Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Venezianer zu Hause.

Verließ sie nur, um eine nahe Kirche zu besuchen, und dann in einfacher,
schwarzer Tracht, ohne jeden Schmuck. Ihr eine höhere Bildung geben zu lassen,
galt für überflüssig. War die Tochter aufgeblüht, so suchte ihr die Familie
einen Gemahl, sie selbst hatte keinen Anteil an der Wahl dessen, mit dem sie
durchs Leben gehen sollte. Die Ehe war eine Sache reiner Konvention, ein
Jnteressenvertrag zweier edeln Geschlechter, bei dem es sich nicht um Liebe han¬
delte, sondern um die Höhe der Mitgift und um den politischen Vorteil. Hatte
sich die Ausstattung anfangs in bescheidnen Grenzen gehalten, so stieg sie um
1500 gelegentlich bis zum Werte von 15000 Zecchinen Gold, trotz gelegentlicher
Versuche der Negierung, sie einzuschränken. Freilich mußte sie zurückgezahlt
werden, falls die Frau ohne Erben starb oder die Ehe getrennt ward. Wenn
alles -- oft durch einen Vermittler -- festgestellt war, so wurde die beabsichtigte
Eheschließung vor den ^.vog'gÄäori al Loinrm, die das Goldne Buch führten,
angemeldet und durch zwei Zeugen von jeder Seite bekräftigt. Falls die Braut
demi bürgerliche" Stande angehörte, war auch die Legitimität der Abkunft
zu prüfen. Doch nur die Ehe mit einer Magd, einer Bäuerin oder einer
Sklavin zog den Verlust des Adels nach sich. War die Verlobung er¬
klärt, so empfing die Braut zwei Tage vor der Trauung die zeremoniellen
Besuche ihrer Angehörigen. "Wenn ein Verwandter sie besuchen will, dann
kommt sie aus ihrem Zimmer, und geführt von einem Alten, der sie stützt, tritt
sie vor ihre Verwandten, vor denen macht sie einen und einen halben Schritt vor¬
wärts, dann einen bescheidnen Knix (inoässto "Mg-MIo); indem sie sich darauf mit
einer schönen Verbeugung verneigt, nimmt sie Abschied von ihnen und zieht sich
in ihr Zimmer zurück." In den nächsten Tagen fährt die Braut in geschmückter
Gondel, frei vor dem Verdeck aus Seide oder Atlas sitzend, von zahlreichen
Barken begleitet zu ihren Verwandten in den Klöstern, um sich von ihnen zu
verabschieden. Am Trauungstage begiebt sie sich ebenso zur Kirche: ihre Gon¬
dolieri in scharlachroten Seidenstrümpfen, die Diener des Hauses geschmückt mit
Medaillen, seidenen Bändern, Gold- und Silberspitzen, während von den Fenster¬
brüstungen des Palastes bunte Teppiche herniederhangen. Böllerschüsse krachen
bei der Abfahrt vom Vaterhause, Trompeten und Pfeifen empfangen die Braut
an der Kirche. So schreitet sie, geleitet von ihren Trauzeugen, zum Altar;
dort sieht sie ihren künftigen Gatten vielleicht zum erstenmale. Dann folgt ein
glänzendes Bankett, gewürzt oft durch improvisirte komische Darstellungen
(inouiMö), die die Vergangenheit beider Familien possenhaft behandeln. Dabei
nimmt dann die junge Frau die oft kostbaren Geschenke ihrer Trauzeugen ent¬
gegen, am Tage nach der Hochzeit von den Brautjungfern Kuchen und Eier,
Korb, Nadelbüchse und Fingerhut.

So war die Hochzeit eines vornehmen Paares mehr eine öffentliche wie
eine häusliche Feier, umso glänzender, je höher das Ansehen der Familien stand,
denen es angehörte. Vielleicht entwickelte niemals ein solches Fest blendendere


Die Venezianer zu Hause.

Verließ sie nur, um eine nahe Kirche zu besuchen, und dann in einfacher,
schwarzer Tracht, ohne jeden Schmuck. Ihr eine höhere Bildung geben zu lassen,
galt für überflüssig. War die Tochter aufgeblüht, so suchte ihr die Familie
einen Gemahl, sie selbst hatte keinen Anteil an der Wahl dessen, mit dem sie
durchs Leben gehen sollte. Die Ehe war eine Sache reiner Konvention, ein
Jnteressenvertrag zweier edeln Geschlechter, bei dem es sich nicht um Liebe han¬
delte, sondern um die Höhe der Mitgift und um den politischen Vorteil. Hatte
sich die Ausstattung anfangs in bescheidnen Grenzen gehalten, so stieg sie um
1500 gelegentlich bis zum Werte von 15000 Zecchinen Gold, trotz gelegentlicher
Versuche der Negierung, sie einzuschränken. Freilich mußte sie zurückgezahlt
werden, falls die Frau ohne Erben starb oder die Ehe getrennt ward. Wenn
alles — oft durch einen Vermittler — festgestellt war, so wurde die beabsichtigte
Eheschließung vor den ^.vog'gÄäori al Loinrm, die das Goldne Buch führten,
angemeldet und durch zwei Zeugen von jeder Seite bekräftigt. Falls die Braut
demi bürgerliche» Stande angehörte, war auch die Legitimität der Abkunft
zu prüfen. Doch nur die Ehe mit einer Magd, einer Bäuerin oder einer
Sklavin zog den Verlust des Adels nach sich. War die Verlobung er¬
klärt, so empfing die Braut zwei Tage vor der Trauung die zeremoniellen
Besuche ihrer Angehörigen. „Wenn ein Verwandter sie besuchen will, dann
kommt sie aus ihrem Zimmer, und geführt von einem Alten, der sie stützt, tritt
sie vor ihre Verwandten, vor denen macht sie einen und einen halben Schritt vor¬
wärts, dann einen bescheidnen Knix (inoässto «Mg-MIo); indem sie sich darauf mit
einer schönen Verbeugung verneigt, nimmt sie Abschied von ihnen und zieht sich
in ihr Zimmer zurück." In den nächsten Tagen fährt die Braut in geschmückter
Gondel, frei vor dem Verdeck aus Seide oder Atlas sitzend, von zahlreichen
Barken begleitet zu ihren Verwandten in den Klöstern, um sich von ihnen zu
verabschieden. Am Trauungstage begiebt sie sich ebenso zur Kirche: ihre Gon¬
dolieri in scharlachroten Seidenstrümpfen, die Diener des Hauses geschmückt mit
Medaillen, seidenen Bändern, Gold- und Silberspitzen, während von den Fenster¬
brüstungen des Palastes bunte Teppiche herniederhangen. Böllerschüsse krachen
bei der Abfahrt vom Vaterhause, Trompeten und Pfeifen empfangen die Braut
an der Kirche. So schreitet sie, geleitet von ihren Trauzeugen, zum Altar;
dort sieht sie ihren künftigen Gatten vielleicht zum erstenmale. Dann folgt ein
glänzendes Bankett, gewürzt oft durch improvisirte komische Darstellungen
(inouiMö), die die Vergangenheit beider Familien possenhaft behandeln. Dabei
nimmt dann die junge Frau die oft kostbaren Geschenke ihrer Trauzeugen ent¬
gegen, am Tage nach der Hochzeit von den Brautjungfern Kuchen und Eier,
Korb, Nadelbüchse und Fingerhut.

So war die Hochzeit eines vornehmen Paares mehr eine öffentliche wie
eine häusliche Feier, umso glänzender, je höher das Ansehen der Familien stand,
denen es angehörte. Vielleicht entwickelte niemals ein solches Fest blendendere


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157295"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Venezianer zu Hause.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1274" prev="#ID_1273"> Verließ sie nur, um eine nahe Kirche zu besuchen, und dann in einfacher,<lb/>
schwarzer Tracht, ohne jeden Schmuck. Ihr eine höhere Bildung geben zu lassen,<lb/>
galt für überflüssig. War die Tochter aufgeblüht, so suchte ihr die Familie<lb/>
einen Gemahl, sie selbst hatte keinen Anteil an der Wahl dessen, mit dem sie<lb/>
durchs Leben gehen sollte. Die Ehe war eine Sache reiner Konvention, ein<lb/>
Jnteressenvertrag zweier edeln Geschlechter, bei dem es sich nicht um Liebe han¬<lb/>
delte, sondern um die Höhe der Mitgift und um den politischen Vorteil. Hatte<lb/>
sich die Ausstattung anfangs in bescheidnen Grenzen gehalten, so stieg sie um<lb/>
1500 gelegentlich bis zum Werte von 15000 Zecchinen Gold, trotz gelegentlicher<lb/>
Versuche der Negierung, sie einzuschränken. Freilich mußte sie zurückgezahlt<lb/>
werden, falls die Frau ohne Erben starb oder die Ehe getrennt ward. Wenn<lb/>
alles &#x2014; oft durch einen Vermittler &#x2014; festgestellt war, so wurde die beabsichtigte<lb/>
Eheschließung vor den ^.vog'gÄäori al Loinrm, die das Goldne Buch führten,<lb/>
angemeldet und durch zwei Zeugen von jeder Seite bekräftigt. Falls die Braut<lb/>
demi bürgerliche» Stande angehörte, war auch die Legitimität der Abkunft<lb/>
zu prüfen. Doch nur die Ehe mit einer Magd, einer Bäuerin oder einer<lb/>
Sklavin zog den Verlust des Adels nach sich. War die Verlobung er¬<lb/>
klärt, so empfing die Braut zwei Tage vor der Trauung die zeremoniellen<lb/>
Besuche ihrer Angehörigen. &#x201E;Wenn ein Verwandter sie besuchen will, dann<lb/>
kommt sie aus ihrem Zimmer, und geführt von einem Alten, der sie stützt, tritt<lb/>
sie vor ihre Verwandten, vor denen macht sie einen und einen halben Schritt vor¬<lb/>
wärts, dann einen bescheidnen Knix (inoässto «Mg-MIo); indem sie sich darauf mit<lb/>
einer schönen Verbeugung verneigt, nimmt sie Abschied von ihnen und zieht sich<lb/>
in ihr Zimmer zurück." In den nächsten Tagen fährt die Braut in geschmückter<lb/>
Gondel, frei vor dem Verdeck aus Seide oder Atlas sitzend, von zahlreichen<lb/>
Barken begleitet zu ihren Verwandten in den Klöstern, um sich von ihnen zu<lb/>
verabschieden. Am Trauungstage begiebt sie sich ebenso zur Kirche: ihre Gon¬<lb/>
dolieri in scharlachroten Seidenstrümpfen, die Diener des Hauses geschmückt mit<lb/>
Medaillen, seidenen Bändern, Gold- und Silberspitzen, während von den Fenster¬<lb/>
brüstungen des Palastes bunte Teppiche herniederhangen. Böllerschüsse krachen<lb/>
bei der Abfahrt vom Vaterhause, Trompeten und Pfeifen empfangen die Braut<lb/>
an der Kirche. So schreitet sie, geleitet von ihren Trauzeugen, zum Altar;<lb/>
dort sieht sie ihren künftigen Gatten vielleicht zum erstenmale. Dann folgt ein<lb/>
glänzendes Bankett, gewürzt oft durch improvisirte komische Darstellungen<lb/>
(inouiMö), die die Vergangenheit beider Familien possenhaft behandeln. Dabei<lb/>
nimmt dann die junge Frau die oft kostbaren Geschenke ihrer Trauzeugen ent¬<lb/>
gegen, am Tage nach der Hochzeit von den Brautjungfern Kuchen und Eier,<lb/>
Korb, Nadelbüchse und Fingerhut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1275" next="#ID_1276"> So war die Hochzeit eines vornehmen Paares mehr eine öffentliche wie<lb/>
eine häusliche Feier, umso glänzender, je höher das Ansehen der Familien stand,<lb/>
denen es angehörte. Vielleicht entwickelte niemals ein solches Fest blendendere</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] Die Venezianer zu Hause. Verließ sie nur, um eine nahe Kirche zu besuchen, und dann in einfacher, schwarzer Tracht, ohne jeden Schmuck. Ihr eine höhere Bildung geben zu lassen, galt für überflüssig. War die Tochter aufgeblüht, so suchte ihr die Familie einen Gemahl, sie selbst hatte keinen Anteil an der Wahl dessen, mit dem sie durchs Leben gehen sollte. Die Ehe war eine Sache reiner Konvention, ein Jnteressenvertrag zweier edeln Geschlechter, bei dem es sich nicht um Liebe han¬ delte, sondern um die Höhe der Mitgift und um den politischen Vorteil. Hatte sich die Ausstattung anfangs in bescheidnen Grenzen gehalten, so stieg sie um 1500 gelegentlich bis zum Werte von 15000 Zecchinen Gold, trotz gelegentlicher Versuche der Negierung, sie einzuschränken. Freilich mußte sie zurückgezahlt werden, falls die Frau ohne Erben starb oder die Ehe getrennt ward. Wenn alles — oft durch einen Vermittler — festgestellt war, so wurde die beabsichtigte Eheschließung vor den ^.vog'gÄäori al Loinrm, die das Goldne Buch führten, angemeldet und durch zwei Zeugen von jeder Seite bekräftigt. Falls die Braut demi bürgerliche» Stande angehörte, war auch die Legitimität der Abkunft zu prüfen. Doch nur die Ehe mit einer Magd, einer Bäuerin oder einer Sklavin zog den Verlust des Adels nach sich. War die Verlobung er¬ klärt, so empfing die Braut zwei Tage vor der Trauung die zeremoniellen Besuche ihrer Angehörigen. „Wenn ein Verwandter sie besuchen will, dann kommt sie aus ihrem Zimmer, und geführt von einem Alten, der sie stützt, tritt sie vor ihre Verwandten, vor denen macht sie einen und einen halben Schritt vor¬ wärts, dann einen bescheidnen Knix (inoässto «Mg-MIo); indem sie sich darauf mit einer schönen Verbeugung verneigt, nimmt sie Abschied von ihnen und zieht sich in ihr Zimmer zurück." In den nächsten Tagen fährt die Braut in geschmückter Gondel, frei vor dem Verdeck aus Seide oder Atlas sitzend, von zahlreichen Barken begleitet zu ihren Verwandten in den Klöstern, um sich von ihnen zu verabschieden. Am Trauungstage begiebt sie sich ebenso zur Kirche: ihre Gon¬ dolieri in scharlachroten Seidenstrümpfen, die Diener des Hauses geschmückt mit Medaillen, seidenen Bändern, Gold- und Silberspitzen, während von den Fenster¬ brüstungen des Palastes bunte Teppiche herniederhangen. Böllerschüsse krachen bei der Abfahrt vom Vaterhause, Trompeten und Pfeifen empfangen die Braut an der Kirche. So schreitet sie, geleitet von ihren Trauzeugen, zum Altar; dort sieht sie ihren künftigen Gatten vielleicht zum erstenmale. Dann folgt ein glänzendes Bankett, gewürzt oft durch improvisirte komische Darstellungen (inouiMö), die die Vergangenheit beider Familien possenhaft behandeln. Dabei nimmt dann die junge Frau die oft kostbaren Geschenke ihrer Trauzeugen ent¬ gegen, am Tage nach der Hochzeit von den Brautjungfern Kuchen und Eier, Korb, Nadelbüchse und Fingerhut. So war die Hochzeit eines vornehmen Paares mehr eine öffentliche wie eine häusliche Feier, umso glänzender, je höher das Ansehen der Familien stand, denen es angehörte. Vielleicht entwickelte niemals ein solches Fest blendendere

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/370>, abgerufen am 29.12.2024.