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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Archiv und Bibliothek des Vatikan.

hat sich in diesem Jahre der erste Band der Regesten Honorius' des Dritten
angeschlossen, welche der Abbate Pietro Pressutti veröffentlicht. Welche Be¬
reicherung das Quellenmaterial der Kirchengeschichte, wie nicht minder der
Weltgeschichte durch diese Veröffentlichung erfährt, wird aus dem einfachen
Zahlennachweise erhellen, daß unter den 1502 Dokumenten, welche dieser erste
Band enthält, allein 1100 bisher unbekannte sich finden. Übrigens hat Pressutti
für seine im ganzen auf fünf Bände berechnete Regestensammlung nicht bloß
das vatikanische Archiv, sondern auch eine große Anzahl andrer wichtigen Archive
ausgebeutet. Daß es aber nicht auf eine Veröffentlichung von -- vorläufig
wenigstens -- totem Material abgesehen ist, daß man vielmehr auch eine Ver¬
arbeitung und Ausnutzung dieses historischen Quellenmaterials von vornherein
ins Auge gefaßt hat, beweist die dem ersten Bande vorausgeschickte ausführliche
Einleitung des gelehrten Abbate über die kirchlichen und politischen Verhältnisse
zur Zeit Honorius' des Dritten und seiner Vorgänger, mit welcher er die
Verwertung der von ihm veröffentlichten Dokumente selbst in die Hand genommen
und begonnen hat. Mag auch Pressutti in seiner Einleitung den -- ver¬
geblichen -- Versuch machen, Innocenz den Dritten hinsichtlich seines Verhaltens
gegen die Albigenser reinzuwaschen, mag er auch in Kaiser Friedrich dem Zweiten
nur den "schlauen, treulosen Schwaben" sehen, immerhin verdient der freie,
echt wissenschaftliche Standpunkt Anerkennung, von dem aus der Papst alle
diese hochwichtigen Dokumente an die Öffentlichkeit ziehen läßt, sodaß auch den
Historikern andrer Konfessionen und Anschauungen der Einblick in die Stellung
der damaligen Kurie und so die Bildung eines eignen, von dem offiziell vati¬
kanischen unabhängigen Urteils über jene Ereignisse ermöglicht wird. Ander¬
weitige wichtige Veröffentlichungen werden inzwischen vorbereitet und werden in
nicht zu ferner Zeit gleichfalls zu tage treten. Zunächst ist noch die Ausgabe
der Regesten Clemens' des Fünften und Bonifacius' des Achten in Angriff
genommen; an den ersteren arbeitet Tosti, an den letzteren Digard.

Daß dieser frische wissenschaftliche Luftzug, der jetzt durch den Vatikan
weht, von Leo dem Dreizehnter selbst ausgeht, ist eine für die mit den Ver¬
hältnissen Vertrauteren feststehende Thatsache. Zwar giebt es am päpstlichen
Hofe noch weiterblickende, den Forderungen und Aufgaben historischer Wissenschaft
durchaus zugängliche Gelehrte, denen man den Antrieb zu solcher freieren Be¬
wegung wohl zutrauen könnte, aber ohne die Initiative Leos des Dreizehnter
selber würden alle derartigen Bestrebungen ohne Erfolg bleiben, da der gegen¬
wirkenden Strömungen gerade genug sind, um sie im Keime zu ersticken. Auch
die Berufung solcher Männer in den Vatikan und zu solchen Aufgaben ist das
eigenste Werk des gegenwärtigen Papstes. Vor allem die Ernennung des berühmten
Theologen und Historikers Denifle, der seit 1880 als Generaldefinitor des Domini¬
kanerordens für Deutschland in Rom lebt, nach dem Rücktritte Balans, des Heraus¬
gebers der voeuinsntg, Imtb.erg,lig., zum zweiten "Unterarchivar" des vatikanischen


Archiv und Bibliothek des Vatikan.

hat sich in diesem Jahre der erste Band der Regesten Honorius' des Dritten
angeschlossen, welche der Abbate Pietro Pressutti veröffentlicht. Welche Be¬
reicherung das Quellenmaterial der Kirchengeschichte, wie nicht minder der
Weltgeschichte durch diese Veröffentlichung erfährt, wird aus dem einfachen
Zahlennachweise erhellen, daß unter den 1502 Dokumenten, welche dieser erste
Band enthält, allein 1100 bisher unbekannte sich finden. Übrigens hat Pressutti
für seine im ganzen auf fünf Bände berechnete Regestensammlung nicht bloß
das vatikanische Archiv, sondern auch eine große Anzahl andrer wichtigen Archive
ausgebeutet. Daß es aber nicht auf eine Veröffentlichung von — vorläufig
wenigstens — totem Material abgesehen ist, daß man vielmehr auch eine Ver¬
arbeitung und Ausnutzung dieses historischen Quellenmaterials von vornherein
ins Auge gefaßt hat, beweist die dem ersten Bande vorausgeschickte ausführliche
Einleitung des gelehrten Abbate über die kirchlichen und politischen Verhältnisse
zur Zeit Honorius' des Dritten und seiner Vorgänger, mit welcher er die
Verwertung der von ihm veröffentlichten Dokumente selbst in die Hand genommen
und begonnen hat. Mag auch Pressutti in seiner Einleitung den — ver¬
geblichen — Versuch machen, Innocenz den Dritten hinsichtlich seines Verhaltens
gegen die Albigenser reinzuwaschen, mag er auch in Kaiser Friedrich dem Zweiten
nur den „schlauen, treulosen Schwaben" sehen, immerhin verdient der freie,
echt wissenschaftliche Standpunkt Anerkennung, von dem aus der Papst alle
diese hochwichtigen Dokumente an die Öffentlichkeit ziehen läßt, sodaß auch den
Historikern andrer Konfessionen und Anschauungen der Einblick in die Stellung
der damaligen Kurie und so die Bildung eines eignen, von dem offiziell vati¬
kanischen unabhängigen Urteils über jene Ereignisse ermöglicht wird. Ander¬
weitige wichtige Veröffentlichungen werden inzwischen vorbereitet und werden in
nicht zu ferner Zeit gleichfalls zu tage treten. Zunächst ist noch die Ausgabe
der Regesten Clemens' des Fünften und Bonifacius' des Achten in Angriff
genommen; an den ersteren arbeitet Tosti, an den letzteren Digard.

Daß dieser frische wissenschaftliche Luftzug, der jetzt durch den Vatikan
weht, von Leo dem Dreizehnter selbst ausgeht, ist eine für die mit den Ver¬
hältnissen Vertrauteren feststehende Thatsache. Zwar giebt es am päpstlichen
Hofe noch weiterblickende, den Forderungen und Aufgaben historischer Wissenschaft
durchaus zugängliche Gelehrte, denen man den Antrieb zu solcher freieren Be¬
wegung wohl zutrauen könnte, aber ohne die Initiative Leos des Dreizehnter
selber würden alle derartigen Bestrebungen ohne Erfolg bleiben, da der gegen¬
wirkenden Strömungen gerade genug sind, um sie im Keime zu ersticken. Auch
die Berufung solcher Männer in den Vatikan und zu solchen Aufgaben ist das
eigenste Werk des gegenwärtigen Papstes. Vor allem die Ernennung des berühmten
Theologen und Historikers Denifle, der seit 1880 als Generaldefinitor des Domini¬
kanerordens für Deutschland in Rom lebt, nach dem Rücktritte Balans, des Heraus¬
gebers der voeuinsntg, Imtb.erg,lig., zum zweiten „Unterarchivar" des vatikanischen


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[0470] Archiv und Bibliothek des Vatikan. hat sich in diesem Jahre der erste Band der Regesten Honorius' des Dritten angeschlossen, welche der Abbate Pietro Pressutti veröffentlicht. Welche Be¬ reicherung das Quellenmaterial der Kirchengeschichte, wie nicht minder der Weltgeschichte durch diese Veröffentlichung erfährt, wird aus dem einfachen Zahlennachweise erhellen, daß unter den 1502 Dokumenten, welche dieser erste Band enthält, allein 1100 bisher unbekannte sich finden. Übrigens hat Pressutti für seine im ganzen auf fünf Bände berechnete Regestensammlung nicht bloß das vatikanische Archiv, sondern auch eine große Anzahl andrer wichtigen Archive ausgebeutet. Daß es aber nicht auf eine Veröffentlichung von — vorläufig wenigstens — totem Material abgesehen ist, daß man vielmehr auch eine Ver¬ arbeitung und Ausnutzung dieses historischen Quellenmaterials von vornherein ins Auge gefaßt hat, beweist die dem ersten Bande vorausgeschickte ausführliche Einleitung des gelehrten Abbate über die kirchlichen und politischen Verhältnisse zur Zeit Honorius' des Dritten und seiner Vorgänger, mit welcher er die Verwertung der von ihm veröffentlichten Dokumente selbst in die Hand genommen und begonnen hat. Mag auch Pressutti in seiner Einleitung den — ver¬ geblichen — Versuch machen, Innocenz den Dritten hinsichtlich seines Verhaltens gegen die Albigenser reinzuwaschen, mag er auch in Kaiser Friedrich dem Zweiten nur den „schlauen, treulosen Schwaben" sehen, immerhin verdient der freie, echt wissenschaftliche Standpunkt Anerkennung, von dem aus der Papst alle diese hochwichtigen Dokumente an die Öffentlichkeit ziehen läßt, sodaß auch den Historikern andrer Konfessionen und Anschauungen der Einblick in die Stellung der damaligen Kurie und so die Bildung eines eignen, von dem offiziell vati¬ kanischen unabhängigen Urteils über jene Ereignisse ermöglicht wird. Ander¬ weitige wichtige Veröffentlichungen werden inzwischen vorbereitet und werden in nicht zu ferner Zeit gleichfalls zu tage treten. Zunächst ist noch die Ausgabe der Regesten Clemens' des Fünften und Bonifacius' des Achten in Angriff genommen; an den ersteren arbeitet Tosti, an den letzteren Digard. Daß dieser frische wissenschaftliche Luftzug, der jetzt durch den Vatikan weht, von Leo dem Dreizehnter selbst ausgeht, ist eine für die mit den Ver¬ hältnissen Vertrauteren feststehende Thatsache. Zwar giebt es am päpstlichen Hofe noch weiterblickende, den Forderungen und Aufgaben historischer Wissenschaft durchaus zugängliche Gelehrte, denen man den Antrieb zu solcher freieren Be¬ wegung wohl zutrauen könnte, aber ohne die Initiative Leos des Dreizehnter selber würden alle derartigen Bestrebungen ohne Erfolg bleiben, da der gegen¬ wirkenden Strömungen gerade genug sind, um sie im Keime zu ersticken. Auch die Berufung solcher Männer in den Vatikan und zu solchen Aufgaben ist das eigenste Werk des gegenwärtigen Papstes. Vor allem die Ernennung des berühmten Theologen und Historikers Denifle, der seit 1880 als Generaldefinitor des Domini¬ kanerordens für Deutschland in Rom lebt, nach dem Rücktritte Balans, des Heraus¬ gebers der voeuinsntg, Imtb.erg,lig., zum zweiten „Unterarchivar" des vatikanischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/470>, abgerufen am 28.12.2024.