Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Die Tragödie Dantes. beweist, daß er den einzige" verdammten Philosophen, Epikur, nicht unter jene Dantes Pathos war vor allem und sein Leben lang ein politisches Pathos. Die Tragödie Dantes. beweist, daß er den einzige» verdammten Philosophen, Epikur, nicht unter jene Dantes Pathos war vor allem und sein Leben lang ein politisches Pathos. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157163"/> <fw type="header" place="top"> Die Tragödie Dantes.</fw><lb/> <p xml:id="ID_830" prev="#ID_829"> beweist, daß er den einzige» verdammten Philosophen, Epikur, nicht unter jene<lb/> versetzt, welche „ihre Vernunft mißbraucht" haben, sondern auf die Grenzscheide<lb/> der Unmäßigkeit und Bosheit: Freidenker waren ihm nur Libertins. Ja jene<lb/> alten Gestalten, welche die Idee, daß das Verlangen, alles zu erkennen, einen<lb/> strafbaren Stolz verrät, verkörpern: Prometheus und Hiob, die er doch wohl<lb/> kennen mußte, sie fehlen gänzlich in seinem Gedichte. Dante ist mit dem ganzen<lb/> Mittelalter ebensowenig Skeptiker als Pessimist. Die Tragödie Dantes kann<lb/> also hier nicht gefunden werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_831" next="#ID_832"> Dantes Pathos war vor allem und sein Leben lang ein politisches Pathos.<lb/> Die Divina Commedia ist weder die Ilias des Mittelalters, noch die Theogonie<lb/> des Katholizismus, keine poetische Lumms,, wie Thomas von Aquino eine<lb/> philosophische geschrieben, sondern eine moralische und politische Dichtung, eine<lb/> dröhnende Ermahnung in der Art des Jesaias, gerichtet an die zeitgenössische<lb/> Generation — die Generation des großen Jubiläums. In einer Zeit, wo die<lb/> kolossale Fiktion des Mittelalters, welche im Reiche Karls des Großen die<lb/> Fortsetzung von Konstantins und Augustus' Reich sah, wo diese ganze politische<lb/> Theorie des Mittelalters von einer Teilung der Welt zwischen Kaiser und Papst<lb/> ihre Macht auf die Gemüter zu verlieren begann, adoptirt Alighieri mit einem<lb/> tiefen, furchtbaren Ernste ein ohnmächtig gewordenes Ideal, um ihm noch ganz<lb/> anders beigemessene, phantastische Verhältnisse zu verleihen. In einer Zeit, wo<lb/> alle Staaten Europas sich zu individualisiren und gesonderte Organismen zu<lb/> bilden strebten, tritt Dante mit seinem idealen Kosmopolitismus auf. Die<lb/> Rückkehr überall und in allem zu den Grundsätzen, Einrichtungen und Sitten<lb/> der Vergangenheit, eine stark organisirte Aristokratie, mit der Oberhoheit über<lb/> die Städte, und diese Städte selbst das Zuströmen, die Berührung der rohen<lb/> Landbewohner streng abwehrend; die Fürstentümer, die Republiken ihre recht¬<lb/> mäßigen Autoritäten und die bestehenden Grenzen achtend; vor allem nichts<lb/> von jenen Vereinigungen verschiedner Länder zu zentralistrten und geschlossenen<lb/> Königreichen, nichts von einer in „ein vielköpfiges Ungeheuer" verwandelten<lb/> Christenheit; die Welt in der zeitlichen Ordnung einem einzigen höchsten<lb/> Oberhaupte, einem Kaiser, einem großen Rechtsprecher unterworfen, „der umso<lb/> gerechter und unparteiischer ist, als er, im Besitze von allem, nichts zu begehren<lb/> hat" — dies ist das politische und soziale Ideal Alighieris am Ende des<lb/> Mittelalters und an der Schwelle der modernen Zeit! War jemals ein Mann<lb/> von Genie in vollständigeren Gegensatze zu den Bestrebungen, den Tendenzen und<lb/> der ganzen Arbeit seiner Epoche? Und was die Seltsamkeit des Dramas<lb/> steigert, was ihm ein zwingendes, wahrhaft pathetisches Interesse verleiht, das<lb/> ist, daß wirklich ein Augenblick kommt, wo das Wort des Visionärs auf dem<lb/> Punkte steht, Wahrheit zu werden, wo der Traum des Verbannten um ein<lb/> Kleines sich in ein Ereignis der Weltgeschichte verwandeln zu wollen scheint.<lb/> Dieses Werk der kaiserlichen Restauration, das ein einsames Genie, ein armer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0238]
Die Tragödie Dantes.
beweist, daß er den einzige» verdammten Philosophen, Epikur, nicht unter jene
versetzt, welche „ihre Vernunft mißbraucht" haben, sondern auf die Grenzscheide
der Unmäßigkeit und Bosheit: Freidenker waren ihm nur Libertins. Ja jene
alten Gestalten, welche die Idee, daß das Verlangen, alles zu erkennen, einen
strafbaren Stolz verrät, verkörpern: Prometheus und Hiob, die er doch wohl
kennen mußte, sie fehlen gänzlich in seinem Gedichte. Dante ist mit dem ganzen
Mittelalter ebensowenig Skeptiker als Pessimist. Die Tragödie Dantes kann
also hier nicht gefunden werden.
Dantes Pathos war vor allem und sein Leben lang ein politisches Pathos.
Die Divina Commedia ist weder die Ilias des Mittelalters, noch die Theogonie
des Katholizismus, keine poetische Lumms,, wie Thomas von Aquino eine
philosophische geschrieben, sondern eine moralische und politische Dichtung, eine
dröhnende Ermahnung in der Art des Jesaias, gerichtet an die zeitgenössische
Generation — die Generation des großen Jubiläums. In einer Zeit, wo die
kolossale Fiktion des Mittelalters, welche im Reiche Karls des Großen die
Fortsetzung von Konstantins und Augustus' Reich sah, wo diese ganze politische
Theorie des Mittelalters von einer Teilung der Welt zwischen Kaiser und Papst
ihre Macht auf die Gemüter zu verlieren begann, adoptirt Alighieri mit einem
tiefen, furchtbaren Ernste ein ohnmächtig gewordenes Ideal, um ihm noch ganz
anders beigemessene, phantastische Verhältnisse zu verleihen. In einer Zeit, wo
alle Staaten Europas sich zu individualisiren und gesonderte Organismen zu
bilden strebten, tritt Dante mit seinem idealen Kosmopolitismus auf. Die
Rückkehr überall und in allem zu den Grundsätzen, Einrichtungen und Sitten
der Vergangenheit, eine stark organisirte Aristokratie, mit der Oberhoheit über
die Städte, und diese Städte selbst das Zuströmen, die Berührung der rohen
Landbewohner streng abwehrend; die Fürstentümer, die Republiken ihre recht¬
mäßigen Autoritäten und die bestehenden Grenzen achtend; vor allem nichts
von jenen Vereinigungen verschiedner Länder zu zentralistrten und geschlossenen
Königreichen, nichts von einer in „ein vielköpfiges Ungeheuer" verwandelten
Christenheit; die Welt in der zeitlichen Ordnung einem einzigen höchsten
Oberhaupte, einem Kaiser, einem großen Rechtsprecher unterworfen, „der umso
gerechter und unparteiischer ist, als er, im Besitze von allem, nichts zu begehren
hat" — dies ist das politische und soziale Ideal Alighieris am Ende des
Mittelalters und an der Schwelle der modernen Zeit! War jemals ein Mann
von Genie in vollständigeren Gegensatze zu den Bestrebungen, den Tendenzen und
der ganzen Arbeit seiner Epoche? Und was die Seltsamkeit des Dramas
steigert, was ihm ein zwingendes, wahrhaft pathetisches Interesse verleiht, das
ist, daß wirklich ein Augenblick kommt, wo das Wort des Visionärs auf dem
Punkte steht, Wahrheit zu werden, wo der Traum des Verbannten um ein
Kleines sich in ein Ereignis der Weltgeschichte verwandeln zu wollen scheint.
Dieses Werk der kaiserlichen Restauration, das ein einsames Genie, ein armer
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