Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal."österreichisches. Staatsmänner an dem Sturze des Ministeriums Hohenwart im Jahre 1871. «österreichisches. Staatsmänner an dem Sturze des Ministeriums Hohenwart im Jahre 1871. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157377"/> <fw type="header" place="top"> «österreichisches.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1568" prev="#ID_1567"> Staatsmänner an dem Sturze des Ministeriums Hohenwart im Jahre 1871.<lb/> Eine unverkennbar aus der Feder des Grafen Beust selbst stammende Mitteilung<lb/> in der „Neuen freien Presse" vindizirte diesem das wesentliche Verdienst, und<lb/> daran schloß sich die wahrscheinlich redaktionelle Bemerkung. „Graf Beust hat<lb/> vor zwölf Jahren schon erkannt, daß eine auswärtige Politik, welche intimen<lb/> Beziehungen zu Deutschland zusteuert, unverträglich ist mit einer innern Politik,<lb/> welche den Föderalismus verkörpert. Selbst in Berlin will man sich heute<lb/> noch dieser Erkenntnis verschließen." Immer dasselbe Lied! Was verlangt<lb/> man denn eigentlich von „Berlin"? Die Ausübung eines Druckes, die Ein¬<lb/> mischung in die innern Verhältnisse Österreichs? Doch wohl kaum. Oder soll<lb/> der Reichskanzler durchblicken lassen, daß er zu einer „verfassungstreuen" Re¬<lb/> gierung mehr Vertrauen haben würde als zu der gegenwärtigen? Wir sind<lb/> in die Gedanken und Absichten des Fürsten Bismarck nicht eingeweiht, können<lb/> uns aber deutlich vorstellen, daß er nur wünscht, das Deutschland verbündete<lb/> Österreich einig und stark zu sehen, und daß er daher nicht nach Namen und Na¬<lb/> tionalität der Minister fragt, sondern nur darnach, ob sie Bürgschaft bieten für<lb/> den Bestand ihres Regiments. Nicht er hat das zweite Ministerium Auersperg<lb/> gestürzt, und wäre es heute noch am Ruder oder ein andres derselben Färbung,<lb/> und es zeigte die Kraft, sich zu behaupten, so würde er sich zu demselben sicherlich<lb/> ebenso sympathisch verhalten wie zu dem Ministerium Taaffe. Aber eine<lb/> Partei, welche ihrem Ministerium die Lust am Regiment gründlich verleidet,<lb/> dann störrisch das Zustandekommen einer andern Negierung aus dieser Mitte<lb/> verhindert, weil sie das Werk des Berliner Kongresses nicht anerkennen<lb/> will — was sie nun dennoch längst hat thun müssen —, und an deren Spitze<lb/> heute noch dieselben „Führer" stehen, welche sie in diese Kalamität geführt<lb/> haben, die nicht die geringste Gewähr leistet, daß sie, durch irgendein Wunder<lb/> wieder ans Ruder gelangt, zeigen werde, sie habe inzwischen etwas gelernt,<lb/> eine solche Partei soll er etwa moralisch unterstützen gegen eine Regierung, die<lb/> sich in den schwierigsten Verhältnissen, unter dem Ansturm der fanatischen<lb/> Gegner von der einen, der begehrlichen Freunde von der andern Seite uner¬<lb/> schütterlich behauptet? Früher wurde gern der Aberwitz aufgetischt, Deutsch¬<lb/> land spekulire auf deu Zerfall Österreichs, um die deutschen Provinzen zu er¬<lb/> werben; daran glauben schwerlich noch die französischen Chauvinisten. Nun<lb/> wäre es endlich auch an der Zeit, dem Aberglauben abzuschwören, daß Deutsch¬<lb/> land die Verpflichtung habe, die Deutschen in Österreich zu schützen, wenn diese<lb/> sich nicht selbst behaupten können — bei parlamentarischer Regierungsform!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
«österreichisches.
Staatsmänner an dem Sturze des Ministeriums Hohenwart im Jahre 1871.
Eine unverkennbar aus der Feder des Grafen Beust selbst stammende Mitteilung
in der „Neuen freien Presse" vindizirte diesem das wesentliche Verdienst, und
daran schloß sich die wahrscheinlich redaktionelle Bemerkung. „Graf Beust hat
vor zwölf Jahren schon erkannt, daß eine auswärtige Politik, welche intimen
Beziehungen zu Deutschland zusteuert, unverträglich ist mit einer innern Politik,
welche den Föderalismus verkörpert. Selbst in Berlin will man sich heute
noch dieser Erkenntnis verschließen." Immer dasselbe Lied! Was verlangt
man denn eigentlich von „Berlin"? Die Ausübung eines Druckes, die Ein¬
mischung in die innern Verhältnisse Österreichs? Doch wohl kaum. Oder soll
der Reichskanzler durchblicken lassen, daß er zu einer „verfassungstreuen" Re¬
gierung mehr Vertrauen haben würde als zu der gegenwärtigen? Wir sind
in die Gedanken und Absichten des Fürsten Bismarck nicht eingeweiht, können
uns aber deutlich vorstellen, daß er nur wünscht, das Deutschland verbündete
Österreich einig und stark zu sehen, und daß er daher nicht nach Namen und Na¬
tionalität der Minister fragt, sondern nur darnach, ob sie Bürgschaft bieten für
den Bestand ihres Regiments. Nicht er hat das zweite Ministerium Auersperg
gestürzt, und wäre es heute noch am Ruder oder ein andres derselben Färbung,
und es zeigte die Kraft, sich zu behaupten, so würde er sich zu demselben sicherlich
ebenso sympathisch verhalten wie zu dem Ministerium Taaffe. Aber eine
Partei, welche ihrem Ministerium die Lust am Regiment gründlich verleidet,
dann störrisch das Zustandekommen einer andern Negierung aus dieser Mitte
verhindert, weil sie das Werk des Berliner Kongresses nicht anerkennen
will — was sie nun dennoch längst hat thun müssen —, und an deren Spitze
heute noch dieselben „Führer" stehen, welche sie in diese Kalamität geführt
haben, die nicht die geringste Gewähr leistet, daß sie, durch irgendein Wunder
wieder ans Ruder gelangt, zeigen werde, sie habe inzwischen etwas gelernt,
eine solche Partei soll er etwa moralisch unterstützen gegen eine Regierung, die
sich in den schwierigsten Verhältnissen, unter dem Ansturm der fanatischen
Gegner von der einen, der begehrlichen Freunde von der andern Seite uner¬
schütterlich behauptet? Früher wurde gern der Aberwitz aufgetischt, Deutsch¬
land spekulire auf deu Zerfall Österreichs, um die deutschen Provinzen zu er¬
werben; daran glauben schwerlich noch die französischen Chauvinisten. Nun
wäre es endlich auch an der Zeit, dem Aberglauben abzuschwören, daß Deutsch¬
land die Verpflichtung habe, die Deutschen in Österreich zu schützen, wenn diese
sich nicht selbst behaupten können — bei parlamentarischer Regierungsform!
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