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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Ein Roman aus den dreißiger Jahren.

breitet er über das blutige Ende Weidig-Friedrichs im Gefängnis einen wohlthätigen
Schleier, während die stille Libation, die ein Kreis von jungen Männern dem
unbekannten Dichter einer schwungvollen Ode in der gleichen Nacht gebracht hat,
auf dies Ende vorbereitet. Die Wiederanknüpfung an den Roman, in der
glücklichen Vereinigung Flambos mit Auguste, gelingt darnach nicht, und Ernst
von Diemar und seiner Irene sind mit einemmale so verschwunden, als ob sie
der Verfasser ganz vergessen hätte.

Die Rückkehr zur jungdeutschen Methode, die Mischung poetischer und
publizistischer Momente, hat sich in "Altar und Kerker" empfindlich gerächt; als
poetisches Werk ist der Roman ganz unfertig und untergeordnet, als Pamphlet
wird er nur eine mäßige Wirkung thun, weil niemand in der Welt die
Nötigung begreift, die Dinge, welche hier erzählt werden, in das Gewand der
Dichtung nicht sowohl einzuhüllen, als mit demselben und uoch dazu so dürftig
und unzulänglich zu drapiren. Wäre "Altar und Kerker" in den letzten
dreißiger oder ersten vierziger Jahre geschrieben worden, so Hütte man sich auf
die Zensur berufen können, die dergleichen Versteckspielen notwendig machte.
Heute geht das nicht mehr an, und so Protestiren wir auf das allerenergischste,
daß der Roman in den Dienst einer andern Macht als denjenigen der Poesie
gestellt werden.

Wir haben schon eingangs hervorgehoben, daß wir den Stoff dieses Ro¬
mans für einen durchaus unglücklichen halten. Versuchen wir aber uns auf
den Standpunkt zu stellen, von dem der Verfasser ausgegangen ist, so gab es
zwei Wege, die zum Ziele, zu einem geschlossenen Werke, einem künstlerisch wert¬
vollen Buche führen konnten. Entweder Otto Müller schrieb einen historischen,
vielmehr kulturhistorischen Roman, in welchem die Zustände eines deutschen
Mittelstaates in den dreißiger Jahren in lebendiger Gestaltung, anschaulich, ein¬
dringlich vorgeführt wurden, in welchem der Rektor von Butzbach und Pfarrer
von Obergleen mit seiner vollen Persönlichkeit auftrat und uns psychologisch
klar gemacht wurde, wie der ursprünglich reine und edle Charakter durch die
Enge der Verhältnisse starrsinnig und kurzsichtig, durch die Gehässigkeit, mit welcher
in jenen Tagen politische Kämpfe geführt wurden, verbittert, durch die zweifel¬
haften und verzweifelten Genossen, welche sich an ihn drängten, immer weiter
geführt und schließlich in ein tragisches Schicksal verstrickt worden ist. Oder er
nahm Persönlichkeit und Geschicke Weidigs nur als Grundlage für einen frei¬
geschaffenen Charakter, den Typus des idealistischen Agitators aus den Tagen
des kleinstaatlichen Elendes, und sucht für diesen Teilnahme zu wecken. Die jetzt
vorliegende Mischung beider Gestaltungsweisen, nach jeder Seite unzulänglich,
oft zur plattesten und mattesten Prosa des bloßen Referirtons herabsinkend,
kann niemand befriedigen, auch die Gesinnungsgenossen des Verfassers und des
Helden nicht. Auf das Publikum darf sich Otto Müller dabei nicht berufen;
daß im allgemeinen der roheste Stoffhunger und die armseligste Zerstrenungs-


Ein Roman aus den dreißiger Jahren.

breitet er über das blutige Ende Weidig-Friedrichs im Gefängnis einen wohlthätigen
Schleier, während die stille Libation, die ein Kreis von jungen Männern dem
unbekannten Dichter einer schwungvollen Ode in der gleichen Nacht gebracht hat,
auf dies Ende vorbereitet. Die Wiederanknüpfung an den Roman, in der
glücklichen Vereinigung Flambos mit Auguste, gelingt darnach nicht, und Ernst
von Diemar und seiner Irene sind mit einemmale so verschwunden, als ob sie
der Verfasser ganz vergessen hätte.

Die Rückkehr zur jungdeutschen Methode, die Mischung poetischer und
publizistischer Momente, hat sich in „Altar und Kerker" empfindlich gerächt; als
poetisches Werk ist der Roman ganz unfertig und untergeordnet, als Pamphlet
wird er nur eine mäßige Wirkung thun, weil niemand in der Welt die
Nötigung begreift, die Dinge, welche hier erzählt werden, in das Gewand der
Dichtung nicht sowohl einzuhüllen, als mit demselben und uoch dazu so dürftig
und unzulänglich zu drapiren. Wäre „Altar und Kerker" in den letzten
dreißiger oder ersten vierziger Jahre geschrieben worden, so Hütte man sich auf
die Zensur berufen können, die dergleichen Versteckspielen notwendig machte.
Heute geht das nicht mehr an, und so Protestiren wir auf das allerenergischste,
daß der Roman in den Dienst einer andern Macht als denjenigen der Poesie
gestellt werden.

Wir haben schon eingangs hervorgehoben, daß wir den Stoff dieses Ro¬
mans für einen durchaus unglücklichen halten. Versuchen wir aber uns auf
den Standpunkt zu stellen, von dem der Verfasser ausgegangen ist, so gab es
zwei Wege, die zum Ziele, zu einem geschlossenen Werke, einem künstlerisch wert¬
vollen Buche führen konnten. Entweder Otto Müller schrieb einen historischen,
vielmehr kulturhistorischen Roman, in welchem die Zustände eines deutschen
Mittelstaates in den dreißiger Jahren in lebendiger Gestaltung, anschaulich, ein¬
dringlich vorgeführt wurden, in welchem der Rektor von Butzbach und Pfarrer
von Obergleen mit seiner vollen Persönlichkeit auftrat und uns psychologisch
klar gemacht wurde, wie der ursprünglich reine und edle Charakter durch die
Enge der Verhältnisse starrsinnig und kurzsichtig, durch die Gehässigkeit, mit welcher
in jenen Tagen politische Kämpfe geführt wurden, verbittert, durch die zweifel¬
haften und verzweifelten Genossen, welche sich an ihn drängten, immer weiter
geführt und schließlich in ein tragisches Schicksal verstrickt worden ist. Oder er
nahm Persönlichkeit und Geschicke Weidigs nur als Grundlage für einen frei¬
geschaffenen Charakter, den Typus des idealistischen Agitators aus den Tagen
des kleinstaatlichen Elendes, und sucht für diesen Teilnahme zu wecken. Die jetzt
vorliegende Mischung beider Gestaltungsweisen, nach jeder Seite unzulänglich,
oft zur plattesten und mattesten Prosa des bloßen Referirtons herabsinkend,
kann niemand befriedigen, auch die Gesinnungsgenossen des Verfassers und des
Helden nicht. Auf das Publikum darf sich Otto Müller dabei nicht berufen;
daß im allgemeinen der roheste Stoffhunger und die armseligste Zerstrenungs-


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[0594] Ein Roman aus den dreißiger Jahren. breitet er über das blutige Ende Weidig-Friedrichs im Gefängnis einen wohlthätigen Schleier, während die stille Libation, die ein Kreis von jungen Männern dem unbekannten Dichter einer schwungvollen Ode in der gleichen Nacht gebracht hat, auf dies Ende vorbereitet. Die Wiederanknüpfung an den Roman, in der glücklichen Vereinigung Flambos mit Auguste, gelingt darnach nicht, und Ernst von Diemar und seiner Irene sind mit einemmale so verschwunden, als ob sie der Verfasser ganz vergessen hätte. Die Rückkehr zur jungdeutschen Methode, die Mischung poetischer und publizistischer Momente, hat sich in „Altar und Kerker" empfindlich gerächt; als poetisches Werk ist der Roman ganz unfertig und untergeordnet, als Pamphlet wird er nur eine mäßige Wirkung thun, weil niemand in der Welt die Nötigung begreift, die Dinge, welche hier erzählt werden, in das Gewand der Dichtung nicht sowohl einzuhüllen, als mit demselben und uoch dazu so dürftig und unzulänglich zu drapiren. Wäre „Altar und Kerker" in den letzten dreißiger oder ersten vierziger Jahre geschrieben worden, so Hütte man sich auf die Zensur berufen können, die dergleichen Versteckspielen notwendig machte. Heute geht das nicht mehr an, und so Protestiren wir auf das allerenergischste, daß der Roman in den Dienst einer andern Macht als denjenigen der Poesie gestellt werden. Wir haben schon eingangs hervorgehoben, daß wir den Stoff dieses Ro¬ mans für einen durchaus unglücklichen halten. Versuchen wir aber uns auf den Standpunkt zu stellen, von dem der Verfasser ausgegangen ist, so gab es zwei Wege, die zum Ziele, zu einem geschlossenen Werke, einem künstlerisch wert¬ vollen Buche führen konnten. Entweder Otto Müller schrieb einen historischen, vielmehr kulturhistorischen Roman, in welchem die Zustände eines deutschen Mittelstaates in den dreißiger Jahren in lebendiger Gestaltung, anschaulich, ein¬ dringlich vorgeführt wurden, in welchem der Rektor von Butzbach und Pfarrer von Obergleen mit seiner vollen Persönlichkeit auftrat und uns psychologisch klar gemacht wurde, wie der ursprünglich reine und edle Charakter durch die Enge der Verhältnisse starrsinnig und kurzsichtig, durch die Gehässigkeit, mit welcher in jenen Tagen politische Kämpfe geführt wurden, verbittert, durch die zweifel¬ haften und verzweifelten Genossen, welche sich an ihn drängten, immer weiter geführt und schließlich in ein tragisches Schicksal verstrickt worden ist. Oder er nahm Persönlichkeit und Geschicke Weidigs nur als Grundlage für einen frei¬ geschaffenen Charakter, den Typus des idealistischen Agitators aus den Tagen des kleinstaatlichen Elendes, und sucht für diesen Teilnahme zu wecken. Die jetzt vorliegende Mischung beider Gestaltungsweisen, nach jeder Seite unzulänglich, oft zur plattesten und mattesten Prosa des bloßen Referirtons herabsinkend, kann niemand befriedigen, auch die Gesinnungsgenossen des Verfassers und des Helden nicht. Auf das Publikum darf sich Otto Müller dabei nicht berufen; daß im allgemeinen der roheste Stoffhunger und die armseligste Zerstrenungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/594>, abgerufen am 28.12.2024.