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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Ans der Diplomatenschnle.

innig vertraut sein, er muß ferner von den Grundsätzen der allgemeinen Rechts¬
philosophie durchdrungen sein und sich eine genügende Fertigkeit in der neueren
Sprachen angeeignet haben, daneben aber auch, als Bedingung wahrer Wissen¬
schaftlichkeit, mit der klassischen Literatur bekannt sein. Diese Kenntnisse allein
jedoch schaffen den Diplomaten noch nicht; vielmehr sind dazu noch manche
Gaben erforderlich, welche nicht durch Studium, sondern nur durch das Leben
in der Welt erworben werden können, oder die Frucht glücklicher Naturanlagen
sind, als Menschenkenntnis, Gegenwart des Geistes und die Fertigkeit, unvor¬
bereitet zu reden und zu handeln, Beredsamkeit ohne Überladung, Selbstkenntnis
und Selbstbeherrschung, scharfe Beobachtung, strenge Charakterfestigkeit, besonnene
Freimütigkeit, dabei aber tiefste Verschwiegenheit, Vorsicht, nur nicht bis zur
Übertreibung oder Lächerlichkeit, Rechtlichkeit und Wahrheit, Gewandtheit im
Gebrauche der Sprache und der konventionellen Formen und liebenswürdige
und feine Sitte, jedoch ohne Ziererei,"

In bezug mif die Kenntnisse, welche sich der zu gesandtschaftlicher Thätigkeit
Bestimmte anzueignen hat, sagt Martens: "Das Studium der eigentlichen
Diplomatie verlangt die Bekanntschaft mit: 1. dem natürlichen Völkerrecht und
dem allgemeinen öffentlichen Recht, 2. dem positiven Völkerrecht Europas, 3. dem
in den Hauptstaaten Europas geltenden öffentlichen Rechte, 4. der Geschichte
und ihren Nebenwisscnschnften, 5, deu verschiednen politischen Shstcmen, 6, der
Volkswirtschaft, 7, der Geographie und Statistik, 8. den Regeln, die bei Ne-
gotiationen zu beobachten sind, 9. endlich der Kunst, in politischen Angelegen¬
heiten zu schreiben."

Heffter bemerkt in seinem Werke über das europäische Völkerrecht (Z 233)
vom Gesandten, der sich zu Verhandlungen anschickt: "Er muß Schlimmes unter
einer guten Miene verbergen und sich nicht durch leere Worte oder Fremdartiges
Hinhalten lassen. In seinen Anträgen sei er bestimmt, in der Diskussion der
Einwendungen sicher und logisch, überhaupt nie den Zweck ans den Augen
verlierend; aber er verfolge ihn mit Mäßigung und ohne Opiniontrirung; er
vermeide es, gegen Hindernisse zu kämpfen, welche dennoch nicht sofort beseitigt
werden können." Ccillieres sagt in seiner Schrift 1/s.re, dö us^ooiör g.oso Iss
8cmvsrg,of (I, S. 172): "Ein angenehmer, schnell fassender und klarer Geist,
welcher sich auf die Kunst versteht, die größten Angelegenheiten als leichte und
den dabei beteiligten Parteien vorteilhafte darzustellen, und es in ungezwungener
und einschmeichelnder Weise zu mache,? weiß, hat mehr als die Hälfte seiner
Aufgabe vollbracht und findet es sehr leicht, sie durchzuführen." Schmalz äußert
im dritten Buche seines "Europäische" Völkerrechts" (S. 103): "Pflicht der
Treue fmdert vom Gesandten, daß er jedes Geschäft diesen Anweisungen seiner
Instruktion) gemäß, im Geiste der Politik seines Souveräns behandle, daß er
nicht das, was ihm ratsamer dünkt, dem Befehle desselben mit Anmaßung unter¬
schiede, daß er selbst das zweideutige Wort nicht so deute, wie es seinem Wunsche,


Ans der Diplomatenschnle.

innig vertraut sein, er muß ferner von den Grundsätzen der allgemeinen Rechts¬
philosophie durchdrungen sein und sich eine genügende Fertigkeit in der neueren
Sprachen angeeignet haben, daneben aber auch, als Bedingung wahrer Wissen¬
schaftlichkeit, mit der klassischen Literatur bekannt sein. Diese Kenntnisse allein
jedoch schaffen den Diplomaten noch nicht; vielmehr sind dazu noch manche
Gaben erforderlich, welche nicht durch Studium, sondern nur durch das Leben
in der Welt erworben werden können, oder die Frucht glücklicher Naturanlagen
sind, als Menschenkenntnis, Gegenwart des Geistes und die Fertigkeit, unvor¬
bereitet zu reden und zu handeln, Beredsamkeit ohne Überladung, Selbstkenntnis
und Selbstbeherrschung, scharfe Beobachtung, strenge Charakterfestigkeit, besonnene
Freimütigkeit, dabei aber tiefste Verschwiegenheit, Vorsicht, nur nicht bis zur
Übertreibung oder Lächerlichkeit, Rechtlichkeit und Wahrheit, Gewandtheit im
Gebrauche der Sprache und der konventionellen Formen und liebenswürdige
und feine Sitte, jedoch ohne Ziererei,"

In bezug mif die Kenntnisse, welche sich der zu gesandtschaftlicher Thätigkeit
Bestimmte anzueignen hat, sagt Martens: „Das Studium der eigentlichen
Diplomatie verlangt die Bekanntschaft mit: 1. dem natürlichen Völkerrecht und
dem allgemeinen öffentlichen Recht, 2. dem positiven Völkerrecht Europas, 3. dem
in den Hauptstaaten Europas geltenden öffentlichen Rechte, 4. der Geschichte
und ihren Nebenwisscnschnften, 5, deu verschiednen politischen Shstcmen, 6, der
Volkswirtschaft, 7, der Geographie und Statistik, 8. den Regeln, die bei Ne-
gotiationen zu beobachten sind, 9. endlich der Kunst, in politischen Angelegen¬
heiten zu schreiben."

Heffter bemerkt in seinem Werke über das europäische Völkerrecht (Z 233)
vom Gesandten, der sich zu Verhandlungen anschickt: „Er muß Schlimmes unter
einer guten Miene verbergen und sich nicht durch leere Worte oder Fremdartiges
Hinhalten lassen. In seinen Anträgen sei er bestimmt, in der Diskussion der
Einwendungen sicher und logisch, überhaupt nie den Zweck ans den Augen
verlierend; aber er verfolge ihn mit Mäßigung und ohne Opiniontrirung; er
vermeide es, gegen Hindernisse zu kämpfen, welche dennoch nicht sofort beseitigt
werden können." Ccillieres sagt in seiner Schrift 1/s.re, dö us^ooiör g.oso Iss
8cmvsrg,of (I, S. 172): „Ein angenehmer, schnell fassender und klarer Geist,
welcher sich auf die Kunst versteht, die größten Angelegenheiten als leichte und
den dabei beteiligten Parteien vorteilhafte darzustellen, und es in ungezwungener
und einschmeichelnder Weise zu mache,? weiß, hat mehr als die Hälfte seiner
Aufgabe vollbracht und findet es sehr leicht, sie durchzuführen." Schmalz äußert
im dritten Buche seines „Europäische» Völkerrechts" (S. 103): „Pflicht der
Treue fmdert vom Gesandten, daß er jedes Geschäft diesen Anweisungen seiner
Instruktion) gemäß, im Geiste der Politik seines Souveräns behandle, daß er
nicht das, was ihm ratsamer dünkt, dem Befehle desselben mit Anmaßung unter¬
schiede, daß er selbst das zweideutige Wort nicht so deute, wie es seinem Wunsche,


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[0459] Ans der Diplomatenschnle. innig vertraut sein, er muß ferner von den Grundsätzen der allgemeinen Rechts¬ philosophie durchdrungen sein und sich eine genügende Fertigkeit in der neueren Sprachen angeeignet haben, daneben aber auch, als Bedingung wahrer Wissen¬ schaftlichkeit, mit der klassischen Literatur bekannt sein. Diese Kenntnisse allein jedoch schaffen den Diplomaten noch nicht; vielmehr sind dazu noch manche Gaben erforderlich, welche nicht durch Studium, sondern nur durch das Leben in der Welt erworben werden können, oder die Frucht glücklicher Naturanlagen sind, als Menschenkenntnis, Gegenwart des Geistes und die Fertigkeit, unvor¬ bereitet zu reden und zu handeln, Beredsamkeit ohne Überladung, Selbstkenntnis und Selbstbeherrschung, scharfe Beobachtung, strenge Charakterfestigkeit, besonnene Freimütigkeit, dabei aber tiefste Verschwiegenheit, Vorsicht, nur nicht bis zur Übertreibung oder Lächerlichkeit, Rechtlichkeit und Wahrheit, Gewandtheit im Gebrauche der Sprache und der konventionellen Formen und liebenswürdige und feine Sitte, jedoch ohne Ziererei," In bezug mif die Kenntnisse, welche sich der zu gesandtschaftlicher Thätigkeit Bestimmte anzueignen hat, sagt Martens: „Das Studium der eigentlichen Diplomatie verlangt die Bekanntschaft mit: 1. dem natürlichen Völkerrecht und dem allgemeinen öffentlichen Recht, 2. dem positiven Völkerrecht Europas, 3. dem in den Hauptstaaten Europas geltenden öffentlichen Rechte, 4. der Geschichte und ihren Nebenwisscnschnften, 5, deu verschiednen politischen Shstcmen, 6, der Volkswirtschaft, 7, der Geographie und Statistik, 8. den Regeln, die bei Ne- gotiationen zu beobachten sind, 9. endlich der Kunst, in politischen Angelegen¬ heiten zu schreiben." Heffter bemerkt in seinem Werke über das europäische Völkerrecht (Z 233) vom Gesandten, der sich zu Verhandlungen anschickt: „Er muß Schlimmes unter einer guten Miene verbergen und sich nicht durch leere Worte oder Fremdartiges Hinhalten lassen. In seinen Anträgen sei er bestimmt, in der Diskussion der Einwendungen sicher und logisch, überhaupt nie den Zweck ans den Augen verlierend; aber er verfolge ihn mit Mäßigung und ohne Opiniontrirung; er vermeide es, gegen Hindernisse zu kämpfen, welche dennoch nicht sofort beseitigt werden können." Ccillieres sagt in seiner Schrift 1/s.re, dö us^ooiör g.oso Iss 8cmvsrg,of (I, S. 172): „Ein angenehmer, schnell fassender und klarer Geist, welcher sich auf die Kunst versteht, die größten Angelegenheiten als leichte und den dabei beteiligten Parteien vorteilhafte darzustellen, und es in ungezwungener und einschmeichelnder Weise zu mache,? weiß, hat mehr als die Hälfte seiner Aufgabe vollbracht und findet es sehr leicht, sie durchzuführen." Schmalz äußert im dritten Buche seines „Europäische» Völkerrechts" (S. 103): „Pflicht der Treue fmdert vom Gesandten, daß er jedes Geschäft diesen Anweisungen seiner Instruktion) gemäß, im Geiste der Politik seines Souveräns behandle, daß er nicht das, was ihm ratsamer dünkt, dem Befehle desselben mit Anmaßung unter¬ schiede, daß er selbst das zweideutige Wort nicht so deute, wie es seinem Wunsche,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/459>, abgerufen am 29.12.2024.