Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Pfisters Mühle.

haben. Ich aber gedachte meiner Kindheit und frühesten Jugend, und wie in
jenen Tagen Felix Lippoldes über meinem Gesichtskreise wie eine Sonne leuchtete,
wenn ich von Studiosus Asche und der Grammatik freigegeben und in meines
Vaters bunten, wimmelnden, fröhlichen Lebensgarten von neuem losgelassen wurde.

Ja, er war in seinen glücklichen Tagen dann und wann auch ein Gast
Vater Pfisters und hatte merkwürdig ungestört und ununterbrochen das große
phantastische Wort in Pfisters Mühle. Philister mit Frauen und Töchtern,
Bürger und Bürgerinnen mit ihren Kindern wie ich damals, höhere und niedere
Beamte mit ihren Damen und Kinderwagen, selbst die Vorstände und Vorstehe¬
rinnen der respektabelsten Vereinigungen: für öffentliche Gesundheitspflege --
für Verschönerung der Umgegend der Stadt -- für Verbesserung des Looses
entlassener Strafgefangener -- gegen den Mißbrauch geistiger Getränke --
gegen die Überhandnähme des Vagabundentums -- für, für, für und gegen, gegen
gegen -- ließen ihn reden, hörten ihm, wenn auch erstaunt, so doch nicht un¬
gern zu und waren so ratlos und ungewiß in ihren Gefühlen und ihrer Stim¬
mung gegen ihn, wie ich nun als erwachsener junger Mensch im Nebel und
Thaufrost des Wintertages auf diesem Wege zum Anfang des Endes von
Pfisters Mühle.

Ja, sie hatten beide ihre guten Tage hinter sich, der Müller und der
Poet. Die Quellen und Ströme ihres Daseins waren ihnen beiden abschmeckend,
trübe und übelriechend geworden, und es war ihnen wenig damit geholfen, daß
wir wußten, womit das zusammenhing und wie es durchaus nicht etwa geschah,
weil die Welt aus ihrem Geleise geraten wäre.

Das sind nun freilich Reflexionen, wie sie der Mensch beim nachträglichen
Aufzeichnen seiner Erlebnisse macht, wie sie ihm aber nur selten in Begleitung
der Erlebnisse selber kommen. Ich war damals ganz einfach auf dem Rückwege
zu meines Vaters verödeten Haus und Garten dem armen Felix behilflich,
seine Wohnung zu erreichen, und es war mir sehr angenehm, daß mir Adam
und Albertine entgegenkamen, um mir die Verantwortlichkeit für das letztere
von der Schulter zu nehmen.

Mein Weib in seinem Kinderschlaf und lieblichen Tagleben hat gottlob
kaum eine Ahnung davon, wie gut sie es gehabt hat gegen ihre nunmehrige
beste Freundin Frau Albertine. Es war gerade nicht angenehm, zur Erholung
mit auf Papas sonderbares Spaziervergnügen angewiesen zu sein; aber einem
toten Manne selber auf seinen unheimlichen Spaziergängen durch den kalten,
klappernden, rasselnden, klirrenden, mitleidlosen Werkeltag Gesellschaft leisten
zu müssen, war doch noch etwas schlimmer, und Fräulein Albertine Lippoldes
hatte nur dazu auf ihrem eignen Wege durch die Welt Halt gemacht und war
nur deshalb aus der Fremde nach Hause zurückgekehrt.'

Da kommt Fräulein Tochter, Herr Doktor, und nun sehen Sie nur mal,
welche Angst sie wieder um Sie hat! rief saufe. Und Herr Doktor Asche


Pfisters Mühle.

haben. Ich aber gedachte meiner Kindheit und frühesten Jugend, und wie in
jenen Tagen Felix Lippoldes über meinem Gesichtskreise wie eine Sonne leuchtete,
wenn ich von Studiosus Asche und der Grammatik freigegeben und in meines
Vaters bunten, wimmelnden, fröhlichen Lebensgarten von neuem losgelassen wurde.

Ja, er war in seinen glücklichen Tagen dann und wann auch ein Gast
Vater Pfisters und hatte merkwürdig ungestört und ununterbrochen das große
phantastische Wort in Pfisters Mühle. Philister mit Frauen und Töchtern,
Bürger und Bürgerinnen mit ihren Kindern wie ich damals, höhere und niedere
Beamte mit ihren Damen und Kinderwagen, selbst die Vorstände und Vorstehe¬
rinnen der respektabelsten Vereinigungen: für öffentliche Gesundheitspflege —
für Verschönerung der Umgegend der Stadt — für Verbesserung des Looses
entlassener Strafgefangener — gegen den Mißbrauch geistiger Getränke —
gegen die Überhandnähme des Vagabundentums — für, für, für und gegen, gegen
gegen — ließen ihn reden, hörten ihm, wenn auch erstaunt, so doch nicht un¬
gern zu und waren so ratlos und ungewiß in ihren Gefühlen und ihrer Stim¬
mung gegen ihn, wie ich nun als erwachsener junger Mensch im Nebel und
Thaufrost des Wintertages auf diesem Wege zum Anfang des Endes von
Pfisters Mühle.

Ja, sie hatten beide ihre guten Tage hinter sich, der Müller und der
Poet. Die Quellen und Ströme ihres Daseins waren ihnen beiden abschmeckend,
trübe und übelriechend geworden, und es war ihnen wenig damit geholfen, daß
wir wußten, womit das zusammenhing und wie es durchaus nicht etwa geschah,
weil die Welt aus ihrem Geleise geraten wäre.

Das sind nun freilich Reflexionen, wie sie der Mensch beim nachträglichen
Aufzeichnen seiner Erlebnisse macht, wie sie ihm aber nur selten in Begleitung
der Erlebnisse selber kommen. Ich war damals ganz einfach auf dem Rückwege
zu meines Vaters verödeten Haus und Garten dem armen Felix behilflich,
seine Wohnung zu erreichen, und es war mir sehr angenehm, daß mir Adam
und Albertine entgegenkamen, um mir die Verantwortlichkeit für das letztere
von der Schulter zu nehmen.

Mein Weib in seinem Kinderschlaf und lieblichen Tagleben hat gottlob
kaum eine Ahnung davon, wie gut sie es gehabt hat gegen ihre nunmehrige
beste Freundin Frau Albertine. Es war gerade nicht angenehm, zur Erholung
mit auf Papas sonderbares Spaziervergnügen angewiesen zu sein; aber einem
toten Manne selber auf seinen unheimlichen Spaziergängen durch den kalten,
klappernden, rasselnden, klirrenden, mitleidlosen Werkeltag Gesellschaft leisten
zu müssen, war doch noch etwas schlimmer, und Fräulein Albertine Lippoldes
hatte nur dazu auf ihrem eignen Wege durch die Welt Halt gemacht und war
nur deshalb aus der Fremde nach Hause zurückgekehrt.'

Da kommt Fräulein Tochter, Herr Doktor, und nun sehen Sie nur mal,
welche Angst sie wieder um Sie hat! rief saufe. Und Herr Doktor Asche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0435" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157360"/>
          <fw type="header" place="top"> Pfisters Mühle.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1496" prev="#ID_1495"> haben. Ich aber gedachte meiner Kindheit und frühesten Jugend, und wie in<lb/>
jenen Tagen Felix Lippoldes über meinem Gesichtskreise wie eine Sonne leuchtete,<lb/>
wenn ich von Studiosus Asche und der Grammatik freigegeben und in meines<lb/>
Vaters bunten, wimmelnden, fröhlichen Lebensgarten von neuem losgelassen wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1497"> Ja, er war in seinen glücklichen Tagen dann und wann auch ein Gast<lb/>
Vater Pfisters und hatte merkwürdig ungestört und ununterbrochen das große<lb/>
phantastische Wort in Pfisters Mühle. Philister mit Frauen und Töchtern,<lb/>
Bürger und Bürgerinnen mit ihren Kindern wie ich damals, höhere und niedere<lb/>
Beamte mit ihren Damen und Kinderwagen, selbst die Vorstände und Vorstehe¬<lb/>
rinnen der respektabelsten Vereinigungen: für öffentliche Gesundheitspflege &#x2014;<lb/>
für Verschönerung der Umgegend der Stadt &#x2014; für Verbesserung des Looses<lb/>
entlassener Strafgefangener &#x2014; gegen den Mißbrauch geistiger Getränke &#x2014;<lb/>
gegen die Überhandnähme des Vagabundentums &#x2014; für, für, für und gegen, gegen<lb/>
gegen &#x2014; ließen ihn reden, hörten ihm, wenn auch erstaunt, so doch nicht un¬<lb/>
gern zu und waren so ratlos und ungewiß in ihren Gefühlen und ihrer Stim¬<lb/>
mung gegen ihn, wie ich nun als erwachsener junger Mensch im Nebel und<lb/>
Thaufrost des Wintertages auf diesem Wege zum Anfang des Endes von<lb/>
Pfisters Mühle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1498"> Ja, sie hatten beide ihre guten Tage hinter sich, der Müller und der<lb/>
Poet. Die Quellen und Ströme ihres Daseins waren ihnen beiden abschmeckend,<lb/>
trübe und übelriechend geworden, und es war ihnen wenig damit geholfen, daß<lb/>
wir wußten, womit das zusammenhing und wie es durchaus nicht etwa geschah,<lb/>
weil die Welt aus ihrem Geleise geraten wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1499"> Das sind nun freilich Reflexionen, wie sie der Mensch beim nachträglichen<lb/>
Aufzeichnen seiner Erlebnisse macht, wie sie ihm aber nur selten in Begleitung<lb/>
der Erlebnisse selber kommen. Ich war damals ganz einfach auf dem Rückwege<lb/>
zu meines Vaters verödeten Haus und Garten dem armen Felix behilflich,<lb/>
seine Wohnung zu erreichen, und es war mir sehr angenehm, daß mir Adam<lb/>
und Albertine entgegenkamen, um mir die Verantwortlichkeit für das letztere<lb/>
von der Schulter zu nehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1500"> Mein Weib in seinem Kinderschlaf und lieblichen Tagleben hat gottlob<lb/>
kaum eine Ahnung davon, wie gut sie es gehabt hat gegen ihre nunmehrige<lb/>
beste Freundin Frau Albertine. Es war gerade nicht angenehm, zur Erholung<lb/>
mit auf Papas sonderbares Spaziervergnügen angewiesen zu sein; aber einem<lb/>
toten Manne selber auf seinen unheimlichen Spaziergängen durch den kalten,<lb/>
klappernden, rasselnden, klirrenden, mitleidlosen Werkeltag Gesellschaft leisten<lb/>
zu müssen, war doch noch etwas schlimmer, und Fräulein Albertine Lippoldes<lb/>
hatte nur dazu auf ihrem eignen Wege durch die Welt Halt gemacht und war<lb/>
nur deshalb aus der Fremde nach Hause zurückgekehrt.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1501" next="#ID_1502"> Da kommt Fräulein Tochter, Herr Doktor, und nun sehen Sie nur mal,<lb/>
welche Angst sie wieder um Sie hat! rief saufe.  Und Herr Doktor Asche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0435] Pfisters Mühle. haben. Ich aber gedachte meiner Kindheit und frühesten Jugend, und wie in jenen Tagen Felix Lippoldes über meinem Gesichtskreise wie eine Sonne leuchtete, wenn ich von Studiosus Asche und der Grammatik freigegeben und in meines Vaters bunten, wimmelnden, fröhlichen Lebensgarten von neuem losgelassen wurde. Ja, er war in seinen glücklichen Tagen dann und wann auch ein Gast Vater Pfisters und hatte merkwürdig ungestört und ununterbrochen das große phantastische Wort in Pfisters Mühle. Philister mit Frauen und Töchtern, Bürger und Bürgerinnen mit ihren Kindern wie ich damals, höhere und niedere Beamte mit ihren Damen und Kinderwagen, selbst die Vorstände und Vorstehe¬ rinnen der respektabelsten Vereinigungen: für öffentliche Gesundheitspflege — für Verschönerung der Umgegend der Stadt — für Verbesserung des Looses entlassener Strafgefangener — gegen den Mißbrauch geistiger Getränke — gegen die Überhandnähme des Vagabundentums — für, für, für und gegen, gegen gegen — ließen ihn reden, hörten ihm, wenn auch erstaunt, so doch nicht un¬ gern zu und waren so ratlos und ungewiß in ihren Gefühlen und ihrer Stim¬ mung gegen ihn, wie ich nun als erwachsener junger Mensch im Nebel und Thaufrost des Wintertages auf diesem Wege zum Anfang des Endes von Pfisters Mühle. Ja, sie hatten beide ihre guten Tage hinter sich, der Müller und der Poet. Die Quellen und Ströme ihres Daseins waren ihnen beiden abschmeckend, trübe und übelriechend geworden, und es war ihnen wenig damit geholfen, daß wir wußten, womit das zusammenhing und wie es durchaus nicht etwa geschah, weil die Welt aus ihrem Geleise geraten wäre. Das sind nun freilich Reflexionen, wie sie der Mensch beim nachträglichen Aufzeichnen seiner Erlebnisse macht, wie sie ihm aber nur selten in Begleitung der Erlebnisse selber kommen. Ich war damals ganz einfach auf dem Rückwege zu meines Vaters verödeten Haus und Garten dem armen Felix behilflich, seine Wohnung zu erreichen, und es war mir sehr angenehm, daß mir Adam und Albertine entgegenkamen, um mir die Verantwortlichkeit für das letztere von der Schulter zu nehmen. Mein Weib in seinem Kinderschlaf und lieblichen Tagleben hat gottlob kaum eine Ahnung davon, wie gut sie es gehabt hat gegen ihre nunmehrige beste Freundin Frau Albertine. Es war gerade nicht angenehm, zur Erholung mit auf Papas sonderbares Spaziervergnügen angewiesen zu sein; aber einem toten Manne selber auf seinen unheimlichen Spaziergängen durch den kalten, klappernden, rasselnden, klirrenden, mitleidlosen Werkeltag Gesellschaft leisten zu müssen, war doch noch etwas schlimmer, und Fräulein Albertine Lippoldes hatte nur dazu auf ihrem eignen Wege durch die Welt Halt gemacht und war nur deshalb aus der Fremde nach Hause zurückgekehrt.' Da kommt Fräulein Tochter, Herr Doktor, und nun sehen Sie nur mal, welche Angst sie wieder um Sie hat! rief saufe. Und Herr Doktor Asche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/435
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/435>, abgerufen am 29.12.2024.