, den Adoptivsohn, aufzusuchen, sei daher ein müßiges
Beginnen.

Was heißt überhaupt eine glückliche Ehe? sagte er,, die Leiter des Glücks,
so las ich irgendwo, hat für den Ungenügsamen unzählige Sprossen, der Ge¬
nügsame richtet sich gleich auf der untersten Sprosse ein und befindet sich dort
ganz behaglich; versteht sich unser Sohn ans solche Genügsamkeit, so mag er in
Gottes Namen lediglich sein Herz und nicht erst lange unsre grämliche Klug¬
heit zu Rate ziehen.

Im übrigen gefiel ihm die junge Person, auf welche Frau Anna ihr Augen¬
merk gerichtet hatte -- man errät, daß es Fräulein Hermione von Mockritz
war --, ganz so gut, wie sie jedem, der nicht in Vorurteilen befangen war,
gefallen mußte.

Natürlich ahnt Hermione nichts davon, sagte Frau Anna, sie ist nie, wenn
ich mit Frau von Mockritz von solcher Möglichkeit sprach, in der Nähe gewesen.
Woran mir nur lag, war ein allmähliches Vorbereiten des Bodens, auf den
man zu treten hat. Es hieß, wie du weißt, Prinz Ottokar habe sich für sie
interessirt. Das, versichert die Mutter, ist bloßes Gerede gewesen. Fran von
Mockritz hat mit Hermione, wie früher auch mit ihren älteren Töchtern, die
Hofbülle besucht. Da hat Prinz Ottokar sie etwas auffallend ausgezeichnet.


Auf der Leiter des..Glücks.

seiner Art Dastehendes vorzustellen. Im Gegenteil empfiehlt es sich, um dem
Beispiel des Sokrates wirklich nacheifern zu können, die Gattin desselben sich
ganz so aufbrausend und wieder auch ganz so herzensgut auszumalen, wie Tem¬
peramente dieser gemischten Art uns selbst so häufig im Leben begegnet sind.
Denn an dem Beispiel des Ausharrens mit und neben einer Furie könne» wir
nichts lernen. Das liegt außerhalb unsers Vergleichungsvermögens. Dagegen
lernen wir viel eigne Selbstbeherrschung an dem Beispiel der die Grenze nicht
maßlos überschreitenden Selbstbeherrschung eines andern. Nach dem Ausspruch
eines englischen Denkers ist die Ehe, je nachdem wir sie mit Liebe oder mit
Haß zu sättigen beflissen sind, das vollkommenste Bild des Himmels oder der —
Hölle. Daß sie dem letztern Bilde entsprechen kann, dafür liefert die Geschichte
zahlreiche Belege. Der Begriff des Himmels ist ein minder bestimmter, und
wie am wirklichen Himmel Regen und Sonnenschein sich ablösen, wird die mit
ähnlichem Wechsel ausgestattete Ehe noch immer dem Himmel verglichen werden
dürfen. Man muß dabei nur vor allem an dem Glauben festhalten, daß sich
die Wolken zerstreuen lassen. Und guter Wille vermag dabei gerade soviel, wie
er wenig oder nichts vermag, um am wirklichen Himmel auf Regen oder Sonnen¬
schein Einfluß zu üben.

Dies waren so etwa die Auseinandersetzungen, mit denen Kaspar Bettedikt
— denn er hatte den Winter über erstaunlich viel in der Bibliothek der Muster¬
villa umhergestöbert — seine Gattin belehrte, eine Ehe könne auch ohne die
vorgängige Einmischung erfahrener Leute recht wohl eine glückliche werden, und
eine Braut für Berthold, den Adoptivsohn, aufzusuchen, sei daher ein müßiges
Beginnen.

Was heißt überhaupt eine glückliche Ehe? sagte er,, die Leiter des Glücks,
so las ich irgendwo, hat für den Ungenügsamen unzählige Sprossen, der Ge¬
nügsame richtet sich gleich auf der untersten Sprosse ein und befindet sich dort
ganz behaglich; versteht sich unser Sohn ans solche Genügsamkeit, so mag er in
Gottes Namen lediglich sein Herz und nicht erst lange unsre grämliche Klug¬
heit zu Rate ziehen.

Im übrigen gefiel ihm die junge Person, auf welche Frau Anna ihr Augen¬
merk gerichtet hatte — man errät, daß es Fräulein Hermione von Mockritz
war —, ganz so gut, wie sie jedem, der nicht in Vorurteilen befangen war,
gefallen mußte.

Natürlich ahnt Hermione nichts davon, sagte Frau Anna, sie ist nie, wenn
ich mit Frau von Mockritz von solcher Möglichkeit sprach, in der Nähe gewesen.
Woran mir nur lag, war ein allmähliches Vorbereiten des Bodens, auf den
man zu treten hat. Es hieß, wie du weißt, Prinz Ottokar habe sich für sie
interessirt. Das, versichert die Mutter, ist bloßes Gerede gewesen. Fran von
Mockritz hat mit Hermione, wie früher auch mit ihren älteren Töchtern, die
Hofbülle besucht. Da hat Prinz Ottokar sie etwas auffallend ausgezeichnet.


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[0114] Auf der Leiter des..Glücks. seiner Art Dastehendes vorzustellen. Im Gegenteil empfiehlt es sich, um dem Beispiel des Sokrates wirklich nacheifern zu können, die Gattin desselben sich ganz so aufbrausend und wieder auch ganz so herzensgut auszumalen, wie Tem¬ peramente dieser gemischten Art uns selbst so häufig im Leben begegnet sind. Denn an dem Beispiel des Ausharrens mit und neben einer Furie könne» wir nichts lernen. Das liegt außerhalb unsers Vergleichungsvermögens. Dagegen lernen wir viel eigne Selbstbeherrschung an dem Beispiel der die Grenze nicht maßlos überschreitenden Selbstbeherrschung eines andern. Nach dem Ausspruch eines englischen Denkers ist die Ehe, je nachdem wir sie mit Liebe oder mit Haß zu sättigen beflissen sind, das vollkommenste Bild des Himmels oder der — Hölle. Daß sie dem letztern Bilde entsprechen kann, dafür liefert die Geschichte zahlreiche Belege. Der Begriff des Himmels ist ein minder bestimmter, und wie am wirklichen Himmel Regen und Sonnenschein sich ablösen, wird die mit ähnlichem Wechsel ausgestattete Ehe noch immer dem Himmel verglichen werden dürfen. Man muß dabei nur vor allem an dem Glauben festhalten, daß sich die Wolken zerstreuen lassen. Und guter Wille vermag dabei gerade soviel, wie er wenig oder nichts vermag, um am wirklichen Himmel auf Regen oder Sonnen¬ schein Einfluß zu üben. Dies waren so etwa die Auseinandersetzungen, mit denen Kaspar Bettedikt — denn er hatte den Winter über erstaunlich viel in der Bibliothek der Muster¬ villa umhergestöbert — seine Gattin belehrte, eine Ehe könne auch ohne die vorgängige Einmischung erfahrener Leute recht wohl eine glückliche werden, und eine Braut für Berthold, den Adoptivsohn, aufzusuchen, sei daher ein müßiges Beginnen. Was heißt überhaupt eine glückliche Ehe? sagte er,, die Leiter des Glücks, so las ich irgendwo, hat für den Ungenügsamen unzählige Sprossen, der Ge¬ nügsame richtet sich gleich auf der untersten Sprosse ein und befindet sich dort ganz behaglich; versteht sich unser Sohn ans solche Genügsamkeit, so mag er in Gottes Namen lediglich sein Herz und nicht erst lange unsre grämliche Klug¬ heit zu Rate ziehen. Im übrigen gefiel ihm die junge Person, auf welche Frau Anna ihr Augen¬ merk gerichtet hatte — man errät, daß es Fräulein Hermione von Mockritz war —, ganz so gut, wie sie jedem, der nicht in Vorurteilen befangen war, gefallen mußte. Natürlich ahnt Hermione nichts davon, sagte Frau Anna, sie ist nie, wenn ich mit Frau von Mockritz von solcher Möglichkeit sprach, in der Nähe gewesen. Woran mir nur lag, war ein allmähliches Vorbereiten des Bodens, auf den man zu treten hat. Es hieß, wie du weißt, Prinz Ottokar habe sich für sie interessirt. Das, versichert die Mutter, ist bloßes Gerede gewesen. Fran von Mockritz hat mit Hermione, wie früher auch mit ihren älteren Töchtern, die Hofbülle besucht. Da hat Prinz Ottokar sie etwas auffallend ausgezeichnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/114>, abgerufen am 04.07.2024.