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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die französische Romantik im Anfang und Ausgang.

rung diesen Abend schildert, sagt sehr drastisch: "Das Haus war von oben bis
unten nichts als Seide, Juwelen, Spitzen, Blumen und leuchtende Schultern.
In diesem Glänze schüttelten zwei dunkle Massen im Parterre und in den
zweiten Galerien lange Mahnen." Die letzte Arbeit, mit welcher der alternde
Theophil Gautier, einer der Zeugen jenes Abends, sich beschäftigte, war die
Schilderung des Publikums, das sich zur Aufführung des "Hernani" versam¬
melt hatte. Da waren sie alle beisammen die jungen Männer der Generation
von 1830, von denen ein Teil zu Ruhm und glänzender Wirksamkeit, ein andrer
zu jenem dunkeln Untergang bestimmt war, welcher den werdenden, noch nicht
geprüften Kunstjünger immer bedroht. Die literarischen Genossen und die
jugendlichen Bewunderer Victor Hugos, Alfred de Musset und Alfred de Vigny,
Emile und Antoine Deschamps, Alexander Dumas, Prosper Merimee, die schon
berühmt zu werden begannen, dann Samt Beuve, Leo Gozlan, Gerard de
Nerval, August Macquet und die Brüder Borel mit einer ganzen Schar noch
namenloser Poeten und Autoren. Aus der dunkeln'Masse hervor leuchtete der
phantastische Theophil Gautier, der seine Vorliebe für den Purpur soweit aus¬
gedehnt hatte, daß er in einer Weste von flammendrotcm Atlas den Ärger aller
landüblich gekleideten Leute erweckte. Da waren in phantastischer Tracht die
Brüder Achill und Eugen Deveria, deren Stift die langmähnigen Charakter¬
köpfe jener Tage festgehalten hat, da scharten sich um Delacroix und Ary
Scheffer, um Dccamps und Gavarni die zahlreichen Ateliergenossen, die eben
dabei waren, die glänzende neuere französische Malerschule zu begründen. Da
fehlten auch die Vertreter der Musik nicht, da saß Hector Berlioz, der eben
seine "Phantastische Symphonie" beendet hatte, daWiccini, da Leon Fran?vis
Kreutzer, der Sohn jenes Violinisten, dessen Andenken Beethovens unsterbliche
Sonate ox. 47 erhalten hat, er selbst ein glänzender Kritiker und phantasie¬
voller Komponist, da Jean Vaptiste Tolbecque, der Quadrillenkomponist, und
Theophil Tilmant, der Schüler des ältern Kreutzer, sie alle zur Zeit nur hoff¬
nungsreiche, hochbegabte junge Männer, welche den Gipfel des Ruhmes lieber
erstürmen, erstiegen als mühsam erklimmen, und wenigstens einen von sich, den
Dichter des "Hernani," auf ihren Schultern emportragen wollten. Sie schüt¬
telten nach Frau Hugos Ausdruck die Mähnen gegen das elegante, erwartungs¬
voll, aber skeptisch dreinblickcude Publikum der Logen, sie sahen mit Verdruß
die hohnlächelnden Mienen älterer Autoren und der berühmten Kritiker.

Nicht mit Unrecht witterten die jugendlichen Heißsporne in der Masse des
Publikums und namentlich bei der Mehrzahl der Stimmführer des Publikums
entschiedenes Übelwollen gegen das neue Werk, dessen Erfolg oder Nichterfolg
über die Zukunft einer ganzen Kunstrichtung entscheiden sollte. Wohl gab es
auch in den Logen einzelne, deren Anschauung mit der der Jugend zusammenfiel.
Der vornehmste Schriftsteller Frankreichs, der eben von seiner römischen Ge¬
sandtschaft zurückgerufene Chateaubriand, hatte sich mit dem Bewußtsein ein-


Die französische Romantik im Anfang und Ausgang.

rung diesen Abend schildert, sagt sehr drastisch: „Das Haus war von oben bis
unten nichts als Seide, Juwelen, Spitzen, Blumen und leuchtende Schultern.
In diesem Glänze schüttelten zwei dunkle Massen im Parterre und in den
zweiten Galerien lange Mahnen." Die letzte Arbeit, mit welcher der alternde
Theophil Gautier, einer der Zeugen jenes Abends, sich beschäftigte, war die
Schilderung des Publikums, das sich zur Aufführung des „Hernani" versam¬
melt hatte. Da waren sie alle beisammen die jungen Männer der Generation
von 1830, von denen ein Teil zu Ruhm und glänzender Wirksamkeit, ein andrer
zu jenem dunkeln Untergang bestimmt war, welcher den werdenden, noch nicht
geprüften Kunstjünger immer bedroht. Die literarischen Genossen und die
jugendlichen Bewunderer Victor Hugos, Alfred de Musset und Alfred de Vigny,
Emile und Antoine Deschamps, Alexander Dumas, Prosper Merimee, die schon
berühmt zu werden begannen, dann Samt Beuve, Leo Gozlan, Gerard de
Nerval, August Macquet und die Brüder Borel mit einer ganzen Schar noch
namenloser Poeten und Autoren. Aus der dunkeln'Masse hervor leuchtete der
phantastische Theophil Gautier, der seine Vorliebe für den Purpur soweit aus¬
gedehnt hatte, daß er in einer Weste von flammendrotcm Atlas den Ärger aller
landüblich gekleideten Leute erweckte. Da waren in phantastischer Tracht die
Brüder Achill und Eugen Deveria, deren Stift die langmähnigen Charakter¬
köpfe jener Tage festgehalten hat, da scharten sich um Delacroix und Ary
Scheffer, um Dccamps und Gavarni die zahlreichen Ateliergenossen, die eben
dabei waren, die glänzende neuere französische Malerschule zu begründen. Da
fehlten auch die Vertreter der Musik nicht, da saß Hector Berlioz, der eben
seine „Phantastische Symphonie" beendet hatte, daWiccini, da Leon Fran?vis
Kreutzer, der Sohn jenes Violinisten, dessen Andenken Beethovens unsterbliche
Sonate ox. 47 erhalten hat, er selbst ein glänzender Kritiker und phantasie¬
voller Komponist, da Jean Vaptiste Tolbecque, der Quadrillenkomponist, und
Theophil Tilmant, der Schüler des ältern Kreutzer, sie alle zur Zeit nur hoff¬
nungsreiche, hochbegabte junge Männer, welche den Gipfel des Ruhmes lieber
erstürmen, erstiegen als mühsam erklimmen, und wenigstens einen von sich, den
Dichter des „Hernani," auf ihren Schultern emportragen wollten. Sie schüt¬
telten nach Frau Hugos Ausdruck die Mähnen gegen das elegante, erwartungs¬
voll, aber skeptisch dreinblickcude Publikum der Logen, sie sahen mit Verdruß
die hohnlächelnden Mienen älterer Autoren und der berühmten Kritiker.

Nicht mit Unrecht witterten die jugendlichen Heißsporne in der Masse des
Publikums und namentlich bei der Mehrzahl der Stimmführer des Publikums
entschiedenes Übelwollen gegen das neue Werk, dessen Erfolg oder Nichterfolg
über die Zukunft einer ganzen Kunstrichtung entscheiden sollte. Wohl gab es
auch in den Logen einzelne, deren Anschauung mit der der Jugend zusammenfiel.
Der vornehmste Schriftsteller Frankreichs, der eben von seiner römischen Ge¬
sandtschaft zurückgerufene Chateaubriand, hatte sich mit dem Bewußtsein ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/75>, abgerufen am 29.12.2024.