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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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pfisters Mühle.

von dir erwartet, und wer alles auf deine Gegenwart an seiner Wiege fest
rechnet!

Ich mochte wohl die richtige Seite in der Alten betrübtem Gemüte an¬
geschlagen haben. Sie trocknete sich die Thränen mit der Schürze ab und
seufzte und rückte sich zurecht auf der Bank. Der Regen rauschte immer hef¬
tiger auf unser Blätterschutzdach nieder und fing doch an nun durchzuschlagen.

Wir werden wirklich wohl noch naß, wenn wir noch länger hier sitzen bleiben,
Ebert. Und dein kleines Frauchen wird wunder denken, was für Geheimnisse
wir uns hier anzuvertrauen haben. Und das, was du eben von Fräulein Al-
bertine gesagt hast, hat ja leider seine Berechtigung. Viel Schmerz und Elend
seit, wie sie sagen, manchen hundert Jahren hat Pfisters Mühle auch gesehen,
trotz aller Lust und guter Kost und Liedersingen und Gläseranklingen rundum.
O Gott ja, es ist dies ja derselbige Ort, wo wir ihn fanden, den armen Herrn!
Dort der Busch halb im Wasser, an dem er sich gefangen hatte, ist auch noch
vorhanden, und hier in diese Laube zogen ihn dein seliger Vater und Doktor
Asche zuerst, nachdem sie ihn aus dem Wasser gezogen hatten. Und hier zu
unsern Füßen lag er, bis saufe und die Knappen kamen, um ihn in die Gast¬
stube tragen zu helfen. Gütiger Himmel, der Gast da und der Abend, und
die Nacht und die darauf folgenden Tage könnten einen freilich schon mit dem
Abbruch von Pfisters Mühle aussöhnen! Hast du denn eigentlich deiner
kleinen Frau schon das Nähere davon erzählt, wie es kam, daß der berühmte
Herr Doktor Lippoldes von unsrer Wirtschaft aus begraben wurde, und wie
es kam, daß Fräulein Albertine von der Mühle aus Hochzeit machte?

Ich schüttelte den Kopf.

Wir sind hier in der Sommerfrische, wie man das in der Stadt nennt,
gewesen, Christine. Ich habe Emmy hergebracht, um ihr die Sonne, die Bäume,
die Wiesen und den Bach von Pfisters Mühle und meiner Jugend noch zu zeigen.
Sie würde nicht so harmlos und vergnüglich diese Wochen durch in der für sie
doch schon so sonderbaren Mühle gewohnt haben, wenn ihr dieses Trauerspiel
drin gespukt hätte. Aber unsre Zeit hier zählt sich ja nur noch nach Stunden.
Das Kind wird nicht fortgehen, ohne auch dieses letzte von dem guten alten
Hause und Garten an Ort und Stelle zu wissen bekommen zu haben.

Es gehört auch wohl dazu, meinte die Greisin, und dann liefen wir doch
ein wenig, um das altersschwache Ziegeldach unsers verlorenen Erbes zwischen
uns und den feuchten Segen vom Himmel zu bringen. --

Gegen sechs Uhr hörte es auf mit diesem Segen, und die Abendsonne kam
herrlich hervor. Es war zwar ein wenig naß auf den Wegen um das Dorf,
aber die Chaussee nach der Stadt binnen kurzem wieder vollkommen trocken.
Dorthin richteten wir unsern Abendspaziergang, allen Lustwandlern, die aus
der Stadt kamen, entgegen. Es begegnete uns der Architekt, diesmal in Beglei¬
tung einiger der vermöglichen Herren, die das neue "lukrativere, zeitgemäßere"


pfisters Mühle.

von dir erwartet, und wer alles auf deine Gegenwart an seiner Wiege fest
rechnet!

Ich mochte wohl die richtige Seite in der Alten betrübtem Gemüte an¬
geschlagen haben. Sie trocknete sich die Thränen mit der Schürze ab und
seufzte und rückte sich zurecht auf der Bank. Der Regen rauschte immer hef¬
tiger auf unser Blätterschutzdach nieder und fing doch an nun durchzuschlagen.

Wir werden wirklich wohl noch naß, wenn wir noch länger hier sitzen bleiben,
Ebert. Und dein kleines Frauchen wird wunder denken, was für Geheimnisse
wir uns hier anzuvertrauen haben. Und das, was du eben von Fräulein Al-
bertine gesagt hast, hat ja leider seine Berechtigung. Viel Schmerz und Elend
seit, wie sie sagen, manchen hundert Jahren hat Pfisters Mühle auch gesehen,
trotz aller Lust und guter Kost und Liedersingen und Gläseranklingen rundum.
O Gott ja, es ist dies ja derselbige Ort, wo wir ihn fanden, den armen Herrn!
Dort der Busch halb im Wasser, an dem er sich gefangen hatte, ist auch noch
vorhanden, und hier in diese Laube zogen ihn dein seliger Vater und Doktor
Asche zuerst, nachdem sie ihn aus dem Wasser gezogen hatten. Und hier zu
unsern Füßen lag er, bis saufe und die Knappen kamen, um ihn in die Gast¬
stube tragen zu helfen. Gütiger Himmel, der Gast da und der Abend, und
die Nacht und die darauf folgenden Tage könnten einen freilich schon mit dem
Abbruch von Pfisters Mühle aussöhnen! Hast du denn eigentlich deiner
kleinen Frau schon das Nähere davon erzählt, wie es kam, daß der berühmte
Herr Doktor Lippoldes von unsrer Wirtschaft aus begraben wurde, und wie
es kam, daß Fräulein Albertine von der Mühle aus Hochzeit machte?

Ich schüttelte den Kopf.

Wir sind hier in der Sommerfrische, wie man das in der Stadt nennt,
gewesen, Christine. Ich habe Emmy hergebracht, um ihr die Sonne, die Bäume,
die Wiesen und den Bach von Pfisters Mühle und meiner Jugend noch zu zeigen.
Sie würde nicht so harmlos und vergnüglich diese Wochen durch in der für sie
doch schon so sonderbaren Mühle gewohnt haben, wenn ihr dieses Trauerspiel
drin gespukt hätte. Aber unsre Zeit hier zählt sich ja nur noch nach Stunden.
Das Kind wird nicht fortgehen, ohne auch dieses letzte von dem guten alten
Hause und Garten an Ort und Stelle zu wissen bekommen zu haben.

Es gehört auch wohl dazu, meinte die Greisin, und dann liefen wir doch
ein wenig, um das altersschwache Ziegeldach unsers verlorenen Erbes zwischen
uns und den feuchten Segen vom Himmel zu bringen. —

Gegen sechs Uhr hörte es auf mit diesem Segen, und die Abendsonne kam
herrlich hervor. Es war zwar ein wenig naß auf den Wegen um das Dorf,
aber die Chaussee nach der Stadt binnen kurzem wieder vollkommen trocken.
Dorthin richteten wir unsern Abendspaziergang, allen Lustwandlern, die aus
der Stadt kamen, entgegen. Es begegnete uns der Architekt, diesmal in Beglei¬
tung einiger der vermöglichen Herren, die das neue „lukrativere, zeitgemäßere"


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[0543] pfisters Mühle. von dir erwartet, und wer alles auf deine Gegenwart an seiner Wiege fest rechnet! Ich mochte wohl die richtige Seite in der Alten betrübtem Gemüte an¬ geschlagen haben. Sie trocknete sich die Thränen mit der Schürze ab und seufzte und rückte sich zurecht auf der Bank. Der Regen rauschte immer hef¬ tiger auf unser Blätterschutzdach nieder und fing doch an nun durchzuschlagen. Wir werden wirklich wohl noch naß, wenn wir noch länger hier sitzen bleiben, Ebert. Und dein kleines Frauchen wird wunder denken, was für Geheimnisse wir uns hier anzuvertrauen haben. Und das, was du eben von Fräulein Al- bertine gesagt hast, hat ja leider seine Berechtigung. Viel Schmerz und Elend seit, wie sie sagen, manchen hundert Jahren hat Pfisters Mühle auch gesehen, trotz aller Lust und guter Kost und Liedersingen und Gläseranklingen rundum. O Gott ja, es ist dies ja derselbige Ort, wo wir ihn fanden, den armen Herrn! Dort der Busch halb im Wasser, an dem er sich gefangen hatte, ist auch noch vorhanden, und hier in diese Laube zogen ihn dein seliger Vater und Doktor Asche zuerst, nachdem sie ihn aus dem Wasser gezogen hatten. Und hier zu unsern Füßen lag er, bis saufe und die Knappen kamen, um ihn in die Gast¬ stube tragen zu helfen. Gütiger Himmel, der Gast da und der Abend, und die Nacht und die darauf folgenden Tage könnten einen freilich schon mit dem Abbruch von Pfisters Mühle aussöhnen! Hast du denn eigentlich deiner kleinen Frau schon das Nähere davon erzählt, wie es kam, daß der berühmte Herr Doktor Lippoldes von unsrer Wirtschaft aus begraben wurde, und wie es kam, daß Fräulein Albertine von der Mühle aus Hochzeit machte? Ich schüttelte den Kopf. Wir sind hier in der Sommerfrische, wie man das in der Stadt nennt, gewesen, Christine. Ich habe Emmy hergebracht, um ihr die Sonne, die Bäume, die Wiesen und den Bach von Pfisters Mühle und meiner Jugend noch zu zeigen. Sie würde nicht so harmlos und vergnüglich diese Wochen durch in der für sie doch schon so sonderbaren Mühle gewohnt haben, wenn ihr dieses Trauerspiel drin gespukt hätte. Aber unsre Zeit hier zählt sich ja nur noch nach Stunden. Das Kind wird nicht fortgehen, ohne auch dieses letzte von dem guten alten Hause und Garten an Ort und Stelle zu wissen bekommen zu haben. Es gehört auch wohl dazu, meinte die Greisin, und dann liefen wir doch ein wenig, um das altersschwache Ziegeldach unsers verlorenen Erbes zwischen uns und den feuchten Segen vom Himmel zu bringen. — Gegen sechs Uhr hörte es auf mit diesem Segen, und die Abendsonne kam herrlich hervor. Es war zwar ein wenig naß auf den Wegen um das Dorf, aber die Chaussee nach der Stadt binnen kurzem wieder vollkommen trocken. Dorthin richteten wir unsern Abendspaziergang, allen Lustwandlern, die aus der Stadt kamen, entgegen. Es begegnete uns der Architekt, diesmal in Beglei¬ tung einiger der vermöglichen Herren, die das neue „lukrativere, zeitgemäßere"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/543>, abgerufen am 29.12.2024.