Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Bissula. kleiner Bolz, mit dem man das herzige Rotkehlchen trifft, Donars ethischen Ein Autor, der etwas auf sich hält, sollte endlich im Dialog nicht zu den In Summa: Dahns "Bissula ist ein unerfreuliches Buch, dessen buch¬ Und noch etwas andres gilt es hier. Das deutsche Professorentum erfreut Bissula. kleiner Bolz, mit dem man das herzige Rotkehlchen trifft, Donars ethischen Ein Autor, der etwas auf sich hält, sollte endlich im Dialog nicht zu den In Summa: Dahns „Bissula ist ein unerfreuliches Buch, dessen buch¬ Und noch etwas andres gilt es hier. Das deutsche Professorentum erfreut <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154989"/> <fw type="header" place="top"> Bissula.</fw><lb/> <p xml:id="ID_331" prev="#ID_330"> kleiner Bolz, mit dem man das herzige Rotkehlchen trifft, Donars ethischen<lb/> Liebling, nicht, es zu wunden, nein, ungesehrt es zu sahen, und in das Gehöft<lb/> zu tragen, an unsern Herd, auf daß es uns lieblich finge, Jahr für Jahr." Es<lb/> ist möglich, daß die Wörter „wunden," „sahen" und „ungesehrt" geheime und<lb/> große Vorzüge vor „verwunden," „fangen" und „unversehrt" besitzen; sicher ist<lb/> es, daß die Tage damals länger gewesen sein müssen, um diese entsetzliche Weit¬<lb/> schweifigkeit der Rede bei den geringfügigsten Anlässen zu gestatten. Denn auch<lb/> die Knechte erzählen nicht: „Er nannte mich einen Ochsen," sondern: „Er schrie<lb/> ein Wort in eurer Sprache ... es bedeutet ein horntragend Tier." Das<lb/> ist ebenfalls mit einem Worte zu kritisiren, es bedeutet Mangel an Geschmack<lb/> und Natürlichkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_332"> Ein Autor, der etwas auf sich hält, sollte endlich im Dialog nicht zu den<lb/> verbrauchtesten Kunstgriffen seine Zuflucht nehmen. Wendungen wie die: „Du<lb/> mußt deinem Herrn solgen, und der —" „Bin ich," sprach eine tiefe Stimme —<lb/> erinnern doch allzusehr an den Stil der Kolportageromane, die vom Küchen-<lb/> und Stallvertrieb leben. Vollends unleidlich werden sie, wenn ihrem wohlfeilen<lb/> Effekt zu Liebe der Satzbau und die Wortstellung eine gekünstelte Zuspitzung<lb/> erfahren müssen: „Ich brächte sicher heim unsers Volkes —" „Unterwerfung,"<lb/> schloß der Herzog."</p><lb/> <p xml:id="ID_333"> In Summa: Dahns „Bissula ist ein unerfreuliches Buch, dessen buch¬<lb/> händlerischer Erfolg den Verfasser eigentlich beschämen müßte. Denn er, der<lb/> soviel besseres kann, weiß doch sehr wohl, daß er ihn nur der Beschränktheit<lb/> und Kurzsichtigkeit des Publikums verdankt, das eben alles, was ihm im phan¬<lb/> tastischen Gewände ferner Vergangenheit geboten wird, auf Treu und Glauben<lb/> annimmt. Diese einfältige Leichtgläubigkeit auszunutzen, überläßt ja ein jeder<lb/> ernsthafte Mann den Industrierittern von der Feder. Aber man sollte ihr<lb/> auch nicht entgegenkommen dadurch, daß man Unreifes und Gehaltloses auf<lb/> den Markt wirft, weil man vielleicht ein Produkt müßiger Stunden gedruckt<lb/> sehen möchte, oder weil der Verleger, wohl wissend warum, auch einmal mit<lb/> leichter Waare zufrieden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_334"> Und noch etwas andres gilt es hier. Das deutsche Professorentum erfreut<lb/> sich überall in der Welt, wo Bildung herrscht, hoher Achtung und Ehre. Nun<lb/> kaun ja sicherlich ein tüchtiger Professor zugleich ein guter Dichter sein, und<lb/> wo ein Stoff ihm die Phantasie erregt, ist nicht abzusehen, warum er ihn nicht<lb/> poetisch darstellen sollte. Nur sollte er immer bedenken, daß unser Volk gewöhnt<lb/> ist, seine Professoren an der Spitze der Bildung marschiren zu sehen, und nur<lb/> Gutes, Gediegenes von ihnen zu erwarten. Es wäre schlimm, wenn in unsern<lb/> Tagen des Materialismus die Menge in dieser Überzeugung erschüttert würde.<lb/> Und doch wird selbst der geduldigste Leser Bücher, wie das vorliegende, nicht<lb/> zur Seite legen, ohne ein xarwriunt inorckss zu murmeln.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
Bissula.
kleiner Bolz, mit dem man das herzige Rotkehlchen trifft, Donars ethischen
Liebling, nicht, es zu wunden, nein, ungesehrt es zu sahen, und in das Gehöft
zu tragen, an unsern Herd, auf daß es uns lieblich finge, Jahr für Jahr." Es
ist möglich, daß die Wörter „wunden," „sahen" und „ungesehrt" geheime und
große Vorzüge vor „verwunden," „fangen" und „unversehrt" besitzen; sicher ist
es, daß die Tage damals länger gewesen sein müssen, um diese entsetzliche Weit¬
schweifigkeit der Rede bei den geringfügigsten Anlässen zu gestatten. Denn auch
die Knechte erzählen nicht: „Er nannte mich einen Ochsen," sondern: „Er schrie
ein Wort in eurer Sprache ... es bedeutet ein horntragend Tier." Das
ist ebenfalls mit einem Worte zu kritisiren, es bedeutet Mangel an Geschmack
und Natürlichkeit.
Ein Autor, der etwas auf sich hält, sollte endlich im Dialog nicht zu den
verbrauchtesten Kunstgriffen seine Zuflucht nehmen. Wendungen wie die: „Du
mußt deinem Herrn solgen, und der —" „Bin ich," sprach eine tiefe Stimme —
erinnern doch allzusehr an den Stil der Kolportageromane, die vom Küchen-
und Stallvertrieb leben. Vollends unleidlich werden sie, wenn ihrem wohlfeilen
Effekt zu Liebe der Satzbau und die Wortstellung eine gekünstelte Zuspitzung
erfahren müssen: „Ich brächte sicher heim unsers Volkes —" „Unterwerfung,"
schloß der Herzog."
In Summa: Dahns „Bissula ist ein unerfreuliches Buch, dessen buch¬
händlerischer Erfolg den Verfasser eigentlich beschämen müßte. Denn er, der
soviel besseres kann, weiß doch sehr wohl, daß er ihn nur der Beschränktheit
und Kurzsichtigkeit des Publikums verdankt, das eben alles, was ihm im phan¬
tastischen Gewände ferner Vergangenheit geboten wird, auf Treu und Glauben
annimmt. Diese einfältige Leichtgläubigkeit auszunutzen, überläßt ja ein jeder
ernsthafte Mann den Industrierittern von der Feder. Aber man sollte ihr
auch nicht entgegenkommen dadurch, daß man Unreifes und Gehaltloses auf
den Markt wirft, weil man vielleicht ein Produkt müßiger Stunden gedruckt
sehen möchte, oder weil der Verleger, wohl wissend warum, auch einmal mit
leichter Waare zufrieden ist.
Und noch etwas andres gilt es hier. Das deutsche Professorentum erfreut
sich überall in der Welt, wo Bildung herrscht, hoher Achtung und Ehre. Nun
kaun ja sicherlich ein tüchtiger Professor zugleich ein guter Dichter sein, und
wo ein Stoff ihm die Phantasie erregt, ist nicht abzusehen, warum er ihn nicht
poetisch darstellen sollte. Nur sollte er immer bedenken, daß unser Volk gewöhnt
ist, seine Professoren an der Spitze der Bildung marschiren zu sehen, und nur
Gutes, Gediegenes von ihnen zu erwarten. Es wäre schlimm, wenn in unsern
Tagen des Materialismus die Menge in dieser Überzeugung erschüttert würde.
Und doch wird selbst der geduldigste Leser Bücher, wie das vorliegende, nicht
zur Seite legen, ohne ein xarwriunt inorckss zu murmeln.
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