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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Aus der Diplomatenschule.

Wirkliche Ereignis nicht mit seinen individuellen Ansichten oder parteilichen
Urteilen zu vermischen, zweifelhafte Nachrichten von authentischen Wohl zu
unterscheiden wissen, und die ersteren darf er nnr als solche vortragen, ohne
jedoch zu unterlassen, alles das mitzuteilen, was zur Aufklärung beitragen
kann... Größte Genauigkeit und Vollständigkeit sind fernere Erfordernisse der
Berichte, damit der Empfänger ein möglichst anschauliches Bild gewinnt... Mit
der Wahrheit müssen sich eine gedrängte Darstellung sowie eine klare und
verständliche Sprache verbinden. Gegenstand des Berichts dürfen nur Be¬
gebenheiten von Wichtigkeit oder überhaupt Interesse, aber niemals unnütze
Tagesneuigkeiten sein." Diesen Anforderungen entsprachen einst die Berichte
der venetianischen Gesandten, die bereits im sechzehnten Jahrhunderte denen
andrer Staaten als Beispiel vorgehalten wurden. In neuerer Zeit scheint das
Ideal nicht häufig erreicht worden zu sein, und zwar auch von deutschen Ge¬
sandten und Botschaftern nicht. Wenigstens klagt Bismarck (Busch, Unser
Reichskanzler I, 4) wiederholt über die Leerheit und den geringen Wert von
Berichten solcher Diplomaten. Das einemal meinte er, viele dieser Arbeiten
enthielten in gefälliger Form nichts wesentliches. "Es ist Feuilletonarbcit,
geschrieben, damit was geschrieben wird. So waren da die Berichte unsers
Konsuls in Paris. Man liest sie durch und denkt immer: nun solls kommen.
Es kommt aber nicht. Es klingt ganz hübsch, und man liest weiter und weiter.
Am Ende aber findet man, daß wirklich nichts darin steht -- alles taub und
leer." Ein andermal bemerkte der Minister von der diplomatischen Schrift-
stellerei im allgemeinen: "Es ist großenteils Papier und Tinte darauf. Das
schlimmste ist, wenn sie's laug machen. Ja, bei Bernstorff (früher Botschafter
in London), wenn der jedesmal ein solches Ries Papier schickt, mit veralteten
Zeitungsausschnitten, da ist man's gewohnt. Aber wenn einmal ein andrer
viel schreibt, da wird man verdrießlich, weil doch in der Regel nichts darin
ist." Dann fuhr er fort: "Wenn sie einmal Geschichte darnach schreiben, so
ist nichts ordentliches daraus zu ersehen. Ich glaube, nach dreißig Jahren
werden ihnen die Archive geöffnet; man könnte sie viel eher hineinsehen lassen.
Die Depeschen und Briefe sind, auch wo sie einmal was enthalten, solchen,
welche die Personen und Verhältnisse nicht kennen, nicht verständlich. Wer
weiß da nach dreißig Jahren, was der Schreiber selbst für ein Mann war,
wie er die Dinge ansah, wie er sie seiner Individualität nach darstellte? Eher
sieht man noch was aus deu Zeitungen, deren sich die Regierungen ja auch
bedienen, und wo man häufig deutlicher sagt, was man will... Die Hauptsache
aber liegt immer in Privatbriefen und konfidentiellen Mitteilungen, auch münd¬
lichen, was alles nicht in die Akten kommt." Daß das Vermögen, zwischen
Wichtigem und Irrelevantem und zwischen Wahrheit und Phantasie zu unter¬
scheiden, den Verfassern diplomatischer Berichte mitunter nicht verliehen ist,
schließen wir schon aus der UnVollkommenheit der Menschen überhaupt, es wird


Aus der Diplomatenschule.

Wirkliche Ereignis nicht mit seinen individuellen Ansichten oder parteilichen
Urteilen zu vermischen, zweifelhafte Nachrichten von authentischen Wohl zu
unterscheiden wissen, und die ersteren darf er nnr als solche vortragen, ohne
jedoch zu unterlassen, alles das mitzuteilen, was zur Aufklärung beitragen
kann... Größte Genauigkeit und Vollständigkeit sind fernere Erfordernisse der
Berichte, damit der Empfänger ein möglichst anschauliches Bild gewinnt... Mit
der Wahrheit müssen sich eine gedrängte Darstellung sowie eine klare und
verständliche Sprache verbinden. Gegenstand des Berichts dürfen nur Be¬
gebenheiten von Wichtigkeit oder überhaupt Interesse, aber niemals unnütze
Tagesneuigkeiten sein." Diesen Anforderungen entsprachen einst die Berichte
der venetianischen Gesandten, die bereits im sechzehnten Jahrhunderte denen
andrer Staaten als Beispiel vorgehalten wurden. In neuerer Zeit scheint das
Ideal nicht häufig erreicht worden zu sein, und zwar auch von deutschen Ge¬
sandten und Botschaftern nicht. Wenigstens klagt Bismarck (Busch, Unser
Reichskanzler I, 4) wiederholt über die Leerheit und den geringen Wert von
Berichten solcher Diplomaten. Das einemal meinte er, viele dieser Arbeiten
enthielten in gefälliger Form nichts wesentliches. „Es ist Feuilletonarbcit,
geschrieben, damit was geschrieben wird. So waren da die Berichte unsers
Konsuls in Paris. Man liest sie durch und denkt immer: nun solls kommen.
Es kommt aber nicht. Es klingt ganz hübsch, und man liest weiter und weiter.
Am Ende aber findet man, daß wirklich nichts darin steht — alles taub und
leer." Ein andermal bemerkte der Minister von der diplomatischen Schrift-
stellerei im allgemeinen: „Es ist großenteils Papier und Tinte darauf. Das
schlimmste ist, wenn sie's laug machen. Ja, bei Bernstorff (früher Botschafter
in London), wenn der jedesmal ein solches Ries Papier schickt, mit veralteten
Zeitungsausschnitten, da ist man's gewohnt. Aber wenn einmal ein andrer
viel schreibt, da wird man verdrießlich, weil doch in der Regel nichts darin
ist." Dann fuhr er fort: „Wenn sie einmal Geschichte darnach schreiben, so
ist nichts ordentliches daraus zu ersehen. Ich glaube, nach dreißig Jahren
werden ihnen die Archive geöffnet; man könnte sie viel eher hineinsehen lassen.
Die Depeschen und Briefe sind, auch wo sie einmal was enthalten, solchen,
welche die Personen und Verhältnisse nicht kennen, nicht verständlich. Wer
weiß da nach dreißig Jahren, was der Schreiber selbst für ein Mann war,
wie er die Dinge ansah, wie er sie seiner Individualität nach darstellte? Eher
sieht man noch was aus deu Zeitungen, deren sich die Regierungen ja auch
bedienen, und wo man häufig deutlicher sagt, was man will... Die Hauptsache
aber liegt immer in Privatbriefen und konfidentiellen Mitteilungen, auch münd¬
lichen, was alles nicht in die Akten kommt." Daß das Vermögen, zwischen
Wichtigem und Irrelevantem und zwischen Wahrheit und Phantasie zu unter¬
scheiden, den Verfassern diplomatischer Berichte mitunter nicht verliehen ist,
schließen wir schon aus der UnVollkommenheit der Menschen überhaupt, es wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/610>, abgerufen am 28.12.2024.