Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Verstaatlichung der versichernngsaiistalton.

Bereicherung einzelner auf Kosten des Volkes darstellt." Hier sollte der Staat
Abhilfe schaffen, und das geschieht am besten durch Übernahme des Versicherungs¬
geschäftes in eignen Betrieb, wo alle Provisionen, die großen Verwaltungskosten,
die fetten Tantiemen und der Gewinn der Aktionäre wegfallen.

Haben die Feuerversicherungs-Aktiengesellschaften auch den Vorwurf zurück¬
gewiesen, daß sie bei der Regulirung der Schäden ungerechtfertigte Mittel
anwendeten, so beweist Plouer durch Belege, die zum Teil von Versichcrungs-
beamten herrühren, daß, wenn auch einzelne Gesellschaften koulant verfahren, man
im allgemeinen doch rigoros zu Werke geht. "Von vornherein, sagt er, liegt in
der inappellabel" Entscheidung der Gesellschaften über Annahme oder Ablehnung
von Versicherungsanträgen eine Willkür, welche zur Rechtsverkürzung für den
Verhinderer wird." Die Statuten jener vierzehn Verbandsgescllschaften, mit denen
die der übrigen Sozietäten im wesentlichen übereinstimmen, schreiben den Ver¬
sichernden bei der Antragstelluug detaillirte Aufschlüsse über Eigentumsverhältnisse
und alle auf Feuergefährlichkeit bezüglichen Umstände vor. deren erschöpfende
Mitteilung von dem Durchschnittsmenschen kaum, vom Bauern mit seiner geringen
Schulbildung aber schlechterdings nicht gegeben werden kann, während doch von
der richtigen Erledigung jener Aufschlüsse die Entschädigungspflicht der Gesell¬
schaft abhängt. Man hat derartige Deklarationen bei den bciirischen Landtags¬
verhandlungen "Fangeisen" genannt. Ferner darf der Versicherte nach Z 6 der
Statuten bei Brandfällen mit dem Ausräumen von Gegenständen nur nach
Maßgabe der Anordnung des Agenten beginnen, es ist ihm vorgeschrieben, wann
er zu retten anfangen darf, er muß binnen vierundzwanzig Stunden nach dem
Brande dem Agenten Anzeige erstatten, binnen drei Tagen bei der Ortspolizei-
behördc seine umständliche Vernehmung herbeiführen und endlich bezüglich
abhanden gekommener Gegenstände Antrag auf gerichtliche Strafverfolgung
stellen -- alles bei Verlust seines Anspruches auf Entschädigung. Was heißt
"nach dem Brande"? Wann beginnt und wann endet die vicrundzwanzigstündige,
wann die dreitägige Frist? Die Statuten enthalten hierüber nichts.

Die Privatversicherungsgesellschaften sind statutenmäßig rigoros und zu¬
gleich zweideutig. "Sie machen, sagt Plouer, Rechtswirkungen von einem Ver¬
halten und einer Umsicht des Versicherten abhängig, die das strengste römische
Recht nicht einmal von einem äiliAkirtiWimus xg,törtÄiui1iÄ8 verlangt," und den
Statuten gemäß verfährt natürlich der Agent bei der Regulirung des Schadens,
dessen Betrag unter Ausschluß des Rechtsweges festgestellt wird. Die Statuten
enthalten aber auch sonst noch Vorschriften und Klauseln genug, um einen leidlich
geschickten Advokaten bei jedem Vrcmdfalle einen Umstand herausfinden zu lassen,
welcher die Gesellschaft von der Entschädigungspflicht befreit. Wenn die Gesell¬
schaften darauf hinweisen, daß bei den Bestimmungen über den Schadenersatz
Strenge geboten sei, damit nicht durch zu große Erleichterung der Entschädigung
die Versicherten zu Brandstiftung und Betrug verführt würden, so bemerkt unsre


Die Verstaatlichung der versichernngsaiistalton.

Bereicherung einzelner auf Kosten des Volkes darstellt." Hier sollte der Staat
Abhilfe schaffen, und das geschieht am besten durch Übernahme des Versicherungs¬
geschäftes in eignen Betrieb, wo alle Provisionen, die großen Verwaltungskosten,
die fetten Tantiemen und der Gewinn der Aktionäre wegfallen.

Haben die Feuerversicherungs-Aktiengesellschaften auch den Vorwurf zurück¬
gewiesen, daß sie bei der Regulirung der Schäden ungerechtfertigte Mittel
anwendeten, so beweist Plouer durch Belege, die zum Teil von Versichcrungs-
beamten herrühren, daß, wenn auch einzelne Gesellschaften koulant verfahren, man
im allgemeinen doch rigoros zu Werke geht. „Von vornherein, sagt er, liegt in
der inappellabel« Entscheidung der Gesellschaften über Annahme oder Ablehnung
von Versicherungsanträgen eine Willkür, welche zur Rechtsverkürzung für den
Verhinderer wird." Die Statuten jener vierzehn Verbandsgescllschaften, mit denen
die der übrigen Sozietäten im wesentlichen übereinstimmen, schreiben den Ver¬
sichernden bei der Antragstelluug detaillirte Aufschlüsse über Eigentumsverhältnisse
und alle auf Feuergefährlichkeit bezüglichen Umstände vor. deren erschöpfende
Mitteilung von dem Durchschnittsmenschen kaum, vom Bauern mit seiner geringen
Schulbildung aber schlechterdings nicht gegeben werden kann, während doch von
der richtigen Erledigung jener Aufschlüsse die Entschädigungspflicht der Gesell¬
schaft abhängt. Man hat derartige Deklarationen bei den bciirischen Landtags¬
verhandlungen „Fangeisen" genannt. Ferner darf der Versicherte nach Z 6 der
Statuten bei Brandfällen mit dem Ausräumen von Gegenständen nur nach
Maßgabe der Anordnung des Agenten beginnen, es ist ihm vorgeschrieben, wann
er zu retten anfangen darf, er muß binnen vierundzwanzig Stunden nach dem
Brande dem Agenten Anzeige erstatten, binnen drei Tagen bei der Ortspolizei-
behördc seine umständliche Vernehmung herbeiführen und endlich bezüglich
abhanden gekommener Gegenstände Antrag auf gerichtliche Strafverfolgung
stellen — alles bei Verlust seines Anspruches auf Entschädigung. Was heißt
„nach dem Brande"? Wann beginnt und wann endet die vicrundzwanzigstündige,
wann die dreitägige Frist? Die Statuten enthalten hierüber nichts.

Die Privatversicherungsgesellschaften sind statutenmäßig rigoros und zu¬
gleich zweideutig. „Sie machen, sagt Plouer, Rechtswirkungen von einem Ver¬
halten und einer Umsicht des Versicherten abhängig, die das strengste römische
Recht nicht einmal von einem äiliAkirtiWimus xg,törtÄiui1iÄ8 verlangt," und den
Statuten gemäß verfährt natürlich der Agent bei der Regulirung des Schadens,
dessen Betrag unter Ausschluß des Rechtsweges festgestellt wird. Die Statuten
enthalten aber auch sonst noch Vorschriften und Klauseln genug, um einen leidlich
geschickten Advokaten bei jedem Vrcmdfalle einen Umstand herausfinden zu lassen,
welcher die Gesellschaft von der Entschädigungspflicht befreit. Wenn die Gesell¬
schaften darauf hinweisen, daß bei den Bestimmungen über den Schadenersatz
Strenge geboten sei, damit nicht durch zu große Erleichterung der Entschädigung
die Versicherten zu Brandstiftung und Betrug verführt würden, so bemerkt unsre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157237"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Verstaatlichung der versichernngsaiistalton.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1087" prev="#ID_1086"> Bereicherung einzelner auf Kosten des Volkes darstellt." Hier sollte der Staat<lb/>
Abhilfe schaffen, und das geschieht am besten durch Übernahme des Versicherungs¬<lb/>
geschäftes in eignen Betrieb, wo alle Provisionen, die großen Verwaltungskosten,<lb/>
die fetten Tantiemen und der Gewinn der Aktionäre wegfallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1088"> Haben die Feuerversicherungs-Aktiengesellschaften auch den Vorwurf zurück¬<lb/>
gewiesen, daß sie bei der Regulirung der Schäden ungerechtfertigte Mittel<lb/>
anwendeten, so beweist Plouer durch Belege, die zum Teil von Versichcrungs-<lb/>
beamten herrühren, daß, wenn auch einzelne Gesellschaften koulant verfahren, man<lb/>
im allgemeinen doch rigoros zu Werke geht. &#x201E;Von vornherein, sagt er, liegt in<lb/>
der inappellabel« Entscheidung der Gesellschaften über Annahme oder Ablehnung<lb/>
von Versicherungsanträgen eine Willkür, welche zur Rechtsverkürzung für den<lb/>
Verhinderer wird." Die Statuten jener vierzehn Verbandsgescllschaften, mit denen<lb/>
die der übrigen Sozietäten im wesentlichen übereinstimmen, schreiben den Ver¬<lb/>
sichernden bei der Antragstelluug detaillirte Aufschlüsse über Eigentumsverhältnisse<lb/>
und alle auf Feuergefährlichkeit bezüglichen Umstände vor. deren erschöpfende<lb/>
Mitteilung von dem Durchschnittsmenschen kaum, vom Bauern mit seiner geringen<lb/>
Schulbildung aber schlechterdings nicht gegeben werden kann, während doch von<lb/>
der richtigen Erledigung jener Aufschlüsse die Entschädigungspflicht der Gesell¬<lb/>
schaft abhängt. Man hat derartige Deklarationen bei den bciirischen Landtags¬<lb/>
verhandlungen &#x201E;Fangeisen" genannt. Ferner darf der Versicherte nach Z 6 der<lb/>
Statuten bei Brandfällen mit dem Ausräumen von Gegenständen nur nach<lb/>
Maßgabe der Anordnung des Agenten beginnen, es ist ihm vorgeschrieben, wann<lb/>
er zu retten anfangen darf, er muß binnen vierundzwanzig Stunden nach dem<lb/>
Brande dem Agenten Anzeige erstatten, binnen drei Tagen bei der Ortspolizei-<lb/>
behördc seine umständliche Vernehmung herbeiführen und endlich bezüglich<lb/>
abhanden gekommener Gegenstände Antrag auf gerichtliche Strafverfolgung<lb/>
stellen &#x2014; alles bei Verlust seines Anspruches auf Entschädigung. Was heißt<lb/>
&#x201E;nach dem Brande"? Wann beginnt und wann endet die vicrundzwanzigstündige,<lb/>
wann die dreitägige Frist?  Die Statuten enthalten hierüber nichts.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1089" next="#ID_1090"> Die Privatversicherungsgesellschaften sind statutenmäßig rigoros und zu¬<lb/>
gleich zweideutig. &#x201E;Sie machen, sagt Plouer, Rechtswirkungen von einem Ver¬<lb/>
halten und einer Umsicht des Versicherten abhängig, die das strengste römische<lb/>
Recht nicht einmal von einem äiliAkirtiWimus xg,törtÄiui1iÄ8 verlangt," und den<lb/>
Statuten gemäß verfährt natürlich der Agent bei der Regulirung des Schadens,<lb/>
dessen Betrag unter Ausschluß des Rechtsweges festgestellt wird. Die Statuten<lb/>
enthalten aber auch sonst noch Vorschriften und Klauseln genug, um einen leidlich<lb/>
geschickten Advokaten bei jedem Vrcmdfalle einen Umstand herausfinden zu lassen,<lb/>
welcher die Gesellschaft von der Entschädigungspflicht befreit. Wenn die Gesell¬<lb/>
schaften darauf hinweisen, daß bei den Bestimmungen über den Schadenersatz<lb/>
Strenge geboten sei, damit nicht durch zu große Erleichterung der Entschädigung<lb/>
die Versicherten zu Brandstiftung und Betrug verführt würden, so bemerkt unsre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] Die Verstaatlichung der versichernngsaiistalton. Bereicherung einzelner auf Kosten des Volkes darstellt." Hier sollte der Staat Abhilfe schaffen, und das geschieht am besten durch Übernahme des Versicherungs¬ geschäftes in eignen Betrieb, wo alle Provisionen, die großen Verwaltungskosten, die fetten Tantiemen und der Gewinn der Aktionäre wegfallen. Haben die Feuerversicherungs-Aktiengesellschaften auch den Vorwurf zurück¬ gewiesen, daß sie bei der Regulirung der Schäden ungerechtfertigte Mittel anwendeten, so beweist Plouer durch Belege, die zum Teil von Versichcrungs- beamten herrühren, daß, wenn auch einzelne Gesellschaften koulant verfahren, man im allgemeinen doch rigoros zu Werke geht. „Von vornherein, sagt er, liegt in der inappellabel« Entscheidung der Gesellschaften über Annahme oder Ablehnung von Versicherungsanträgen eine Willkür, welche zur Rechtsverkürzung für den Verhinderer wird." Die Statuten jener vierzehn Verbandsgescllschaften, mit denen die der übrigen Sozietäten im wesentlichen übereinstimmen, schreiben den Ver¬ sichernden bei der Antragstelluug detaillirte Aufschlüsse über Eigentumsverhältnisse und alle auf Feuergefährlichkeit bezüglichen Umstände vor. deren erschöpfende Mitteilung von dem Durchschnittsmenschen kaum, vom Bauern mit seiner geringen Schulbildung aber schlechterdings nicht gegeben werden kann, während doch von der richtigen Erledigung jener Aufschlüsse die Entschädigungspflicht der Gesell¬ schaft abhängt. Man hat derartige Deklarationen bei den bciirischen Landtags¬ verhandlungen „Fangeisen" genannt. Ferner darf der Versicherte nach Z 6 der Statuten bei Brandfällen mit dem Ausräumen von Gegenständen nur nach Maßgabe der Anordnung des Agenten beginnen, es ist ihm vorgeschrieben, wann er zu retten anfangen darf, er muß binnen vierundzwanzig Stunden nach dem Brande dem Agenten Anzeige erstatten, binnen drei Tagen bei der Ortspolizei- behördc seine umständliche Vernehmung herbeiführen und endlich bezüglich abhanden gekommener Gegenstände Antrag auf gerichtliche Strafverfolgung stellen — alles bei Verlust seines Anspruches auf Entschädigung. Was heißt „nach dem Brande"? Wann beginnt und wann endet die vicrundzwanzigstündige, wann die dreitägige Frist? Die Statuten enthalten hierüber nichts. Die Privatversicherungsgesellschaften sind statutenmäßig rigoros und zu¬ gleich zweideutig. „Sie machen, sagt Plouer, Rechtswirkungen von einem Ver¬ halten und einer Umsicht des Versicherten abhängig, die das strengste römische Recht nicht einmal von einem äiliAkirtiWimus xg,törtÄiui1iÄ8 verlangt," und den Statuten gemäß verfährt natürlich der Agent bei der Regulirung des Schadens, dessen Betrag unter Ausschluß des Rechtsweges festgestellt wird. Die Statuten enthalten aber auch sonst noch Vorschriften und Klauseln genug, um einen leidlich geschickten Advokaten bei jedem Vrcmdfalle einen Umstand herausfinden zu lassen, welcher die Gesellschaft von der Entschädigungspflicht befreit. Wenn die Gesell¬ schaften darauf hinweisen, daß bei den Bestimmungen über den Schadenersatz Strenge geboten sei, damit nicht durch zu große Erleichterung der Entschädigung die Versicherten zu Brandstiftung und Betrug verführt würden, so bemerkt unsre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/312>, abgerufen am 29.12.2024.