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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Presse im Gerichtssaal.

Arbitrium der entscheidenden Faktoren durch die Belehrung der Journalistik
nachgeholfen werde, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil eine solche Einmengung
nur in den verhältnismüßig seltenen Fällen möglich ist, wo entweder die Ver¬
handlungen sich mehrere Tage hinziehen oder die Publikation des Erkenntnisses
auf eine spätere Frist verschoben wird. Daß aber gerade bei Schwurgerichten
taktlose oder böswillige Preßartikel entschieden Unheil anrichten können, wird
nicht zu bestreiten sein, und eben darum glauben wir, daß den Gerichten Mittel
an die Hand gegeben sein sollten, um solchen Eingriffen wirksam und recht¬
zeitig zu begegnen.

Charakteristisch ist auch folgender Widerspruch. Man verteidigt den Bericht¬
erstatter der Presse etwaigen Unrichtigkeiten und schiefen Auffassungen gegenüber
damit, daß er zumeist ohne jede Vorkenntnis des Gegenstandes einer gericht¬
lichen Verhandlung anwohnen und seinen Bericht mit möglichster Schnelligkeit
und ohne die Möglichkeit einer Korrektur, da der Druckerjunge Blatt für Blatt
abholt, abfassen müsse, während Richter, Staatsanwalt und Verteidiger nach
eingehendem Studium des Falles in die öffentliche Verhandlung eintreten. Sollte
aber nicht unter solchen Umständen einer inmitten des Ganges der Verhand¬
lungen geübten Zeitungskritik erst recht der Vorwurf einer vorlauten und un¬
berechtigten Einmengerei zu machen sein?

Und nun nehme man gar Fälle, wo eine skandalsüchtige Presse den sittlichen
Schmutz, der in manchen Prozessen zu tage tritt, mit Behagen aufrührt, oder wo sie,
wenn intime Verhältnisse vor den Schranken des Gerichts ans Tageslicht gezogen
werden müssen, in unstatthafter Weise das Privatleben der Betroffenen vor die
Öffentlichkeit zerrt, oder man denke an politische Prozesse und den Abgrund
der Verlogenheit, der da in gewissen Blättern sich aufthut -- sollen da dem
Gericht, das die objektive und unbeeinflußte Austragung solcher Rechtsstreitig¬
keiten durch eine schamlose Presse gefährdet sieht, die Hände gebunden sein?

Wir wiederholen, es mag eine unglückliche Wahl gewesen sein, wenn ein
ausnahmsweise energischer Richter in dem besprochenen Falle die Gelegenheit er¬
griff, der mangelhaften und oft geradezu gewissenlosen Berichterstattung der
Presse gegenüber ein Exempel zu statuiren; wenn aber aus diesem Fall für die
leider nur allzusehr eingerissene Zügellosigkeit der Presse Kapital geschlagen
werden soll, so ist es Pflicht derjenigen Organe, die auf Besserung der Krebs¬
schäden unsers Zeitungswesens bedacht sind, Protest dagegen einzulegen.

Acceptiren wir die offizielle Mitwirkung der Presse an der Öffentlichkeit
des Gerichtsverfahrens, so involvirt die Berichterstattung eine große Verant¬
wortung, und diese Verantwortung fordert dementsprechend von den mit dieser
Aufgabe betrauten Journalisten gediegene Kenntnisse und eine Gewissenhaftigkeit,
die derjenigen des Richters und Urwalds nichts nachgiebt. Wo sind die Tagcs-
journale, die mit ehrlicher Überzeugung versichern können, daß ihre Gerichts¬
reporter diesen hohen Anforderungen genügen? Ehe es aber in diesem Stück


Die Presse im Gerichtssaal.

Arbitrium der entscheidenden Faktoren durch die Belehrung der Journalistik
nachgeholfen werde, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil eine solche Einmengung
nur in den verhältnismüßig seltenen Fällen möglich ist, wo entweder die Ver¬
handlungen sich mehrere Tage hinziehen oder die Publikation des Erkenntnisses
auf eine spätere Frist verschoben wird. Daß aber gerade bei Schwurgerichten
taktlose oder böswillige Preßartikel entschieden Unheil anrichten können, wird
nicht zu bestreiten sein, und eben darum glauben wir, daß den Gerichten Mittel
an die Hand gegeben sein sollten, um solchen Eingriffen wirksam und recht¬
zeitig zu begegnen.

Charakteristisch ist auch folgender Widerspruch. Man verteidigt den Bericht¬
erstatter der Presse etwaigen Unrichtigkeiten und schiefen Auffassungen gegenüber
damit, daß er zumeist ohne jede Vorkenntnis des Gegenstandes einer gericht¬
lichen Verhandlung anwohnen und seinen Bericht mit möglichster Schnelligkeit
und ohne die Möglichkeit einer Korrektur, da der Druckerjunge Blatt für Blatt
abholt, abfassen müsse, während Richter, Staatsanwalt und Verteidiger nach
eingehendem Studium des Falles in die öffentliche Verhandlung eintreten. Sollte
aber nicht unter solchen Umständen einer inmitten des Ganges der Verhand¬
lungen geübten Zeitungskritik erst recht der Vorwurf einer vorlauten und un¬
berechtigten Einmengerei zu machen sein?

Und nun nehme man gar Fälle, wo eine skandalsüchtige Presse den sittlichen
Schmutz, der in manchen Prozessen zu tage tritt, mit Behagen aufrührt, oder wo sie,
wenn intime Verhältnisse vor den Schranken des Gerichts ans Tageslicht gezogen
werden müssen, in unstatthafter Weise das Privatleben der Betroffenen vor die
Öffentlichkeit zerrt, oder man denke an politische Prozesse und den Abgrund
der Verlogenheit, der da in gewissen Blättern sich aufthut — sollen da dem
Gericht, das die objektive und unbeeinflußte Austragung solcher Rechtsstreitig¬
keiten durch eine schamlose Presse gefährdet sieht, die Hände gebunden sein?

Wir wiederholen, es mag eine unglückliche Wahl gewesen sein, wenn ein
ausnahmsweise energischer Richter in dem besprochenen Falle die Gelegenheit er¬
griff, der mangelhaften und oft geradezu gewissenlosen Berichterstattung der
Presse gegenüber ein Exempel zu statuiren; wenn aber aus diesem Fall für die
leider nur allzusehr eingerissene Zügellosigkeit der Presse Kapital geschlagen
werden soll, so ist es Pflicht derjenigen Organe, die auf Besserung der Krebs¬
schäden unsers Zeitungswesens bedacht sind, Protest dagegen einzulegen.

Acceptiren wir die offizielle Mitwirkung der Presse an der Öffentlichkeit
des Gerichtsverfahrens, so involvirt die Berichterstattung eine große Verant¬
wortung, und diese Verantwortung fordert dementsprechend von den mit dieser
Aufgabe betrauten Journalisten gediegene Kenntnisse und eine Gewissenhaftigkeit,
die derjenigen des Richters und Urwalds nichts nachgiebt. Wo sind die Tagcs-
journale, die mit ehrlicher Überzeugung versichern können, daß ihre Gerichts¬
reporter diesen hohen Anforderungen genügen? Ehe es aber in diesem Stück


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[0171] Die Presse im Gerichtssaal. Arbitrium der entscheidenden Faktoren durch die Belehrung der Journalistik nachgeholfen werde, ist schon deshalb ausgeschlossen, weil eine solche Einmengung nur in den verhältnismüßig seltenen Fällen möglich ist, wo entweder die Ver¬ handlungen sich mehrere Tage hinziehen oder die Publikation des Erkenntnisses auf eine spätere Frist verschoben wird. Daß aber gerade bei Schwurgerichten taktlose oder böswillige Preßartikel entschieden Unheil anrichten können, wird nicht zu bestreiten sein, und eben darum glauben wir, daß den Gerichten Mittel an die Hand gegeben sein sollten, um solchen Eingriffen wirksam und recht¬ zeitig zu begegnen. Charakteristisch ist auch folgender Widerspruch. Man verteidigt den Bericht¬ erstatter der Presse etwaigen Unrichtigkeiten und schiefen Auffassungen gegenüber damit, daß er zumeist ohne jede Vorkenntnis des Gegenstandes einer gericht¬ lichen Verhandlung anwohnen und seinen Bericht mit möglichster Schnelligkeit und ohne die Möglichkeit einer Korrektur, da der Druckerjunge Blatt für Blatt abholt, abfassen müsse, während Richter, Staatsanwalt und Verteidiger nach eingehendem Studium des Falles in die öffentliche Verhandlung eintreten. Sollte aber nicht unter solchen Umständen einer inmitten des Ganges der Verhand¬ lungen geübten Zeitungskritik erst recht der Vorwurf einer vorlauten und un¬ berechtigten Einmengerei zu machen sein? Und nun nehme man gar Fälle, wo eine skandalsüchtige Presse den sittlichen Schmutz, der in manchen Prozessen zu tage tritt, mit Behagen aufrührt, oder wo sie, wenn intime Verhältnisse vor den Schranken des Gerichts ans Tageslicht gezogen werden müssen, in unstatthafter Weise das Privatleben der Betroffenen vor die Öffentlichkeit zerrt, oder man denke an politische Prozesse und den Abgrund der Verlogenheit, der da in gewissen Blättern sich aufthut — sollen da dem Gericht, das die objektive und unbeeinflußte Austragung solcher Rechtsstreitig¬ keiten durch eine schamlose Presse gefährdet sieht, die Hände gebunden sein? Wir wiederholen, es mag eine unglückliche Wahl gewesen sein, wenn ein ausnahmsweise energischer Richter in dem besprochenen Falle die Gelegenheit er¬ griff, der mangelhaften und oft geradezu gewissenlosen Berichterstattung der Presse gegenüber ein Exempel zu statuiren; wenn aber aus diesem Fall für die leider nur allzusehr eingerissene Zügellosigkeit der Presse Kapital geschlagen werden soll, so ist es Pflicht derjenigen Organe, die auf Besserung der Krebs¬ schäden unsers Zeitungswesens bedacht sind, Protest dagegen einzulegen. Acceptiren wir die offizielle Mitwirkung der Presse an der Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens, so involvirt die Berichterstattung eine große Verant¬ wortung, und diese Verantwortung fordert dementsprechend von den mit dieser Aufgabe betrauten Journalisten gediegene Kenntnisse und eine Gewissenhaftigkeit, die derjenigen des Richters und Urwalds nichts nachgiebt. Wo sind die Tagcs- journale, die mit ehrlicher Überzeugung versichern können, daß ihre Gerichts¬ reporter diesen hohen Anforderungen genügen? Ehe es aber in diesem Stück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/171>, abgerufen am 29.12.2024.