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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters lltühle.

könnte ich es mir jeden Mittag; weshalb sollte ich ihm nicht gegen zivilisirtere
freie Beköstigung und ein Taschengeld an jedem Mittwoch und Sonnabend die
Anfangsgründe des Lateinischen beizubringen versuchen? Die Sache paßt mir
vollkommen. Mürbe wollen wir ihn schon kriegen. So 'nen jungen Römer
zum Weichreiten unterm Sattel hab' ich mir schon längst zu Weihnachten oder
zum Geburtstage gewünscht. Sollen wir heute mit ihm anfangen, oder hat der
Knabe auch eine Stimme bei dem Kontrakt, und zieht er's vielleicht vor, am
nächsten Sabbath zum erstenmale übergelegt zu werden?

Ich habe damals erst meinem Vater in das freundliche, kluge, vergnügte
Gesicht gesehen und dann dem Studiosus der Philosophie, Adam Asche, in
das seinige und, die Zähne zusammenbeißend, gesagt: Heute! und nachher die
volle Gewißheit erhalten, daß der letzte wirkliche Besitzer von Pfisters Mühle
auch bei dieser Gelegenheit ganz genau wußte, wen er vor sich hatte und was
er that.

Emmy kennt die dämmerige, düstere Brutstätte meiner ersten wissenschaft¬
licheren Bethätigungen. Brr! hat sie zuerst gesagt, den Kopf hineinsteckend,
aber nachher, wahrscheinlich um mich in meinen Gefühlen nicht zu sehr zu ver¬
letzen, hinzugefügt: O, wie hübsch kühl an einem heißen Tage wie heute! und
das Liebchen hatte vollkommen Recht. Das Loch war recht schön kühl im
Sommer, und im Winter konnte man es leider heizen, und Studiosus Asche
bemerkte bei unsrer ersten Niederlassung darin: Würgen könnte ich dich, Lümmel,
ob deiner höchst unnötigen Existenz im Weltganzen! Da soll nun ein Mensch
Atem holen und Latein verstehen, mit dem vollen Wissen davon, wie viel gemüt¬
licher es draußen ist. Na, Gott sei dir Esel gnädig in diesem Sack mit -- Asche!
Na na, sieh' mich nur nicht zu blödbokkig an, Junge! wir müssen's ja zusammen
aushalten!

Und wir haben es zusammen ausgehalten in dem Stübchen nach hinten
hinaus in Pfisters Mühle. Nach hinten hinaus, von der Lust des Gartens so
weit als möglich entfernt, aber doch nicht ganz von dem Getön derselben und
noch weniger von dem Geklapper und Rauschen, der Turbinenstube, hatte uns
mein Vater den Tisch ans Fenster gerückt und denselben mit allem nötigen Ma¬
terial an Tinte, Federn und Papier versehen, und da habe ich nicht nur die
Rudimente der Römcrsprache, sondern noch manches andre von meinem -- Freund
Adam Asche gelernt.

Was mir das Latein genützt hat, weiß ich so ziemlich genau heute; aber
wie nützlich mir das "Andre" war, erfahre ich heute tagtäglich so viel mehr,
daß von einer sicheren Berechnung noch lange nicht die Rede sein kann.

Es war damals ein recht dürftiges, mageres Männchen, das mit einem
Kopf, der von einem äußerst schwarzstrubbclhaarigen Riesen ihm zwischen die
Schultern gefallen zu sein schien, mir gegenüber, wie es sich ausdrückte, "die
schönen Stunden vertrödelte" und mir nicht selten energisch genug in die Flachs-


Grenzboten IV. 1884. 7
Pfisters lltühle.

könnte ich es mir jeden Mittag; weshalb sollte ich ihm nicht gegen zivilisirtere
freie Beköstigung und ein Taschengeld an jedem Mittwoch und Sonnabend die
Anfangsgründe des Lateinischen beizubringen versuchen? Die Sache paßt mir
vollkommen. Mürbe wollen wir ihn schon kriegen. So 'nen jungen Römer
zum Weichreiten unterm Sattel hab' ich mir schon längst zu Weihnachten oder
zum Geburtstage gewünscht. Sollen wir heute mit ihm anfangen, oder hat der
Knabe auch eine Stimme bei dem Kontrakt, und zieht er's vielleicht vor, am
nächsten Sabbath zum erstenmale übergelegt zu werden?

Ich habe damals erst meinem Vater in das freundliche, kluge, vergnügte
Gesicht gesehen und dann dem Studiosus der Philosophie, Adam Asche, in
das seinige und, die Zähne zusammenbeißend, gesagt: Heute! und nachher die
volle Gewißheit erhalten, daß der letzte wirkliche Besitzer von Pfisters Mühle
auch bei dieser Gelegenheit ganz genau wußte, wen er vor sich hatte und was
er that.

Emmy kennt die dämmerige, düstere Brutstätte meiner ersten wissenschaft¬
licheren Bethätigungen. Brr! hat sie zuerst gesagt, den Kopf hineinsteckend,
aber nachher, wahrscheinlich um mich in meinen Gefühlen nicht zu sehr zu ver¬
letzen, hinzugefügt: O, wie hübsch kühl an einem heißen Tage wie heute! und
das Liebchen hatte vollkommen Recht. Das Loch war recht schön kühl im
Sommer, und im Winter konnte man es leider heizen, und Studiosus Asche
bemerkte bei unsrer ersten Niederlassung darin: Würgen könnte ich dich, Lümmel,
ob deiner höchst unnötigen Existenz im Weltganzen! Da soll nun ein Mensch
Atem holen und Latein verstehen, mit dem vollen Wissen davon, wie viel gemüt¬
licher es draußen ist. Na, Gott sei dir Esel gnädig in diesem Sack mit — Asche!
Na na, sieh' mich nur nicht zu blödbokkig an, Junge! wir müssen's ja zusammen
aushalten!

Und wir haben es zusammen ausgehalten in dem Stübchen nach hinten
hinaus in Pfisters Mühle. Nach hinten hinaus, von der Lust des Gartens so
weit als möglich entfernt, aber doch nicht ganz von dem Getön derselben und
noch weniger von dem Geklapper und Rauschen, der Turbinenstube, hatte uns
mein Vater den Tisch ans Fenster gerückt und denselben mit allem nötigen Ma¬
terial an Tinte, Federn und Papier versehen, und da habe ich nicht nur die
Rudimente der Römcrsprache, sondern noch manches andre von meinem — Freund
Adam Asche gelernt.

Was mir das Latein genützt hat, weiß ich so ziemlich genau heute; aber
wie nützlich mir das „Andre" war, erfahre ich heute tagtäglich so viel mehr,
daß von einer sicheren Berechnung noch lange nicht die Rede sein kann.

Es war damals ein recht dürftiges, mageres Männchen, das mit einem
Kopf, der von einem äußerst schwarzstrubbclhaarigen Riesen ihm zwischen die
Schultern gefallen zu sein schien, mir gegenüber, wie es sich ausdrückte, „die
schönen Stunden vertrödelte" und mir nicht selten energisch genug in die Flachs-


Grenzboten IV. 1884. 7
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/57>, abgerufen am 28.12.2024.