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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Venezianer zu Hanse.

sind. Gab es zwischen ihnen keinen Unterschied des Rechtes, so doch einen
solchen des Alters und des Ranges. Voran standen die zwölf Apostel- und
die vier Evangelistenfamilien. Zu jenen gehörten z. B. die Badoer, Sanudi,
Contarini, Dcmdoli, Morosini, Falieri, zu diesen die Cornari und Bragadini;
dann kamen acht andre Geschlechter, die schon vor der Schließung des Großen
Rates in besonderm Ansehen standen; die Masse der Nobili bildeten die da¬
mals oder später bei besondern Gelegenheiten zugelassenen Familien, im ganzen
etwa 120, unter ihnen die Mocenigi, Grimcmi, Foscari, Loredani, Pesari.
Denn nicht als Kaste schloß sich der Adel ab; besonderem Verdienste öffnete er
seine Reihen ohne Rücksicht auf die Abkunft, wie z. B. der erste Vendramin
(1445) ein Geldwechsler war, der erste Calergi aus Candia stammte. Den
nicht eben zahlreichen Bürgerstand (im sechzehnten Jahrhundert nur etwa 4000
Köpfe) machten zunächst jene Adelsgeschlechter aus, die man im Jahre 1296
aus dem Großen Rate verdrängt hatte, seine Masse aber die später aufgenom¬
menen. Bedingung für die Erlangung des Bürgerrechtes (oittÄÄMÄn^) war
entweder die Abkunft von bürgerlichen Eltern, oder ein langjähriger Aufenthalt
(von fünfzehn oder fünfundzwanzig Jahren) in Venedig, oder endlich besondre
Verdienste um den Staat; doch schloß der Betrieb eines Handwerks in der
Regel aus. Die Handwerker bildeten dann den dritten Stand, die große Masse
der Einwohnerschaft. So wenig diese Klassen jemals zu Kasten erstarrten, so
wenig sperrte Venedig sich engherzig nach außen ab. Wer sich seinen Gesetzen
fügte, zu seinem Wohlergehen beitrug, war willkommen: Italiener aller Land¬
schaften, Griechen, Deutsche, zuweilen auch Juden erhielten das Bürgerrecht.
Selbst Auswärtige, die nicht in Venedig ihren Wohnsitz nahmen, suchten darum
nach, um des Schutzes der venezianischen Flagge teilhaftig zu werden, unter
ihnen nicht wenige fürstliche Herren, so die Este (1304), die Herren von Car-
rara (1318), die Gonzaga von Mantua (1332), ein Herzog von Athen (1344),
ja der große Zar Stephan Duschan von Serbien (1350). Ebensowenig fehlte
es an auswärtigen Familienverbindungen, an Heiraten venezianischer Nobili mit
normännischen, griechischen, slavischen, ungarischen Damen und umgekehrt. So
war der Doge Domenico salvo mit der Tochter des Kaisers Constantin Ducas
(1071), Jacopo Tiepolo mit Valdrada, der Schwester Rogers von Sizilien,
vermählt (1242); Lorenzo Tiepolo führte eine serbische Königstochter heim,
Tommasina Morosini wurde um 1276 die Gemahlin Stephans von Ungarn.

Eben diese Mischung verschiedenartiger Bestandteile, die beständige Zufuhr
frischen Blutes hat gewiß wesentlich dazu beigetragen, den Venezianern ihren Cha¬
rakter zu verleihen, jene Verbindung von Thatkraft, Besonnenheit, Betriebsamkeit
und Kühnheit, welche das Fischervolk der Lagunen zur ersten Seemacht des Abend¬
landes, Venedig zur größten Handels- und Industriestadt am Becken des Mittel¬
meeres nächst Konstantinopel gemacht hat. Während dem Adel und der Bürger¬
schaft der Großhandel zufiel, lebte die Masse der Bevölkerung in eifriger


Die Venezianer zu Hanse.

sind. Gab es zwischen ihnen keinen Unterschied des Rechtes, so doch einen
solchen des Alters und des Ranges. Voran standen die zwölf Apostel- und
die vier Evangelistenfamilien. Zu jenen gehörten z. B. die Badoer, Sanudi,
Contarini, Dcmdoli, Morosini, Falieri, zu diesen die Cornari und Bragadini;
dann kamen acht andre Geschlechter, die schon vor der Schließung des Großen
Rates in besonderm Ansehen standen; die Masse der Nobili bildeten die da¬
mals oder später bei besondern Gelegenheiten zugelassenen Familien, im ganzen
etwa 120, unter ihnen die Mocenigi, Grimcmi, Foscari, Loredani, Pesari.
Denn nicht als Kaste schloß sich der Adel ab; besonderem Verdienste öffnete er
seine Reihen ohne Rücksicht auf die Abkunft, wie z. B. der erste Vendramin
(1445) ein Geldwechsler war, der erste Calergi aus Candia stammte. Den
nicht eben zahlreichen Bürgerstand (im sechzehnten Jahrhundert nur etwa 4000
Köpfe) machten zunächst jene Adelsgeschlechter aus, die man im Jahre 1296
aus dem Großen Rate verdrängt hatte, seine Masse aber die später aufgenom¬
menen. Bedingung für die Erlangung des Bürgerrechtes (oittÄÄMÄn^) war
entweder die Abkunft von bürgerlichen Eltern, oder ein langjähriger Aufenthalt
(von fünfzehn oder fünfundzwanzig Jahren) in Venedig, oder endlich besondre
Verdienste um den Staat; doch schloß der Betrieb eines Handwerks in der
Regel aus. Die Handwerker bildeten dann den dritten Stand, die große Masse
der Einwohnerschaft. So wenig diese Klassen jemals zu Kasten erstarrten, so
wenig sperrte Venedig sich engherzig nach außen ab. Wer sich seinen Gesetzen
fügte, zu seinem Wohlergehen beitrug, war willkommen: Italiener aller Land¬
schaften, Griechen, Deutsche, zuweilen auch Juden erhielten das Bürgerrecht.
Selbst Auswärtige, die nicht in Venedig ihren Wohnsitz nahmen, suchten darum
nach, um des Schutzes der venezianischen Flagge teilhaftig zu werden, unter
ihnen nicht wenige fürstliche Herren, so die Este (1304), die Herren von Car-
rara (1318), die Gonzaga von Mantua (1332), ein Herzog von Athen (1344),
ja der große Zar Stephan Duschan von Serbien (1350). Ebensowenig fehlte
es an auswärtigen Familienverbindungen, an Heiraten venezianischer Nobili mit
normännischen, griechischen, slavischen, ungarischen Damen und umgekehrt. So
war der Doge Domenico salvo mit der Tochter des Kaisers Constantin Ducas
(1071), Jacopo Tiepolo mit Valdrada, der Schwester Rogers von Sizilien,
vermählt (1242); Lorenzo Tiepolo führte eine serbische Königstochter heim,
Tommasina Morosini wurde um 1276 die Gemahlin Stephans von Ungarn.

Eben diese Mischung verschiedenartiger Bestandteile, die beständige Zufuhr
frischen Blutes hat gewiß wesentlich dazu beigetragen, den Venezianern ihren Cha¬
rakter zu verleihen, jene Verbindung von Thatkraft, Besonnenheit, Betriebsamkeit
und Kühnheit, welche das Fischervolk der Lagunen zur ersten Seemacht des Abend¬
landes, Venedig zur größten Handels- und Industriestadt am Becken des Mittel¬
meeres nächst Konstantinopel gemacht hat. Während dem Adel und der Bürger¬
schaft der Großhandel zufiel, lebte die Masse der Bevölkerung in eifriger


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[0331] Die Venezianer zu Hanse. sind. Gab es zwischen ihnen keinen Unterschied des Rechtes, so doch einen solchen des Alters und des Ranges. Voran standen die zwölf Apostel- und die vier Evangelistenfamilien. Zu jenen gehörten z. B. die Badoer, Sanudi, Contarini, Dcmdoli, Morosini, Falieri, zu diesen die Cornari und Bragadini; dann kamen acht andre Geschlechter, die schon vor der Schließung des Großen Rates in besonderm Ansehen standen; die Masse der Nobili bildeten die da¬ mals oder später bei besondern Gelegenheiten zugelassenen Familien, im ganzen etwa 120, unter ihnen die Mocenigi, Grimcmi, Foscari, Loredani, Pesari. Denn nicht als Kaste schloß sich der Adel ab; besonderem Verdienste öffnete er seine Reihen ohne Rücksicht auf die Abkunft, wie z. B. der erste Vendramin (1445) ein Geldwechsler war, der erste Calergi aus Candia stammte. Den nicht eben zahlreichen Bürgerstand (im sechzehnten Jahrhundert nur etwa 4000 Köpfe) machten zunächst jene Adelsgeschlechter aus, die man im Jahre 1296 aus dem Großen Rate verdrängt hatte, seine Masse aber die später aufgenom¬ menen. Bedingung für die Erlangung des Bürgerrechtes (oittÄÄMÄn^) war entweder die Abkunft von bürgerlichen Eltern, oder ein langjähriger Aufenthalt (von fünfzehn oder fünfundzwanzig Jahren) in Venedig, oder endlich besondre Verdienste um den Staat; doch schloß der Betrieb eines Handwerks in der Regel aus. Die Handwerker bildeten dann den dritten Stand, die große Masse der Einwohnerschaft. So wenig diese Klassen jemals zu Kasten erstarrten, so wenig sperrte Venedig sich engherzig nach außen ab. Wer sich seinen Gesetzen fügte, zu seinem Wohlergehen beitrug, war willkommen: Italiener aller Land¬ schaften, Griechen, Deutsche, zuweilen auch Juden erhielten das Bürgerrecht. Selbst Auswärtige, die nicht in Venedig ihren Wohnsitz nahmen, suchten darum nach, um des Schutzes der venezianischen Flagge teilhaftig zu werden, unter ihnen nicht wenige fürstliche Herren, so die Este (1304), die Herren von Car- rara (1318), die Gonzaga von Mantua (1332), ein Herzog von Athen (1344), ja der große Zar Stephan Duschan von Serbien (1350). Ebensowenig fehlte es an auswärtigen Familienverbindungen, an Heiraten venezianischer Nobili mit normännischen, griechischen, slavischen, ungarischen Damen und umgekehrt. So war der Doge Domenico salvo mit der Tochter des Kaisers Constantin Ducas (1071), Jacopo Tiepolo mit Valdrada, der Schwester Rogers von Sizilien, vermählt (1242); Lorenzo Tiepolo führte eine serbische Königstochter heim, Tommasina Morosini wurde um 1276 die Gemahlin Stephans von Ungarn. Eben diese Mischung verschiedenartiger Bestandteile, die beständige Zufuhr frischen Blutes hat gewiß wesentlich dazu beigetragen, den Venezianern ihren Cha¬ rakter zu verleihen, jene Verbindung von Thatkraft, Besonnenheit, Betriebsamkeit und Kühnheit, welche das Fischervolk der Lagunen zur ersten Seemacht des Abend¬ landes, Venedig zur größten Handels- und Industriestadt am Becken des Mittel¬ meeres nächst Konstantinopel gemacht hat. Während dem Adel und der Bürger¬ schaft der Großhandel zufiel, lebte die Masse der Bevölkerung in eifriger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/331>, abgerufen am 29.12.2024.