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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Aus der Diplomatenschule.

sind." Flassan sagt in der Einleitung zu seiner Geschichte der französischen
Diplomatie und Politik: "Diplomatie ist der Ausdruck, mit welchem man seit
einer Anzahl von Jahren die Wissenschaft von den auswärtigen Beziehungen
bezeichnet, welche die Diplome oder die von den Souveränen ausgegangenen
schriftlichen Urkunden zur Grundlage hat." Wir möchten die Definition vor¬
ziehen, welche Busch zu Anfang des Kapitels "Diplomatische Indiskretionen"
in seinem neuesten Buche "Unser Reichskanzler" (Bd. I, S. 222) giebt, und
welche lautet: "Die Diplomatie ist die Kunst, den berechtigten Eigennutz eines
Staates auf dem Wege von Verhandlungen mit andern Staaten zur Geltung
zu bringen." Nach ihm besteht ihre Aufgabe darin, "das politische Gemein¬
wesen, welchem der betreffende Minister des Auswärtigen, der betreffende Bot¬
schafter, Gesandte, Geschäftsträger u. s. w. angehört, durch Beobachtung, schrift¬
liche oder mündliche Vorstellung und Überredung gegen auswärtige Gegner zu
verteidigen, das Zustandekommen ihm feindlicher Allianzen zu verhindern, ihm
Verbündete zu gewinnen und zu erhalten und mit ihnen nach Möglichkeit so
zu operiren, daß in erster Linie die Interessen des Fürsten und des Volkes,
die der Diplomat vertritt, gefördert, deren Einfluß, deren Macht und Wohl¬
stand gehoben und erweitert werden."

Betrachten wir unser Institut vom historischen Standpunkte, so begegnen
wir ihm schon in der ersten Zeit, wo die Völker in Wechselverkehr zu einander
traten, uur gab es im Altertum und bis zu Ende des Mittelalters keine stehenden
Missionen, sondern man schickte und empfing nur von Fall zu Fall Beauftragte
zum Zwecke diplomatischer Verhandlungen. So bereits in China, von wo schon
im Jahre 64 v. Chr. eine Gesandtschaft ins Abendland abging; so in Indien,
in dessen Gesetzbüchern sich mehrfach Bestimmungen finden, welche die Wahl
von Gesandten und die Eigenschaften und Pflichten derselben betreffen. So bei
den alten Jsraeliten, wo Moses an den König von Eton eine Gesandtschaft
abordnet, um sich bei ihm die Erlaubnis zum Durchzuge feines Volkes durch
dessen Land zu erbitten, und wo er zu gleichem Zwecke eine Botschaft an Sidon,
den König der Amoritcr, absendet, und wo später David an Hcmon, den neuen
König der Ammoniter, einige "seiner Knechte" abschickt, um ihn über den Tod
seines Vaters zu trösten, was mißlingt, indem der (wohl nicht ohne Grund)
mißtrauische Hanvn die Leute als Kundschafter betrachtet und ihnen die Schmach
anthut, sie mit halb abgeschorenen Bärten und bis zum Gürtel abgeschnittenen
Kleidern nach Hause zu senden -- ein unerhörtes Verfahren, das von David
dnrch einen siegreichen Krieg gerächt wird. Auch unter Salomo kommen Ge¬
sandte vor. Hiram von Tyrus läßt ihm durch solche zu seinem Regierungs¬
antritt Glück wünschen, er seinerseits läßt ihm den Wunsch nach Beistand beim
Baue des von ihm beabsichtigten Tempels aussprechen und schließt mit ihm
einen Bund, wobei (2. Chron. 2, 11) der Tyrer seine Bedingungen schriftlich
formulirt -- die erste diplomatische Depesche, der wir in der Geschichte begegnen.


Aus der Diplomatenschule.

sind." Flassan sagt in der Einleitung zu seiner Geschichte der französischen
Diplomatie und Politik: „Diplomatie ist der Ausdruck, mit welchem man seit
einer Anzahl von Jahren die Wissenschaft von den auswärtigen Beziehungen
bezeichnet, welche die Diplome oder die von den Souveränen ausgegangenen
schriftlichen Urkunden zur Grundlage hat." Wir möchten die Definition vor¬
ziehen, welche Busch zu Anfang des Kapitels „Diplomatische Indiskretionen"
in seinem neuesten Buche „Unser Reichskanzler" (Bd. I, S. 222) giebt, und
welche lautet: „Die Diplomatie ist die Kunst, den berechtigten Eigennutz eines
Staates auf dem Wege von Verhandlungen mit andern Staaten zur Geltung
zu bringen." Nach ihm besteht ihre Aufgabe darin, „das politische Gemein¬
wesen, welchem der betreffende Minister des Auswärtigen, der betreffende Bot¬
schafter, Gesandte, Geschäftsträger u. s. w. angehört, durch Beobachtung, schrift¬
liche oder mündliche Vorstellung und Überredung gegen auswärtige Gegner zu
verteidigen, das Zustandekommen ihm feindlicher Allianzen zu verhindern, ihm
Verbündete zu gewinnen und zu erhalten und mit ihnen nach Möglichkeit so
zu operiren, daß in erster Linie die Interessen des Fürsten und des Volkes,
die der Diplomat vertritt, gefördert, deren Einfluß, deren Macht und Wohl¬
stand gehoben und erweitert werden."

Betrachten wir unser Institut vom historischen Standpunkte, so begegnen
wir ihm schon in der ersten Zeit, wo die Völker in Wechselverkehr zu einander
traten, uur gab es im Altertum und bis zu Ende des Mittelalters keine stehenden
Missionen, sondern man schickte und empfing nur von Fall zu Fall Beauftragte
zum Zwecke diplomatischer Verhandlungen. So bereits in China, von wo schon
im Jahre 64 v. Chr. eine Gesandtschaft ins Abendland abging; so in Indien,
in dessen Gesetzbüchern sich mehrfach Bestimmungen finden, welche die Wahl
von Gesandten und die Eigenschaften und Pflichten derselben betreffen. So bei
den alten Jsraeliten, wo Moses an den König von Eton eine Gesandtschaft
abordnet, um sich bei ihm die Erlaubnis zum Durchzuge feines Volkes durch
dessen Land zu erbitten, und wo er zu gleichem Zwecke eine Botschaft an Sidon,
den König der Amoritcr, absendet, und wo später David an Hcmon, den neuen
König der Ammoniter, einige „seiner Knechte" abschickt, um ihn über den Tod
seines Vaters zu trösten, was mißlingt, indem der (wohl nicht ohne Grund)
mißtrauische Hanvn die Leute als Kundschafter betrachtet und ihnen die Schmach
anthut, sie mit halb abgeschorenen Bärten und bis zum Gürtel abgeschnittenen
Kleidern nach Hause zu senden — ein unerhörtes Verfahren, das von David
dnrch einen siegreichen Krieg gerächt wird. Auch unter Salomo kommen Ge¬
sandte vor. Hiram von Tyrus läßt ihm durch solche zu seinem Regierungs¬
antritt Glück wünschen, er seinerseits läßt ihm den Wunsch nach Beistand beim
Baue des von ihm beabsichtigten Tempels aussprechen und schließt mit ihm
einen Bund, wobei (2. Chron. 2, 11) der Tyrer seine Bedingungen schriftlich
formulirt — die erste diplomatische Depesche, der wir in der Geschichte begegnen.


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[0359] Aus der Diplomatenschule. sind." Flassan sagt in der Einleitung zu seiner Geschichte der französischen Diplomatie und Politik: „Diplomatie ist der Ausdruck, mit welchem man seit einer Anzahl von Jahren die Wissenschaft von den auswärtigen Beziehungen bezeichnet, welche die Diplome oder die von den Souveränen ausgegangenen schriftlichen Urkunden zur Grundlage hat." Wir möchten die Definition vor¬ ziehen, welche Busch zu Anfang des Kapitels „Diplomatische Indiskretionen" in seinem neuesten Buche „Unser Reichskanzler" (Bd. I, S. 222) giebt, und welche lautet: „Die Diplomatie ist die Kunst, den berechtigten Eigennutz eines Staates auf dem Wege von Verhandlungen mit andern Staaten zur Geltung zu bringen." Nach ihm besteht ihre Aufgabe darin, „das politische Gemein¬ wesen, welchem der betreffende Minister des Auswärtigen, der betreffende Bot¬ schafter, Gesandte, Geschäftsträger u. s. w. angehört, durch Beobachtung, schrift¬ liche oder mündliche Vorstellung und Überredung gegen auswärtige Gegner zu verteidigen, das Zustandekommen ihm feindlicher Allianzen zu verhindern, ihm Verbündete zu gewinnen und zu erhalten und mit ihnen nach Möglichkeit so zu operiren, daß in erster Linie die Interessen des Fürsten und des Volkes, die der Diplomat vertritt, gefördert, deren Einfluß, deren Macht und Wohl¬ stand gehoben und erweitert werden." Betrachten wir unser Institut vom historischen Standpunkte, so begegnen wir ihm schon in der ersten Zeit, wo die Völker in Wechselverkehr zu einander traten, uur gab es im Altertum und bis zu Ende des Mittelalters keine stehenden Missionen, sondern man schickte und empfing nur von Fall zu Fall Beauftragte zum Zwecke diplomatischer Verhandlungen. So bereits in China, von wo schon im Jahre 64 v. Chr. eine Gesandtschaft ins Abendland abging; so in Indien, in dessen Gesetzbüchern sich mehrfach Bestimmungen finden, welche die Wahl von Gesandten und die Eigenschaften und Pflichten derselben betreffen. So bei den alten Jsraeliten, wo Moses an den König von Eton eine Gesandtschaft abordnet, um sich bei ihm die Erlaubnis zum Durchzuge feines Volkes durch dessen Land zu erbitten, und wo er zu gleichem Zwecke eine Botschaft an Sidon, den König der Amoritcr, absendet, und wo später David an Hcmon, den neuen König der Ammoniter, einige „seiner Knechte" abschickt, um ihn über den Tod seines Vaters zu trösten, was mißlingt, indem der (wohl nicht ohne Grund) mißtrauische Hanvn die Leute als Kundschafter betrachtet und ihnen die Schmach anthut, sie mit halb abgeschorenen Bärten und bis zum Gürtel abgeschnittenen Kleidern nach Hause zu senden — ein unerhörtes Verfahren, das von David dnrch einen siegreichen Krieg gerächt wird. Auch unter Salomo kommen Ge¬ sandte vor. Hiram von Tyrus läßt ihm durch solche zu seinem Regierungs¬ antritt Glück wünschen, er seinerseits läßt ihm den Wunsch nach Beistand beim Baue des von ihm beabsichtigten Tempels aussprechen und schließt mit ihm einen Bund, wobei (2. Chron. 2, 11) der Tyrer seine Bedingungen schriftlich formulirt — die erste diplomatische Depesche, der wir in der Geschichte begegnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/359>, abgerufen am 29.12.2024.