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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Italienische Zustände.

Reisende, deren Gesundheit nicht über jeden Zweifel erhaben war, in ein Be-
obachtungs- (nicht in ein Cholera-) Lazaret zu bringen und dort zu observiren.

Wer die Zeit der Cholerafurcht nicht selbst in Italien mit erlebt hat,
kann sich kaum eine Vorstellung von den Zuständen machen, welche durch die¬
selbe hervorgerufen wurden. In Cortona wurde am 27. August eine Frau mit
zwei Kindern vor die Wahl gestellt, ins Lazaret zu gehen oder zurückzufahren;
Cortona wollte überhaupt keinen Fremden in seinen Mauern haben. Die arme
Frnu blieb auf dem Bahnhöfe, um mit dem nächsten Zuge nach Florenz zurück¬
zufahren.

In Perugia begab sich der Kriegerverein (die sogenannten rsäuoi nihilo
Mi-is oattÄg'lis) am 28. August abends zum Unterpräfekten, und bat ihn um
Anwendung der strengsten Maßregeln: "Gewiß, meine Herren, wir wollen nur
Leute in die Stadt lassen, die aus unverdächtigen Gegenden kommen." "Nein,
nein! schrieen die Tapfern, gar keiner soll herein, oder will er doch, so muß
er ins Lazaret!" Ich selbst war am Morgen dieses Tages noch eingelassen
worden, aber am Abend des nächsten Tages wurde eine Dame mit zwei Kin¬
dern, die in demselben Gasthof logirte, ans dem Bette geholt und ins Lazaret
gebracht. Am nächsten Morgen ließ man sie auf ein von dem Bürgermeister
von Florenz telegraphisch ausgestelltes Gesundheitsattest wieder frei: wie sorg¬
lich muß sich der Bürgermeister von Florenz um die Seinen kümmern, daß er
so genau über sie Bescheid wußte!

Der Bürgermeister von Perugia erließ eine strenge Verordnung, wonach
nur mit einem Gesundheitspasse versehene und aus völlig unverdächtigen Orten
kommende Reisende die Stadt betreten durften. Die Thore wurden von Mit¬
gliedern des Kriegervereins besetzt, die mit strenger Miene jeden Ankömmling
musterten. Als ich die Kirche ?iötro tuori 1<z inurg. besuchen wollte und
deshalb durch das Thor von San Pietro gehen mußte, gab mir der grimmige
Wächter ein lasen x^ssg-rs, damit ich wieder zurückkommen konnte. Ich em¬
pfahl ihm, den Herrn Bürgermeister auf einen Teil meines Gasthofes aufmerksam
zu machen, der auf das dringendste in sanitäre Observanz genommen zu
werden verdiente. Der Veteran wollte sich halbtot lachen und bemerkte, dann
hätte der Herr Siudaco viel in Perugia zu thun.

Ebenso wie Perugia sperrten sich die andern Städte ab. Niemand kam
nach Assise, Spoleto, Temi, Trevi u. s. w, hinein. Ja die Furcht ging so weit,
daß in Foligno sämtliche Reisende, obgleich gar keiner in die Stadt gehen
wollte, in einem engen, schmutzige" Raume einer Räucherung unterzogen wurden,
ehe man sie Weiterreisen ließ.

Auf diese Weise wurde der ganze innere Verkehr in Italien lahmgelegt. Bekannt
gemacht wurden die Sperrmaßregelu immer nur in den Ortschaften selbst, und
niemand konnte sicher sein, ob er in die Stadt, in welche er sich begeben wollte,
auch wirklich eingelassen werden würde. Am Billetschalter in Rom fragte ich,


Italienische Zustände.

Reisende, deren Gesundheit nicht über jeden Zweifel erhaben war, in ein Be-
obachtungs- (nicht in ein Cholera-) Lazaret zu bringen und dort zu observiren.

Wer die Zeit der Cholerafurcht nicht selbst in Italien mit erlebt hat,
kann sich kaum eine Vorstellung von den Zuständen machen, welche durch die¬
selbe hervorgerufen wurden. In Cortona wurde am 27. August eine Frau mit
zwei Kindern vor die Wahl gestellt, ins Lazaret zu gehen oder zurückzufahren;
Cortona wollte überhaupt keinen Fremden in seinen Mauern haben. Die arme
Frnu blieb auf dem Bahnhöfe, um mit dem nächsten Zuge nach Florenz zurück¬
zufahren.

In Perugia begab sich der Kriegerverein (die sogenannten rsäuoi nihilo
Mi-is oattÄg'lis) am 28. August abends zum Unterpräfekten, und bat ihn um
Anwendung der strengsten Maßregeln: „Gewiß, meine Herren, wir wollen nur
Leute in die Stadt lassen, die aus unverdächtigen Gegenden kommen." „Nein,
nein! schrieen die Tapfern, gar keiner soll herein, oder will er doch, so muß
er ins Lazaret!" Ich selbst war am Morgen dieses Tages noch eingelassen
worden, aber am Abend des nächsten Tages wurde eine Dame mit zwei Kin¬
dern, die in demselben Gasthof logirte, ans dem Bette geholt und ins Lazaret
gebracht. Am nächsten Morgen ließ man sie auf ein von dem Bürgermeister
von Florenz telegraphisch ausgestelltes Gesundheitsattest wieder frei: wie sorg¬
lich muß sich der Bürgermeister von Florenz um die Seinen kümmern, daß er
so genau über sie Bescheid wußte!

Der Bürgermeister von Perugia erließ eine strenge Verordnung, wonach
nur mit einem Gesundheitspasse versehene und aus völlig unverdächtigen Orten
kommende Reisende die Stadt betreten durften. Die Thore wurden von Mit¬
gliedern des Kriegervereins besetzt, die mit strenger Miene jeden Ankömmling
musterten. Als ich die Kirche ?iötro tuori 1<z inurg. besuchen wollte und
deshalb durch das Thor von San Pietro gehen mußte, gab mir der grimmige
Wächter ein lasen x^ssg-rs, damit ich wieder zurückkommen konnte. Ich em¬
pfahl ihm, den Herrn Bürgermeister auf einen Teil meines Gasthofes aufmerksam
zu machen, der auf das dringendste in sanitäre Observanz genommen zu
werden verdiente. Der Veteran wollte sich halbtot lachen und bemerkte, dann
hätte der Herr Siudaco viel in Perugia zu thun.

Ebenso wie Perugia sperrten sich die andern Städte ab. Niemand kam
nach Assise, Spoleto, Temi, Trevi u. s. w, hinein. Ja die Furcht ging so weit,
daß in Foligno sämtliche Reisende, obgleich gar keiner in die Stadt gehen
wollte, in einem engen, schmutzige» Raume einer Räucherung unterzogen wurden,
ehe man sie Weiterreisen ließ.

Auf diese Weise wurde der ganze innere Verkehr in Italien lahmgelegt. Bekannt
gemacht wurden die Sperrmaßregelu immer nur in den Ortschaften selbst, und
niemand konnte sicher sein, ob er in die Stadt, in welche er sich begeben wollte,
auch wirklich eingelassen werden würde. Am Billetschalter in Rom fragte ich,


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[0413] Italienische Zustände. Reisende, deren Gesundheit nicht über jeden Zweifel erhaben war, in ein Be- obachtungs- (nicht in ein Cholera-) Lazaret zu bringen und dort zu observiren. Wer die Zeit der Cholerafurcht nicht selbst in Italien mit erlebt hat, kann sich kaum eine Vorstellung von den Zuständen machen, welche durch die¬ selbe hervorgerufen wurden. In Cortona wurde am 27. August eine Frau mit zwei Kindern vor die Wahl gestellt, ins Lazaret zu gehen oder zurückzufahren; Cortona wollte überhaupt keinen Fremden in seinen Mauern haben. Die arme Frnu blieb auf dem Bahnhöfe, um mit dem nächsten Zuge nach Florenz zurück¬ zufahren. In Perugia begab sich der Kriegerverein (die sogenannten rsäuoi nihilo Mi-is oattÄg'lis) am 28. August abends zum Unterpräfekten, und bat ihn um Anwendung der strengsten Maßregeln: „Gewiß, meine Herren, wir wollen nur Leute in die Stadt lassen, die aus unverdächtigen Gegenden kommen." „Nein, nein! schrieen die Tapfern, gar keiner soll herein, oder will er doch, so muß er ins Lazaret!" Ich selbst war am Morgen dieses Tages noch eingelassen worden, aber am Abend des nächsten Tages wurde eine Dame mit zwei Kin¬ dern, die in demselben Gasthof logirte, ans dem Bette geholt und ins Lazaret gebracht. Am nächsten Morgen ließ man sie auf ein von dem Bürgermeister von Florenz telegraphisch ausgestelltes Gesundheitsattest wieder frei: wie sorg¬ lich muß sich der Bürgermeister von Florenz um die Seinen kümmern, daß er so genau über sie Bescheid wußte! Der Bürgermeister von Perugia erließ eine strenge Verordnung, wonach nur mit einem Gesundheitspasse versehene und aus völlig unverdächtigen Orten kommende Reisende die Stadt betreten durften. Die Thore wurden von Mit¬ gliedern des Kriegervereins besetzt, die mit strenger Miene jeden Ankömmling musterten. Als ich die Kirche ?iötro tuori 1<z inurg. besuchen wollte und deshalb durch das Thor von San Pietro gehen mußte, gab mir der grimmige Wächter ein lasen x^ssg-rs, damit ich wieder zurückkommen konnte. Ich em¬ pfahl ihm, den Herrn Bürgermeister auf einen Teil meines Gasthofes aufmerksam zu machen, der auf das dringendste in sanitäre Observanz genommen zu werden verdiente. Der Veteran wollte sich halbtot lachen und bemerkte, dann hätte der Herr Siudaco viel in Perugia zu thun. Ebenso wie Perugia sperrten sich die andern Städte ab. Niemand kam nach Assise, Spoleto, Temi, Trevi u. s. w, hinein. Ja die Furcht ging so weit, daß in Foligno sämtliche Reisende, obgleich gar keiner in die Stadt gehen wollte, in einem engen, schmutzige» Raume einer Räucherung unterzogen wurden, ehe man sie Weiterreisen ließ. Auf diese Weise wurde der ganze innere Verkehr in Italien lahmgelegt. Bekannt gemacht wurden die Sperrmaßregelu immer nur in den Ortschaften selbst, und niemand konnte sicher sein, ob er in die Stadt, in welche er sich begeben wollte, auch wirklich eingelassen werden würde. Am Billetschalter in Rom fragte ich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/413>, abgerufen am 28.12.2024.