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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Hildebrand-Ausstellung in Berlin.

entgegenzukommen; er wird auf die Geltendmachung seiner Rechte und Ansprüche
verzichten und keinen andern Gewinn aus der Betrachtung der ihm dargebotenen
Kunstwerke suchen, als den Geist zu spüren, der bei ihrer Entstehung ge¬
waltet hat.

Unter den ausgestellten Arbeiten befinden sich auch jene beiden, die Marmor-
fignr eines schlafenden Hirtenknaben und die Bronzefigur eines jugendlichen
Trinkers, die im Jahre 1873 in Wien so allgemeine Aufmerksamkeit erregten,
sich so ungelenke Bewunderung errangen. Ich kann nicht leugnen, daß ich
schon damals trotz der Freude über die spontane Anerkennung eines neu auf¬
tretenden Talentes einige Zweifel hegte, ob denn auch ein direkter Zusammen¬
hang vorhanden sei zwischen dem Lob und der Teilnahme, die diese Figuren
ernteten, und der eigentlichen künstlerischen Leistung, deren sich der jugendliche
Bildhauer bewußt sein mußte. In Ansehung mancher Überschwänglichkeiten,
deren sich die Kritik, mancher Sentimentalitäten und Abgeschmacktheiten, deren
sich das private, namentlich weibliche Huldigungsbedürfnis schuldig machte,
mußte dieser Zweifel berechtigt erscheinen. Auch hat es sich ja gezeigt, daß
spätere Werke, obwohl sich in ihnen eine gesunde Entfaltung derjenigen künst¬
lerischen Kraft wahrnehmen ließ, die in jenen Jugendarbeiten zum ersten Aus¬
druck gekommen war, deshalb geringere Teilnahme fanden, weil sie manche un¬
wesentlichen Eigenschaften vermissen ließen, an denen man sich damals begeistert
hatte. Die Einsichtigen hatten freilich von vornherein ein andres Verhält¬
nis zu der neuen Erscheinung gewonnen; wenn sie nicht in die lauten und
etwas übertriebenen Lobpreisungen einstimmten, so war ihre Verwunderung
darum nicht geringer, da sie in diesen noch mcmmchfach bedingten jugendlichen
Arbeiten eine Begabung erkannten, von deren Entwicklung sie sich viel versprechen
durften. Das Eigentümliche, Überraschende jener beiden Figuren lag ja nicht
darin, daß sie nach irgendeiner der üblichen Kunstrichtungen hin Vorhandenes
und Anerkanntes überboten hätten, auch nicht darin, daß in ihnen eine für sich
allein dastehende absonderliche Individualität zum prägnanten Ausdruck ge¬
kommen wäre; vielmehr lag es in der gleichsam naiven Selbständigkeit, mit
der eine junge künstlerische Kraft inmitten unzähliger Einflüsse einen unmittel¬
baren Weg zur Natur gefunden hatte. An Talenten fehlt es heutzutage so
wenig wie zu allen Zeiten, die künstlerische Produktion hat sich seit Jahrzehnten
ununterbrochen gesteigert, es entstehen jahraus jahrein Leistungen, die in ihrer
Art einen Höhepunkt bezeichnen und kaum zu übertreffen sein dürften; und
doch ist in den Künstlern selbst, wenigstens in den ernsteren nnter ihnen, das
Bewußtsein lebendig, daß sie sich mit allem ihrem Bemühen und Können
doch nicht auf der geraden, offenen Straße befinden, auf der sie immer weiter
und weiter vorwärts geführt werden, sondern daß sie suchend bald hierhin, bald
dorthin geraten, wo zwar nicht ihrer Thätigkeit, wohl aber ihrer Entwicklung
ein Ziel gesetzt ist. Auf dem Gebiete der Bildhauerei ist dies durch die größere


Die Hildebrand-Ausstellung in Berlin.

entgegenzukommen; er wird auf die Geltendmachung seiner Rechte und Ansprüche
verzichten und keinen andern Gewinn aus der Betrachtung der ihm dargebotenen
Kunstwerke suchen, als den Geist zu spüren, der bei ihrer Entstehung ge¬
waltet hat.

Unter den ausgestellten Arbeiten befinden sich auch jene beiden, die Marmor-
fignr eines schlafenden Hirtenknaben und die Bronzefigur eines jugendlichen
Trinkers, die im Jahre 1873 in Wien so allgemeine Aufmerksamkeit erregten,
sich so ungelenke Bewunderung errangen. Ich kann nicht leugnen, daß ich
schon damals trotz der Freude über die spontane Anerkennung eines neu auf¬
tretenden Talentes einige Zweifel hegte, ob denn auch ein direkter Zusammen¬
hang vorhanden sei zwischen dem Lob und der Teilnahme, die diese Figuren
ernteten, und der eigentlichen künstlerischen Leistung, deren sich der jugendliche
Bildhauer bewußt sein mußte. In Ansehung mancher Überschwänglichkeiten,
deren sich die Kritik, mancher Sentimentalitäten und Abgeschmacktheiten, deren
sich das private, namentlich weibliche Huldigungsbedürfnis schuldig machte,
mußte dieser Zweifel berechtigt erscheinen. Auch hat es sich ja gezeigt, daß
spätere Werke, obwohl sich in ihnen eine gesunde Entfaltung derjenigen künst¬
lerischen Kraft wahrnehmen ließ, die in jenen Jugendarbeiten zum ersten Aus¬
druck gekommen war, deshalb geringere Teilnahme fanden, weil sie manche un¬
wesentlichen Eigenschaften vermissen ließen, an denen man sich damals begeistert
hatte. Die Einsichtigen hatten freilich von vornherein ein andres Verhält¬
nis zu der neuen Erscheinung gewonnen; wenn sie nicht in die lauten und
etwas übertriebenen Lobpreisungen einstimmten, so war ihre Verwunderung
darum nicht geringer, da sie in diesen noch mcmmchfach bedingten jugendlichen
Arbeiten eine Begabung erkannten, von deren Entwicklung sie sich viel versprechen
durften. Das Eigentümliche, Überraschende jener beiden Figuren lag ja nicht
darin, daß sie nach irgendeiner der üblichen Kunstrichtungen hin Vorhandenes
und Anerkanntes überboten hätten, auch nicht darin, daß in ihnen eine für sich
allein dastehende absonderliche Individualität zum prägnanten Ausdruck ge¬
kommen wäre; vielmehr lag es in der gleichsam naiven Selbständigkeit, mit
der eine junge künstlerische Kraft inmitten unzähliger Einflüsse einen unmittel¬
baren Weg zur Natur gefunden hatte. An Talenten fehlt es heutzutage so
wenig wie zu allen Zeiten, die künstlerische Produktion hat sich seit Jahrzehnten
ununterbrochen gesteigert, es entstehen jahraus jahrein Leistungen, die in ihrer
Art einen Höhepunkt bezeichnen und kaum zu übertreffen sein dürften; und
doch ist in den Künstlern selbst, wenigstens in den ernsteren nnter ihnen, das
Bewußtsein lebendig, daß sie sich mit allem ihrem Bemühen und Können
doch nicht auf der geraden, offenen Straße befinden, auf der sie immer weiter
und weiter vorwärts geführt werden, sondern daß sie suchend bald hierhin, bald
dorthin geraten, wo zwar nicht ihrer Thätigkeit, wohl aber ihrer Entwicklung
ein Ziel gesetzt ist. Auf dem Gebiete der Bildhauerei ist dies durch die größere


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[0242] Die Hildebrand-Ausstellung in Berlin. entgegenzukommen; er wird auf die Geltendmachung seiner Rechte und Ansprüche verzichten und keinen andern Gewinn aus der Betrachtung der ihm dargebotenen Kunstwerke suchen, als den Geist zu spüren, der bei ihrer Entstehung ge¬ waltet hat. Unter den ausgestellten Arbeiten befinden sich auch jene beiden, die Marmor- fignr eines schlafenden Hirtenknaben und die Bronzefigur eines jugendlichen Trinkers, die im Jahre 1873 in Wien so allgemeine Aufmerksamkeit erregten, sich so ungelenke Bewunderung errangen. Ich kann nicht leugnen, daß ich schon damals trotz der Freude über die spontane Anerkennung eines neu auf¬ tretenden Talentes einige Zweifel hegte, ob denn auch ein direkter Zusammen¬ hang vorhanden sei zwischen dem Lob und der Teilnahme, die diese Figuren ernteten, und der eigentlichen künstlerischen Leistung, deren sich der jugendliche Bildhauer bewußt sein mußte. In Ansehung mancher Überschwänglichkeiten, deren sich die Kritik, mancher Sentimentalitäten und Abgeschmacktheiten, deren sich das private, namentlich weibliche Huldigungsbedürfnis schuldig machte, mußte dieser Zweifel berechtigt erscheinen. Auch hat es sich ja gezeigt, daß spätere Werke, obwohl sich in ihnen eine gesunde Entfaltung derjenigen künst¬ lerischen Kraft wahrnehmen ließ, die in jenen Jugendarbeiten zum ersten Aus¬ druck gekommen war, deshalb geringere Teilnahme fanden, weil sie manche un¬ wesentlichen Eigenschaften vermissen ließen, an denen man sich damals begeistert hatte. Die Einsichtigen hatten freilich von vornherein ein andres Verhält¬ nis zu der neuen Erscheinung gewonnen; wenn sie nicht in die lauten und etwas übertriebenen Lobpreisungen einstimmten, so war ihre Verwunderung darum nicht geringer, da sie in diesen noch mcmmchfach bedingten jugendlichen Arbeiten eine Begabung erkannten, von deren Entwicklung sie sich viel versprechen durften. Das Eigentümliche, Überraschende jener beiden Figuren lag ja nicht darin, daß sie nach irgendeiner der üblichen Kunstrichtungen hin Vorhandenes und Anerkanntes überboten hätten, auch nicht darin, daß in ihnen eine für sich allein dastehende absonderliche Individualität zum prägnanten Ausdruck ge¬ kommen wäre; vielmehr lag es in der gleichsam naiven Selbständigkeit, mit der eine junge künstlerische Kraft inmitten unzähliger Einflüsse einen unmittel¬ baren Weg zur Natur gefunden hatte. An Talenten fehlt es heutzutage so wenig wie zu allen Zeiten, die künstlerische Produktion hat sich seit Jahrzehnten ununterbrochen gesteigert, es entstehen jahraus jahrein Leistungen, die in ihrer Art einen Höhepunkt bezeichnen und kaum zu übertreffen sein dürften; und doch ist in den Künstlern selbst, wenigstens in den ernsteren nnter ihnen, das Bewußtsein lebendig, daß sie sich mit allem ihrem Bemühen und Können doch nicht auf der geraden, offenen Straße befinden, auf der sie immer weiter und weiter vorwärts geführt werden, sondern daß sie suchend bald hierhin, bald dorthin geraten, wo zwar nicht ihrer Thätigkeit, wohl aber ihrer Entwicklung ein Ziel gesetzt ist. Auf dem Gebiete der Bildhauerei ist dies durch die größere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/242>, abgerufen am 29.12.2024.