Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Populäre Naturwissenschaft. das uns um eines andern bedeutenden Interesses willen verstimmt? Oder doch Seit den Jahren, welche die Gründung der Kulturstaaten des römischen Populäre Naturwissenschaft. das uns um eines andern bedeutenden Interesses willen verstimmt? Oder doch Seit den Jahren, welche die Gründung der Kulturstaaten des römischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0572" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157497"/> <fw type="header" place="top"> Populäre Naturwissenschaft.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1994" prev="#ID_1993"> das uns um eines andern bedeutenden Interesses willen verstimmt? Oder doch<lb/> wehmütig berührt in den lebhaften und innigen Wünschen, die wir für dies<lb/> andre bedeutende Interesse und seine allgemeine Wertschätzung hegen? Wie,<lb/> wenn uns angesichts dieser folgerichtig und überzeugend entwickelten natur-<lb/> wissenschaftlichen Anschauungen die Hoffnung sänke, es möchten sich andre ein¬<lb/> schränkende und modisizirende Anschauungen von höchstem Wert und von ent¬<lb/> scheidender Bedeutung für die gesunde Entwicklung des menschlichen Geistes<lb/> ebenso klar und, was die Hauptsache ist, ebenso allgemein überzeugend entwickeln<lb/> lassen? Denn nicht alles, was verstandesgemäß in das menschliche Bewußtsein<lb/> aufgenommen werden soll, läßt sich so einfach und in allen seinen Zusammen¬<lb/> hängen verständlich darstellen, daß es sich seinen Eintritt mit unmittelbar über¬<lb/> zeugender Gewalt von selbst erzwingt. Und wir alle wissen ja, wie leicht<lb/> Menschen mit geringer Denkübung die unmittelbare Anschaulichkeit einer Idee<lb/> unbefangen als Bürgschaft für ihre innere Wahrheit nehmen, wie gern sie sich<lb/> die Mühe ersparen, auf rauheren und weniger hell beleuchtetem, wenn auch<lb/> nicht minder festem Wege eine Überzeugung zu gewinnen, zumal wenn ihnen<lb/> eine andre bequeme und handliche dargeboten wird, nach der sie nur den Arm<lb/> auszustrecken brauchen. Was aber könnte an Einfachheit der Voraussetzungen,<lb/> an Faßlichkeit des innern Zusammenhanges, um unumstößlicher Gewißheit der<lb/> Thatsachen sich mit der modernen Naturwissenschaft messen? Die Anschauungs¬<lb/> weise, die ihr zu gründe liegt, hält in weite Kreise triumphirend Einzug; wir<lb/> aber, die wir der Ansicht sind, daß sie von dem beschränkten Boden, dem sie<lb/> entwnchs, nicht ohne weiteres auf fernliegende Gebiete der geistigen und sitt¬<lb/> lichen Welt übertragen werden dürfe, wir sehen in einem Buche wie dem vor¬<lb/> liegenden hinter aller literarischen und wissenschaftlichen Vortrefflichkeit zu deutlich<lb/> die Gefahr einer einseitigen Beeinflussung der „Gebildeten," als daß wir uns<lb/> seinem Eindrucke mit unbefangener Anerkennung hingeben könnten. Wir lassen<lb/> uns auch nicht durch den Einwand bestimmen, daß doch die Möglichkeit, mi߬<lb/> verstanden zu werden, keinen Tadel begründe. Es ist ein sehr verhängnisvolles<lb/> Mißverständnis — wenn es überhaupt in den Augen des Autors als solches<lb/> gilt —, um das es sich hier handelt, und es wäre immerhin der Mühe wert,<lb/> zu untersuchen, ob die naturwissenschaftlich-mechanische Anschauungsweise nicht<lb/> zu dem gehört, was besser garnicht verstanden als mißverstanden wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1995" next="#ID_1996"> Seit den Jahren, welche die Gründung der Kulturstaaten des römischen<lb/> und griechischen Altertums sahen, sind an die hundert Generationen dcchin-<lb/> gesunken. Hundertmal hat das nachfolgende Geschlecht die Erbschaft des vor¬<lb/> hergehenden angetreten — soweit es überhaupt gestattet ist, den ewigen Prozeß<lb/> des Absterbens und der Verjüngung in einzelne Stufen zu zerlegen —; hun¬<lb/> dertmal ist das, was wir Weltanschauung, geistigen Besitz, mit einem Worte<lb/> Bildung nennen, von den Vätern auf die Söhne übergegangen. In diesen<lb/> hundert Gestaltungen, zu denen das überkommene geistige Besitztum in fort-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0572]
Populäre Naturwissenschaft.
das uns um eines andern bedeutenden Interesses willen verstimmt? Oder doch
wehmütig berührt in den lebhaften und innigen Wünschen, die wir für dies
andre bedeutende Interesse und seine allgemeine Wertschätzung hegen? Wie,
wenn uns angesichts dieser folgerichtig und überzeugend entwickelten natur-
wissenschaftlichen Anschauungen die Hoffnung sänke, es möchten sich andre ein¬
schränkende und modisizirende Anschauungen von höchstem Wert und von ent¬
scheidender Bedeutung für die gesunde Entwicklung des menschlichen Geistes
ebenso klar und, was die Hauptsache ist, ebenso allgemein überzeugend entwickeln
lassen? Denn nicht alles, was verstandesgemäß in das menschliche Bewußtsein
aufgenommen werden soll, läßt sich so einfach und in allen seinen Zusammen¬
hängen verständlich darstellen, daß es sich seinen Eintritt mit unmittelbar über¬
zeugender Gewalt von selbst erzwingt. Und wir alle wissen ja, wie leicht
Menschen mit geringer Denkübung die unmittelbare Anschaulichkeit einer Idee
unbefangen als Bürgschaft für ihre innere Wahrheit nehmen, wie gern sie sich
die Mühe ersparen, auf rauheren und weniger hell beleuchtetem, wenn auch
nicht minder festem Wege eine Überzeugung zu gewinnen, zumal wenn ihnen
eine andre bequeme und handliche dargeboten wird, nach der sie nur den Arm
auszustrecken brauchen. Was aber könnte an Einfachheit der Voraussetzungen,
an Faßlichkeit des innern Zusammenhanges, um unumstößlicher Gewißheit der
Thatsachen sich mit der modernen Naturwissenschaft messen? Die Anschauungs¬
weise, die ihr zu gründe liegt, hält in weite Kreise triumphirend Einzug; wir
aber, die wir der Ansicht sind, daß sie von dem beschränkten Boden, dem sie
entwnchs, nicht ohne weiteres auf fernliegende Gebiete der geistigen und sitt¬
lichen Welt übertragen werden dürfe, wir sehen in einem Buche wie dem vor¬
liegenden hinter aller literarischen und wissenschaftlichen Vortrefflichkeit zu deutlich
die Gefahr einer einseitigen Beeinflussung der „Gebildeten," als daß wir uns
seinem Eindrucke mit unbefangener Anerkennung hingeben könnten. Wir lassen
uns auch nicht durch den Einwand bestimmen, daß doch die Möglichkeit, mi߬
verstanden zu werden, keinen Tadel begründe. Es ist ein sehr verhängnisvolles
Mißverständnis — wenn es überhaupt in den Augen des Autors als solches
gilt —, um das es sich hier handelt, und es wäre immerhin der Mühe wert,
zu untersuchen, ob die naturwissenschaftlich-mechanische Anschauungsweise nicht
zu dem gehört, was besser garnicht verstanden als mißverstanden wird.
Seit den Jahren, welche die Gründung der Kulturstaaten des römischen
und griechischen Altertums sahen, sind an die hundert Generationen dcchin-
gesunken. Hundertmal hat das nachfolgende Geschlecht die Erbschaft des vor¬
hergehenden angetreten — soweit es überhaupt gestattet ist, den ewigen Prozeß
des Absterbens und der Verjüngung in einzelne Stufen zu zerlegen —; hun¬
dertmal ist das, was wir Weltanschauung, geistigen Besitz, mit einem Worte
Bildung nennen, von den Vätern auf die Söhne übergegangen. In diesen
hundert Gestaltungen, zu denen das überkommene geistige Besitztum in fort-
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