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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Zur Börsensteuer.

daß eine allgemeine Reform an der Börse notwendig ist. Es kann nicht die
Absicht dieser Zeilen sein, die Grundzüge einer solchen Reform zu zeichnen und
allgemeine Vorschläge zu machen. Es soll nur gezeigt werden, in welchen
Zusammenhang diese mit einer Börsensteuer gebracht werden kann, sodaß gleich¬
zeitig das Effektivgeschäft nicht geschädigt, der Spiclwut eine gebührende Grenze
gesetzt und die Spekulation höher und angemessen besteuert wird.

Das Geschäft des eigentlichen Bankiers, der sich früher eines nicht UN-
Verdienten Ansehens erfreute, ist mehr und mehr in Rückgang geraten. An
Stelle der Anlage von Kapital in zinstragenden Werten überwuchert die Spe¬
kulation, und dies vorzugsweise deshalb, weil der Zutritt zur Börse allem und
jedem offen steht. Solange die Kaufmannschaft sich als Korporation wie eine
Zunft abschloß, war die Aufnahme in diese von gewissen Erfordernissen abhängig,
welche nach menschlicher Voraussicht eine Solidität garantirte. Jetzt ist dieser
Zunftcharakter völlig geschwunden; gegen ein mäßiges Eintrittsgeld, das an
manchen Börsen kaum hundert Mark für das Jahr erreicht oder überschreitet,
wird jedermann zur Börse zugelassen und ihm ein freies Feld für die Speku¬
lation gewährt. Wir haben es erlebt, daß in der Gründerzeit z, B. in Berlin
die Zahl der Börsenbesucher sich verdreifachte, daß aus den Provinzen, namentlich
auch aus Polen und Galizien, Elemente hineinströmten, die nichts zu verlieren
und alles zu gewinnen hatten. Mag auch das einzelne ehrenwerte Haus in
der ersten Zeit sich von Geschäften mit solchen Personen zurückhalten; wenn
ihnen ein Geschäft gelingt, gewinnen sie in der Zahl der vereideten und unver-
eidcten Makler bald Protektoren, und ehe man sichs versieht, werden sie mich
von den bessern Bankiers als "Aufgabe" angenommen. Schnell ist ein Komtoir
in einer guten Stadtgegend gemietet, das des Mittags "wegen der Börse" ge¬
schlossen ist, und rasch fällt das Publikum auf das Aushängeschild und auf die
im Schaufenster angebrachte Kurstafel nebst Telephonverbindung mit der Börse
und auf Reklameannoncen, trügerische Zirkuläre u. dergl. hinein. Sind aber
diese Elemente einmal in der Börse, so fällt es nach den jetzigen Börsenord¬
nungen schwer, sie wieder herauszubringen. Zwar soll nach den meisten der¬
selben derjenige ausgeschlossen werden, welcher seinen Verpflichtungen nicht
nachkommt. Aber nur in den seltensten Fällen erfolgt bei dem Börsenvorstcmde
eine förmliche Anzeige, denn der Gegenkontrahent hofft von dem Insolventen
immer noch etwas herauszuschlagen, solange er an der Börse noch weiterhandeln
kann. So ist es gekommen, daß selbst vereidete Makler, die durch unerlaubt
eingegangene Eigengeschäfte und Spekulationen insolvent wurden, ruhig weiter
funktionirten. Der Börsenvorstand -- vielleicht selbst als Gegenkvntrcchent be¬
teiligt, -- schloß der Notorietcit gegenüber die Augen.

Die erste Aufgabe einer Börsenordnung wird also die sein müssen, diese
unsaubern und unsolider Elemente herauszuschaffen, und diese Maßregel dürfte,
wenn ganz sichere Anzeichen nicht trügen, dem Beifall des bessern Teiles der


Zur Börsensteuer.

daß eine allgemeine Reform an der Börse notwendig ist. Es kann nicht die
Absicht dieser Zeilen sein, die Grundzüge einer solchen Reform zu zeichnen und
allgemeine Vorschläge zu machen. Es soll nur gezeigt werden, in welchen
Zusammenhang diese mit einer Börsensteuer gebracht werden kann, sodaß gleich¬
zeitig das Effektivgeschäft nicht geschädigt, der Spiclwut eine gebührende Grenze
gesetzt und die Spekulation höher und angemessen besteuert wird.

Das Geschäft des eigentlichen Bankiers, der sich früher eines nicht UN-
Verdienten Ansehens erfreute, ist mehr und mehr in Rückgang geraten. An
Stelle der Anlage von Kapital in zinstragenden Werten überwuchert die Spe¬
kulation, und dies vorzugsweise deshalb, weil der Zutritt zur Börse allem und
jedem offen steht. Solange die Kaufmannschaft sich als Korporation wie eine
Zunft abschloß, war die Aufnahme in diese von gewissen Erfordernissen abhängig,
welche nach menschlicher Voraussicht eine Solidität garantirte. Jetzt ist dieser
Zunftcharakter völlig geschwunden; gegen ein mäßiges Eintrittsgeld, das an
manchen Börsen kaum hundert Mark für das Jahr erreicht oder überschreitet,
wird jedermann zur Börse zugelassen und ihm ein freies Feld für die Speku¬
lation gewährt. Wir haben es erlebt, daß in der Gründerzeit z, B. in Berlin
die Zahl der Börsenbesucher sich verdreifachte, daß aus den Provinzen, namentlich
auch aus Polen und Galizien, Elemente hineinströmten, die nichts zu verlieren
und alles zu gewinnen hatten. Mag auch das einzelne ehrenwerte Haus in
der ersten Zeit sich von Geschäften mit solchen Personen zurückhalten; wenn
ihnen ein Geschäft gelingt, gewinnen sie in der Zahl der vereideten und unver-
eidcten Makler bald Protektoren, und ehe man sichs versieht, werden sie mich
von den bessern Bankiers als „Aufgabe" angenommen. Schnell ist ein Komtoir
in einer guten Stadtgegend gemietet, das des Mittags „wegen der Börse" ge¬
schlossen ist, und rasch fällt das Publikum auf das Aushängeschild und auf die
im Schaufenster angebrachte Kurstafel nebst Telephonverbindung mit der Börse
und auf Reklameannoncen, trügerische Zirkuläre u. dergl. hinein. Sind aber
diese Elemente einmal in der Börse, so fällt es nach den jetzigen Börsenord¬
nungen schwer, sie wieder herauszubringen. Zwar soll nach den meisten der¬
selben derjenige ausgeschlossen werden, welcher seinen Verpflichtungen nicht
nachkommt. Aber nur in den seltensten Fällen erfolgt bei dem Börsenvorstcmde
eine förmliche Anzeige, denn der Gegenkontrahent hofft von dem Insolventen
immer noch etwas herauszuschlagen, solange er an der Börse noch weiterhandeln
kann. So ist es gekommen, daß selbst vereidete Makler, die durch unerlaubt
eingegangene Eigengeschäfte und Spekulationen insolvent wurden, ruhig weiter
funktionirten. Der Börsenvorstand — vielleicht selbst als Gegenkvntrcchent be¬
teiligt, — schloß der Notorietcit gegenüber die Augen.

Die erste Aufgabe einer Börsenordnung wird also die sein müssen, diese
unsaubern und unsolider Elemente herauszuschaffen, und diese Maßregel dürfte,
wenn ganz sichere Anzeichen nicht trügen, dem Beifall des bessern Teiles der


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[0502] Zur Börsensteuer. daß eine allgemeine Reform an der Börse notwendig ist. Es kann nicht die Absicht dieser Zeilen sein, die Grundzüge einer solchen Reform zu zeichnen und allgemeine Vorschläge zu machen. Es soll nur gezeigt werden, in welchen Zusammenhang diese mit einer Börsensteuer gebracht werden kann, sodaß gleich¬ zeitig das Effektivgeschäft nicht geschädigt, der Spiclwut eine gebührende Grenze gesetzt und die Spekulation höher und angemessen besteuert wird. Das Geschäft des eigentlichen Bankiers, der sich früher eines nicht UN- Verdienten Ansehens erfreute, ist mehr und mehr in Rückgang geraten. An Stelle der Anlage von Kapital in zinstragenden Werten überwuchert die Spe¬ kulation, und dies vorzugsweise deshalb, weil der Zutritt zur Börse allem und jedem offen steht. Solange die Kaufmannschaft sich als Korporation wie eine Zunft abschloß, war die Aufnahme in diese von gewissen Erfordernissen abhängig, welche nach menschlicher Voraussicht eine Solidität garantirte. Jetzt ist dieser Zunftcharakter völlig geschwunden; gegen ein mäßiges Eintrittsgeld, das an manchen Börsen kaum hundert Mark für das Jahr erreicht oder überschreitet, wird jedermann zur Börse zugelassen und ihm ein freies Feld für die Speku¬ lation gewährt. Wir haben es erlebt, daß in der Gründerzeit z, B. in Berlin die Zahl der Börsenbesucher sich verdreifachte, daß aus den Provinzen, namentlich auch aus Polen und Galizien, Elemente hineinströmten, die nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatten. Mag auch das einzelne ehrenwerte Haus in der ersten Zeit sich von Geschäften mit solchen Personen zurückhalten; wenn ihnen ein Geschäft gelingt, gewinnen sie in der Zahl der vereideten und unver- eidcten Makler bald Protektoren, und ehe man sichs versieht, werden sie mich von den bessern Bankiers als „Aufgabe" angenommen. Schnell ist ein Komtoir in einer guten Stadtgegend gemietet, das des Mittags „wegen der Börse" ge¬ schlossen ist, und rasch fällt das Publikum auf das Aushängeschild und auf die im Schaufenster angebrachte Kurstafel nebst Telephonverbindung mit der Börse und auf Reklameannoncen, trügerische Zirkuläre u. dergl. hinein. Sind aber diese Elemente einmal in der Börse, so fällt es nach den jetzigen Börsenord¬ nungen schwer, sie wieder herauszubringen. Zwar soll nach den meisten der¬ selben derjenige ausgeschlossen werden, welcher seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Aber nur in den seltensten Fällen erfolgt bei dem Börsenvorstcmde eine förmliche Anzeige, denn der Gegenkontrahent hofft von dem Insolventen immer noch etwas herauszuschlagen, solange er an der Börse noch weiterhandeln kann. So ist es gekommen, daß selbst vereidete Makler, die durch unerlaubt eingegangene Eigengeschäfte und Spekulationen insolvent wurden, ruhig weiter funktionirten. Der Börsenvorstand — vielleicht selbst als Gegenkvntrcchent be¬ teiligt, — schloß der Notorietcit gegenüber die Augen. Die erste Aufgabe einer Börsenordnung wird also die sein müssen, diese unsaubern und unsolider Elemente herauszuschaffen, und diese Maßregel dürfte, wenn ganz sichere Anzeichen nicht trügen, dem Beifall des bessern Teiles der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/502>, abgerufen am 29.12.2024.