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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Zeugenveretdigung nach den geltenden Prozeßgesetzen.

Erinnerung u. s. w. entschuldigen, um der nunmehrigen Vereidigung einer falschen
Aussage auszuweichen, denn eine etwa gegen sie selbst einzuleitende Untersuchung
wegen falscher Anschuldigung oder wegen Begünstigung ist schon der Schwierigkeit
des zu erbringenden Beweises der Wissentlichkeit halber in der Regel resultatlos
und das unvereidigte Lügen vor der Behörde nach unsrer geltenden Gesetz¬
gebung gestattet.

Es erübrigt noch die Frage, ob sich die Form des Zeugeneides bewährt
habe. Wer in der Praxis steht, kann täglich die Erfahrung machen, wie
durchaus ungeeignet und zweckwidrig es ist, von dem gewöhnlichen Manne die
Nachsprechung eines längeren, seinem eignen Gedankengange ungewohnten
Satzes zu verlangen. Abgesehen von den gewöhnlichsten, täglich sich wieder¬
holenden Mißverständnissen wie dem, daß der Zeuge dem vorsprechenden Richter
die Worte "ich schwöre..." mit "Sie schwören ..." nachspricht, daß er gelobt,
"die reine Wahrheit zu verschweigen," "sich hinzusetzen" u. s. w., kommen noch
ganz andre, unglaubliche, von bestürzten Zeugen abgelegte Versprechungen vor,
wie "keine Schulden mehr zu machen" u. dergl., welche selbstverständlich in der
Zuhörerschaft laute Heiterkeit erzeugen und nichts weniger als geeignet sind,
den Ernst und die Würde der Eidesleistung zu erhöhen. Ebenso ist an der
bestehenden Form der bei jedem Zeugen einzeln zu wiederholenden Eidesabnahme
auszusetzen, daß sie eine ganz unverhältnismäßig zeitraubende ist und aus
diesem Grunde selbst dazu führt, die Feierlichkeit des Aktes abzuschwächen.

Aus den eben entwickelten Gründen dürfte es sich empfehlen, bei einer
künftigen Revision der Prozeßordnungen an die Stelle der geltenden umständ¬
lichen und ungeeigneten Vereidigungsform die zu setzen, daß nach voran¬
gegangener Ermahnung zur Wahrheit an sämtliche Zeugen der Vorsitzende
die oben angeführten Eidesworte vorspricht und von jedem ihnen die Worte
"Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe," nachsprechen läßt. Weiter em¬
pfiehlt es sich, die Vereidigung der Zeugen schon im Vorverfahren, ohne
daß besondre Gründe hierfür vorliegen müssen, zuzulassen und die Entscheidung
über die Frage, ob die Vereidigung erforderlich erscheine, ohne Angabe von
rechtfertigenden Gründen ganz dem Ermessen des die Vorerhebungen au¬
steilenden (staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen) Beamten zu überlassen.
Ebenso erscheint es dringend geboten, eine gesetzliche Bestimmung zu treffen,
wonach Lügen vor der Behörde, auch wenn sie nicht vereidigt werden, strafbar
sind, und endlich wird die Frage, ob nicht der jetzt geltende Promisforische Eid
durch den assertorischen ersetzt werden und damit die Möglichkeit gegeben werden
soll, unerhebliche Zeugen überhaupt unvereidigt zu lassen und so die maßlosen
Vereidigungen einzuschränken, einer wiederholten reiflicher Prüfung bedürfen.




Die Zeugenveretdigung nach den geltenden Prozeßgesetzen.

Erinnerung u. s. w. entschuldigen, um der nunmehrigen Vereidigung einer falschen
Aussage auszuweichen, denn eine etwa gegen sie selbst einzuleitende Untersuchung
wegen falscher Anschuldigung oder wegen Begünstigung ist schon der Schwierigkeit
des zu erbringenden Beweises der Wissentlichkeit halber in der Regel resultatlos
und das unvereidigte Lügen vor der Behörde nach unsrer geltenden Gesetz¬
gebung gestattet.

Es erübrigt noch die Frage, ob sich die Form des Zeugeneides bewährt
habe. Wer in der Praxis steht, kann täglich die Erfahrung machen, wie
durchaus ungeeignet und zweckwidrig es ist, von dem gewöhnlichen Manne die
Nachsprechung eines längeren, seinem eignen Gedankengange ungewohnten
Satzes zu verlangen. Abgesehen von den gewöhnlichsten, täglich sich wieder¬
holenden Mißverständnissen wie dem, daß der Zeuge dem vorsprechenden Richter
die Worte „ich schwöre..." mit „Sie schwören ..." nachspricht, daß er gelobt,
„die reine Wahrheit zu verschweigen," „sich hinzusetzen" u. s. w., kommen noch
ganz andre, unglaubliche, von bestürzten Zeugen abgelegte Versprechungen vor,
wie „keine Schulden mehr zu machen" u. dergl., welche selbstverständlich in der
Zuhörerschaft laute Heiterkeit erzeugen und nichts weniger als geeignet sind,
den Ernst und die Würde der Eidesleistung zu erhöhen. Ebenso ist an der
bestehenden Form der bei jedem Zeugen einzeln zu wiederholenden Eidesabnahme
auszusetzen, daß sie eine ganz unverhältnismäßig zeitraubende ist und aus
diesem Grunde selbst dazu führt, die Feierlichkeit des Aktes abzuschwächen.

Aus den eben entwickelten Gründen dürfte es sich empfehlen, bei einer
künftigen Revision der Prozeßordnungen an die Stelle der geltenden umständ¬
lichen und ungeeigneten Vereidigungsform die zu setzen, daß nach voran¬
gegangener Ermahnung zur Wahrheit an sämtliche Zeugen der Vorsitzende
die oben angeführten Eidesworte vorspricht und von jedem ihnen die Worte
„Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe," nachsprechen läßt. Weiter em¬
pfiehlt es sich, die Vereidigung der Zeugen schon im Vorverfahren, ohne
daß besondre Gründe hierfür vorliegen müssen, zuzulassen und die Entscheidung
über die Frage, ob die Vereidigung erforderlich erscheine, ohne Angabe von
rechtfertigenden Gründen ganz dem Ermessen des die Vorerhebungen au¬
steilenden (staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen) Beamten zu überlassen.
Ebenso erscheint es dringend geboten, eine gesetzliche Bestimmung zu treffen,
wonach Lügen vor der Behörde, auch wenn sie nicht vereidigt werden, strafbar
sind, und endlich wird die Frage, ob nicht der jetzt geltende Promisforische Eid
durch den assertorischen ersetzt werden und damit die Möglichkeit gegeben werden
soll, unerhebliche Zeugen überhaupt unvereidigt zu lassen und so die maßlosen
Vereidigungen einzuschränken, einer wiederholten reiflicher Prüfung bedürfen.




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[0411] Die Zeugenveretdigung nach den geltenden Prozeßgesetzen. Erinnerung u. s. w. entschuldigen, um der nunmehrigen Vereidigung einer falschen Aussage auszuweichen, denn eine etwa gegen sie selbst einzuleitende Untersuchung wegen falscher Anschuldigung oder wegen Begünstigung ist schon der Schwierigkeit des zu erbringenden Beweises der Wissentlichkeit halber in der Regel resultatlos und das unvereidigte Lügen vor der Behörde nach unsrer geltenden Gesetz¬ gebung gestattet. Es erübrigt noch die Frage, ob sich die Form des Zeugeneides bewährt habe. Wer in der Praxis steht, kann täglich die Erfahrung machen, wie durchaus ungeeignet und zweckwidrig es ist, von dem gewöhnlichen Manne die Nachsprechung eines längeren, seinem eignen Gedankengange ungewohnten Satzes zu verlangen. Abgesehen von den gewöhnlichsten, täglich sich wieder¬ holenden Mißverständnissen wie dem, daß der Zeuge dem vorsprechenden Richter die Worte „ich schwöre..." mit „Sie schwören ..." nachspricht, daß er gelobt, „die reine Wahrheit zu verschweigen," „sich hinzusetzen" u. s. w., kommen noch ganz andre, unglaubliche, von bestürzten Zeugen abgelegte Versprechungen vor, wie „keine Schulden mehr zu machen" u. dergl., welche selbstverständlich in der Zuhörerschaft laute Heiterkeit erzeugen und nichts weniger als geeignet sind, den Ernst und die Würde der Eidesleistung zu erhöhen. Ebenso ist an der bestehenden Form der bei jedem Zeugen einzeln zu wiederholenden Eidesabnahme auszusetzen, daß sie eine ganz unverhältnismäßig zeitraubende ist und aus diesem Grunde selbst dazu führt, die Feierlichkeit des Aktes abzuschwächen. Aus den eben entwickelten Gründen dürfte es sich empfehlen, bei einer künftigen Revision der Prozeßordnungen an die Stelle der geltenden umständ¬ lichen und ungeeigneten Vereidigungsform die zu setzen, daß nach voran¬ gegangener Ermahnung zur Wahrheit an sämtliche Zeugen der Vorsitzende die oben angeführten Eidesworte vorspricht und von jedem ihnen die Worte „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe," nachsprechen läßt. Weiter em¬ pfiehlt es sich, die Vereidigung der Zeugen schon im Vorverfahren, ohne daß besondre Gründe hierfür vorliegen müssen, zuzulassen und die Entscheidung über die Frage, ob die Vereidigung erforderlich erscheine, ohne Angabe von rechtfertigenden Gründen ganz dem Ermessen des die Vorerhebungen au¬ steilenden (staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen) Beamten zu überlassen. Ebenso erscheint es dringend geboten, eine gesetzliche Bestimmung zu treffen, wonach Lügen vor der Behörde, auch wenn sie nicht vereidigt werden, strafbar sind, und endlich wird die Frage, ob nicht der jetzt geltende Promisforische Eid durch den assertorischen ersetzt werden und damit die Möglichkeit gegeben werden soll, unerhebliche Zeugen überhaupt unvereidigt zu lassen und so die maßlosen Vereidigungen einzuschränken, einer wiederholten reiflicher Prüfung bedürfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/411>, abgerufen am 28.12.2024.