Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Das soziale Königtum. politische Regung im Volke war unterdrückt worden. Auch die Anfangsjahre der Das soziale Königtum. politische Regung im Volke war unterdrückt worden. Auch die Anfangsjahre der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157135"/> <fw type="header" place="top"> Das soziale Königtum.</fw><lb/> <p xml:id="ID_768" prev="#ID_767" next="#ID_769"> politische Regung im Volke war unterdrückt worden. Auch die Anfangsjahre der<lb/> Regierung Friedrich Wilhelms IV. hatten nichts geändert. Ein dichterisch und<lb/> künstlerisch angelegtes Gemüt, vielleicht der geistreichste Sproß des großen<lb/> Zollernstammes, entbehrte er jeder Festigkeit und jedes Zielbewnßtseins. Weder ge¬<lb/> neigt, die Wünsche des Liberalismus zu erfüllen, noch thatkräftig genug, den<lb/> Forderungen desselben mit der Entschiedenheit eines preußischen Herrschers ent¬<lb/> gegenzutreten, war das Ergebnis seiner schwankenden Politik nur Mißstimmung<lb/> im Innern und Mißerfolg nach außen. In den ersten Regierungsjahren des<lb/> Königs Wilhelm hatte der verbissene Konflikt mit der Fortschrittspartei um die<lb/> Armeereorganisation jede Sorge für die Wohlfahrtszwecke des Staates unmög¬<lb/> lich gemacht. So war in der That der Zweifel Lassalles in Augenblicken des<lb/> Unmuts gerechtfertigt, aber ein so gründlicher Kenner der Vergangenheit, ein<lb/> so scharfer Denker wie er ließ sich nicht von seinem Unmute irre machen; er<lb/> mußte zurückdenken an das, Ms die preußischen Könige dereinst für ihr Volk<lb/> gethan, und gerade der Umstand, daß die Macht des Königtums in den bran¬<lb/> denden Wogen fortschrittlicher Verhetzung unerschütterlich feststand, ließ erkennen,<lb/> wie groß noch immer diese Macht war und wie fest sie in dem Volke wurzelte.<lb/> Die Hohenzollernfürsten können von sich sagen, daß sie ihrem Volke das Land<lb/> gegeben haben. Schon die ersten Kurfürsten haben Kolonisten in wüste Län¬<lb/> dereien gezogen, haben Industrie und Handel künstlich in ihr Fürstentum ver¬<lb/> pflanzt. Die Hauptsorge Friedrich Wilhelms I. war auf Schaffung einer bessern<lb/> Lage für die Bauern und Gutsunterthanen gerichtet; man weiß, wie streng der<lb/> König gegen die Bauernschinder verfuhr, wie er selbst den Anfang mit einer<lb/> Emanzipation der Hörigen machte und den Grund zu der Stein-Hardcnbergschen<lb/> Gesetzgebung legte. Die Lichtseiten der Negierung Friedrichs des Großen liegen,<lb/> wie jetzt allgemein anerkannt ist, nicht in seinen ruhmvoll geführten Kriegen,<lb/> sondern in seinem eifrigen, mit so vielem Erfolg gekrönten Bestreben zur För¬<lb/> derung des Nationalwohlstandes. Was gerade dieser König besonders für die<lb/> stiefväterlich vom Himmel bedachten Klassen des Volkes that, davon zeugen<lb/> noch jetzt überall die Spuren, welche auch nach Äonen nicht untergehen werden.<lb/> Friedrich Wilhelm III. endlich hat die Aufrichtung seines von dem Eroberer in<lb/> Trümmer geschlagenen Staates darin gesucht, daß er die letzten Reste der<lb/> Feudalität beseitigte und im wahren Sinne des Wortes ein Befreier seines<lb/> Volkes, d. h. der niedrigsten Klassen desselben, wurde. Sollte ein Königtum,<lb/> welches imstande war, die mächtigen Schranken der Grundherrschaft zu durch¬<lb/> brechen und das Volk von dem Feudalismus zu befreien, nicht auch die Fähig¬<lb/> keit und Macht besitzen, die Ketten zu brechen, welche der egoistisch gewordene<lb/> Besitz, der Kapitalismus, um die Arbeiter zu schmieden verstand? Diese Frage<lb/> mußte sich ein Agitator vom Schlage Lassalles wohl vorlegen, und er war<lb/> gerecht genug, anzuerkennen, daß auch für die Arbeiter das Heil von dem<lb/> Königtum kommen würde, wenn es sich entschließen könnte, „sozial" zu werden.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
Das soziale Königtum.
politische Regung im Volke war unterdrückt worden. Auch die Anfangsjahre der
Regierung Friedrich Wilhelms IV. hatten nichts geändert. Ein dichterisch und
künstlerisch angelegtes Gemüt, vielleicht der geistreichste Sproß des großen
Zollernstammes, entbehrte er jeder Festigkeit und jedes Zielbewnßtseins. Weder ge¬
neigt, die Wünsche des Liberalismus zu erfüllen, noch thatkräftig genug, den
Forderungen desselben mit der Entschiedenheit eines preußischen Herrschers ent¬
gegenzutreten, war das Ergebnis seiner schwankenden Politik nur Mißstimmung
im Innern und Mißerfolg nach außen. In den ersten Regierungsjahren des
Königs Wilhelm hatte der verbissene Konflikt mit der Fortschrittspartei um die
Armeereorganisation jede Sorge für die Wohlfahrtszwecke des Staates unmög¬
lich gemacht. So war in der That der Zweifel Lassalles in Augenblicken des
Unmuts gerechtfertigt, aber ein so gründlicher Kenner der Vergangenheit, ein
so scharfer Denker wie er ließ sich nicht von seinem Unmute irre machen; er
mußte zurückdenken an das, Ms die preußischen Könige dereinst für ihr Volk
gethan, und gerade der Umstand, daß die Macht des Königtums in den bran¬
denden Wogen fortschrittlicher Verhetzung unerschütterlich feststand, ließ erkennen,
wie groß noch immer diese Macht war und wie fest sie in dem Volke wurzelte.
Die Hohenzollernfürsten können von sich sagen, daß sie ihrem Volke das Land
gegeben haben. Schon die ersten Kurfürsten haben Kolonisten in wüste Län¬
dereien gezogen, haben Industrie und Handel künstlich in ihr Fürstentum ver¬
pflanzt. Die Hauptsorge Friedrich Wilhelms I. war auf Schaffung einer bessern
Lage für die Bauern und Gutsunterthanen gerichtet; man weiß, wie streng der
König gegen die Bauernschinder verfuhr, wie er selbst den Anfang mit einer
Emanzipation der Hörigen machte und den Grund zu der Stein-Hardcnbergschen
Gesetzgebung legte. Die Lichtseiten der Negierung Friedrichs des Großen liegen,
wie jetzt allgemein anerkannt ist, nicht in seinen ruhmvoll geführten Kriegen,
sondern in seinem eifrigen, mit so vielem Erfolg gekrönten Bestreben zur För¬
derung des Nationalwohlstandes. Was gerade dieser König besonders für die
stiefväterlich vom Himmel bedachten Klassen des Volkes that, davon zeugen
noch jetzt überall die Spuren, welche auch nach Äonen nicht untergehen werden.
Friedrich Wilhelm III. endlich hat die Aufrichtung seines von dem Eroberer in
Trümmer geschlagenen Staates darin gesucht, daß er die letzten Reste der
Feudalität beseitigte und im wahren Sinne des Wortes ein Befreier seines
Volkes, d. h. der niedrigsten Klassen desselben, wurde. Sollte ein Königtum,
welches imstande war, die mächtigen Schranken der Grundherrschaft zu durch¬
brechen und das Volk von dem Feudalismus zu befreien, nicht auch die Fähig¬
keit und Macht besitzen, die Ketten zu brechen, welche der egoistisch gewordene
Besitz, der Kapitalismus, um die Arbeiter zu schmieden verstand? Diese Frage
mußte sich ein Agitator vom Schlage Lassalles wohl vorlegen, und er war
gerecht genug, anzuerkennen, daß auch für die Arbeiter das Heil von dem
Königtum kommen würde, wenn es sich entschließen könnte, „sozial" zu werden.
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