Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Pfisters Mühle.

Lichter hie und da in jedem Stockwerk zeigten, daß auch dies Haus schon bis
unters Dach bewohnt war, und mancherlei, was umherlag, hing und stand, that
dar, daß es nicht gerade die hohe Aristokratie im gewöhnlichen Sinne war, die
hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte.

Bei einer halberwachsenen Jungfrau, die in sehr häuslicher Abendtoilette
eben einen Zuber voll Kartoffelschalen über den Hof trug, erkundigte ich mich,
ob Herr Doktor Asche zu Hause sei, und erhielt in Begleitung einer Daumen-
andeutuug über die Schulter die eigentümliche Benachrichtigung:

In der Waschküche.

Wo, mein Herz? fragte mein Vater ebenfalls einigermaßen überrascht; doch
ein ungeduldiges Grunzen und Geschnaube aus einer andern Richtung des um¬
friedeten Bezirkes nahm das Fräulein so sehr in Anspruch, daß es nichts von
fernerer Höflichkeit für uns übrig behielt. Zu dem Behälter ihrer Opfertiere
schritt die vorstüdtische Kanephore; und wir, wir wendeten uns einer halboffenen
Pforte zu, aus der ein Lichtschein fiel und ein Gewölk quoll, welche beide wohl
mit dem Waschhause der Ansiedlung in Verbindung zu bringen waren.

Du lieber Gott, er wird doch nicht -- es ist zwar freilich morgen Sonntag;
aber er wird doch nicht jetzt noch sein frisches Hemde selber drauf zurichten?
stotterte Vater Pfister, und ich -- ich konnte weiter nichts darauf erwiedern als:

Das müssen wir unbedingt sofort sehen!

Ich stieß die Thür des angedeuteten Schuppens mit dem Fuße weiter auf.
Das vordringende Gewölk umhüllte uns und --
Alle Wetter!

husteten und prusteten zurückprallend sowohl der Müller von Pfisters Mühle
wie sein Kind -- der Dampf, der uns den Atem benahm, stammte wohl von
noch etwas anderm als unschuldiger grüner Seife und Aschenlauge, und wie eine
menschliche Lunge es hier aushielt, das war eine Frage, zu der wir erst eine
geraume Zeit später fähig wurden.

Dagegen begrüßte uns sofort aus dem vielgemischten entsetzlichen Dunst eine
wohlbekannte Stimme:

Holla, nicht zuviel Zugluft bei obwaltender Erdenwitterung draußen! Thür
zu, wenn ich bitten darf! Olga, bist du es, so muß ich dir doch sagen, daß
mir so ein Unterrock während meiner ganzen wissenschaftlichen Praxis noch nicht
vor Nase und Augen gekommen ist.

Olga ist es gerade nicht; wir sind's, Doktor Asche, keuchte mein Vater.
Ich bitte Sie um des Himmels Willen --

Und aus dem vom Herd und aus dem Waschkessel aufwirbelnden Greuel
hob sich, wie das Haupt eines mittelalterlichen Alchymisten, der schwarze
Struwelkopf unsers letzten Trösters in unsern Übeln Erdengerüchen; und Doktor
A. A. Asche mit aufgestreiften Ärmeln, in einem Schlafrock, der wahrscheinlich
seinesgleichen nicht hatte, sagte gelassen:


Pfisters Mühle.

Lichter hie und da in jedem Stockwerk zeigten, daß auch dies Haus schon bis
unters Dach bewohnt war, und mancherlei, was umherlag, hing und stand, that
dar, daß es nicht gerade die hohe Aristokratie im gewöhnlichen Sinne war, die
hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte.

Bei einer halberwachsenen Jungfrau, die in sehr häuslicher Abendtoilette
eben einen Zuber voll Kartoffelschalen über den Hof trug, erkundigte ich mich,
ob Herr Doktor Asche zu Hause sei, und erhielt in Begleitung einer Daumen-
andeutuug über die Schulter die eigentümliche Benachrichtigung:

In der Waschküche.

Wo, mein Herz? fragte mein Vater ebenfalls einigermaßen überrascht; doch
ein ungeduldiges Grunzen und Geschnaube aus einer andern Richtung des um¬
friedeten Bezirkes nahm das Fräulein so sehr in Anspruch, daß es nichts von
fernerer Höflichkeit für uns übrig behielt. Zu dem Behälter ihrer Opfertiere
schritt die vorstüdtische Kanephore; und wir, wir wendeten uns einer halboffenen
Pforte zu, aus der ein Lichtschein fiel und ein Gewölk quoll, welche beide wohl
mit dem Waschhause der Ansiedlung in Verbindung zu bringen waren.

Du lieber Gott, er wird doch nicht — es ist zwar freilich morgen Sonntag;
aber er wird doch nicht jetzt noch sein frisches Hemde selber drauf zurichten?
stotterte Vater Pfister, und ich — ich konnte weiter nichts darauf erwiedern als:

Das müssen wir unbedingt sofort sehen!

Ich stieß die Thür des angedeuteten Schuppens mit dem Fuße weiter auf.
Das vordringende Gewölk umhüllte uns und —
Alle Wetter!

husteten und prusteten zurückprallend sowohl der Müller von Pfisters Mühle
wie sein Kind — der Dampf, der uns den Atem benahm, stammte wohl von
noch etwas anderm als unschuldiger grüner Seife und Aschenlauge, und wie eine
menschliche Lunge es hier aushielt, das war eine Frage, zu der wir erst eine
geraume Zeit später fähig wurden.

Dagegen begrüßte uns sofort aus dem vielgemischten entsetzlichen Dunst eine
wohlbekannte Stimme:

Holla, nicht zuviel Zugluft bei obwaltender Erdenwitterung draußen! Thür
zu, wenn ich bitten darf! Olga, bist du es, so muß ich dir doch sagen, daß
mir so ein Unterrock während meiner ganzen wissenschaftlichen Praxis noch nicht
vor Nase und Augen gekommen ist.

Olga ist es gerade nicht; wir sind's, Doktor Asche, keuchte mein Vater.
Ich bitte Sie um des Himmels Willen —

Und aus dem vom Herd und aus dem Waschkessel aufwirbelnden Greuel
hob sich, wie das Haupt eines mittelalterlichen Alchymisten, der schwarze
Struwelkopf unsers letzten Trösters in unsern Übeln Erdengerüchen; und Doktor
A. A. Asche mit aufgestreiften Ärmeln, in einem Schlafrock, der wahrscheinlich
seinesgleichen nicht hatte, sagte gelassen:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157122"/>
          <fw type="header" place="top"> Pfisters Mühle.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_688" prev="#ID_687"> Lichter hie und da in jedem Stockwerk zeigten, daß auch dies Haus schon bis<lb/>
unters Dach bewohnt war, und mancherlei, was umherlag, hing und stand, that<lb/>
dar, daß es nicht gerade die hohe Aristokratie im gewöhnlichen Sinne war, die<lb/>
hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_689"> Bei einer halberwachsenen Jungfrau, die in sehr häuslicher Abendtoilette<lb/>
eben einen Zuber voll Kartoffelschalen über den Hof trug, erkundigte ich mich,<lb/>
ob Herr Doktor Asche zu Hause sei, und erhielt in Begleitung einer Daumen-<lb/>
andeutuug über die Schulter die eigentümliche Benachrichtigung:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_690"> In der Waschküche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_691"> Wo, mein Herz? fragte mein Vater ebenfalls einigermaßen überrascht; doch<lb/>
ein ungeduldiges Grunzen und Geschnaube aus einer andern Richtung des um¬<lb/>
friedeten Bezirkes nahm das Fräulein so sehr in Anspruch, daß es nichts von<lb/>
fernerer Höflichkeit für uns übrig behielt. Zu dem Behälter ihrer Opfertiere<lb/>
schritt die vorstüdtische Kanephore; und wir, wir wendeten uns einer halboffenen<lb/>
Pforte zu, aus der ein Lichtschein fiel und ein Gewölk quoll, welche beide wohl<lb/>
mit dem Waschhause der Ansiedlung in Verbindung zu bringen waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_692"> Du lieber Gott, er wird doch nicht &#x2014; es ist zwar freilich morgen Sonntag;<lb/>
aber er wird doch nicht jetzt noch sein frisches Hemde selber drauf zurichten?<lb/>
stotterte Vater Pfister, und ich &#x2014; ich konnte weiter nichts darauf erwiedern als:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_693"> Das müssen wir unbedingt sofort sehen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_694"> Ich stieß die Thür des angedeuteten Schuppens mit dem Fuße weiter auf.<lb/>
Das vordringende Gewölk umhüllte uns und &#x2014;<lb/>
Alle Wetter!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_695"> husteten und prusteten zurückprallend sowohl der Müller von Pfisters Mühle<lb/>
wie sein Kind &#x2014; der Dampf, der uns den Atem benahm, stammte wohl von<lb/>
noch etwas anderm als unschuldiger grüner Seife und Aschenlauge, und wie eine<lb/>
menschliche Lunge es hier aushielt, das war eine Frage, zu der wir erst eine<lb/>
geraume Zeit später fähig wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_696"> Dagegen begrüßte uns sofort aus dem vielgemischten entsetzlichen Dunst eine<lb/>
wohlbekannte Stimme:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_697"> Holla, nicht zuviel Zugluft bei obwaltender Erdenwitterung draußen! Thür<lb/>
zu, wenn ich bitten darf! Olga, bist du es, so muß ich dir doch sagen, daß<lb/>
mir so ein Unterrock während meiner ganzen wissenschaftlichen Praxis noch nicht<lb/>
vor Nase und Augen gekommen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_698"> Olga ist es gerade nicht; wir sind's, Doktor Asche, keuchte mein Vater.<lb/>
Ich bitte Sie um des Himmels Willen &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_699"> Und aus dem vom Herd und aus dem Waschkessel aufwirbelnden Greuel<lb/>
hob sich, wie das Haupt eines mittelalterlichen Alchymisten, der schwarze<lb/>
Struwelkopf unsers letzten Trösters in unsern Übeln Erdengerüchen; und Doktor<lb/>
A. A. Asche mit aufgestreiften Ärmeln, in einem Schlafrock, der wahrscheinlich<lb/>
seinesgleichen nicht hatte, sagte gelassen:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0197] Pfisters Mühle. Lichter hie und da in jedem Stockwerk zeigten, daß auch dies Haus schon bis unters Dach bewohnt war, und mancherlei, was umherlag, hing und stand, that dar, daß es nicht gerade die hohe Aristokratie im gewöhnlichen Sinne war, die hier ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Bei einer halberwachsenen Jungfrau, die in sehr häuslicher Abendtoilette eben einen Zuber voll Kartoffelschalen über den Hof trug, erkundigte ich mich, ob Herr Doktor Asche zu Hause sei, und erhielt in Begleitung einer Daumen- andeutuug über die Schulter die eigentümliche Benachrichtigung: In der Waschküche. Wo, mein Herz? fragte mein Vater ebenfalls einigermaßen überrascht; doch ein ungeduldiges Grunzen und Geschnaube aus einer andern Richtung des um¬ friedeten Bezirkes nahm das Fräulein so sehr in Anspruch, daß es nichts von fernerer Höflichkeit für uns übrig behielt. Zu dem Behälter ihrer Opfertiere schritt die vorstüdtische Kanephore; und wir, wir wendeten uns einer halboffenen Pforte zu, aus der ein Lichtschein fiel und ein Gewölk quoll, welche beide wohl mit dem Waschhause der Ansiedlung in Verbindung zu bringen waren. Du lieber Gott, er wird doch nicht — es ist zwar freilich morgen Sonntag; aber er wird doch nicht jetzt noch sein frisches Hemde selber drauf zurichten? stotterte Vater Pfister, und ich — ich konnte weiter nichts darauf erwiedern als: Das müssen wir unbedingt sofort sehen! Ich stieß die Thür des angedeuteten Schuppens mit dem Fuße weiter auf. Das vordringende Gewölk umhüllte uns und — Alle Wetter! husteten und prusteten zurückprallend sowohl der Müller von Pfisters Mühle wie sein Kind — der Dampf, der uns den Atem benahm, stammte wohl von noch etwas anderm als unschuldiger grüner Seife und Aschenlauge, und wie eine menschliche Lunge es hier aushielt, das war eine Frage, zu der wir erst eine geraume Zeit später fähig wurden. Dagegen begrüßte uns sofort aus dem vielgemischten entsetzlichen Dunst eine wohlbekannte Stimme: Holla, nicht zuviel Zugluft bei obwaltender Erdenwitterung draußen! Thür zu, wenn ich bitten darf! Olga, bist du es, so muß ich dir doch sagen, daß mir so ein Unterrock während meiner ganzen wissenschaftlichen Praxis noch nicht vor Nase und Augen gekommen ist. Olga ist es gerade nicht; wir sind's, Doktor Asche, keuchte mein Vater. Ich bitte Sie um des Himmels Willen — Und aus dem vom Herd und aus dem Waschkessel aufwirbelnden Greuel hob sich, wie das Haupt eines mittelalterlichen Alchymisten, der schwarze Struwelkopf unsers letzten Trösters in unsern Übeln Erdengerüchen; und Doktor A. A. Asche mit aufgestreiften Ärmeln, in einem Schlafrock, der wahrscheinlich seinesgleichen nicht hatte, sagte gelassen:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/197
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/197>, abgerufen am 28.12.2024.