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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Presse im Gerichtssaal.

gerichts, Landgerichtsrat Bucher, das Wort, um über die Berichte des genannten
Blattes Klage zu führen. Es werde darin für den Angeklagten Partei genommen
und dem Präsidenten unterstellt, daß er die Zeugen durch fein Kreuzverhör zu
verwirren suche. Der Gerichtshof habe daher einstimmig beschlossen, den be¬
treffenden Berichterstatter auf die Dauer einer Woche von der Benutzung der
für die Presse reservirten vordern Bank des Gerichtssaales auszuschließen. Auf
Aufforderung des Präsidenten verließ denn auch der Betroffene, ein Hauptmann
a. D. Fischer, angesichts des Gerichtshofs, der Geschworenen und eines nach
Hunderten zählenden Publikums den Saal.

Dieser Vorgang nun hat in einem großen Teile der Presse von sich reden
gemacht, und von feiten liberaler und freisinniger Blätter wurde derselbe sofort
zum Anlaß genommen, um über Verletzung der "Öffentlichkeit des Gerichts¬
verfahrens" Klage zu erheben. Vor allem hat das betroffene Blatt selbst einen
energischen Protest ergehen lassen und dieser Tage das ausführliche Gutachten
eines der ersten Rechtsanwälte Stuttgarts, des Dr. Kielmeyer, über den Fall
veröffentlicht. Auch Kielmeyer betont in seinem Gutachten die Verletzung des
Prinzips der Öffentlichkeit; "ohne Presse, sagt er, keine Öffentlichkeit, also ist
die Einräumung des Journalistenplatzcs keine Vergünstigung des Gerichts, sondern
eine ebenso berechtigte Einrichtung wie das Pult des Verteidigers." Ferner
führt Kielmeyer aus: "Die Journalisten stehen ebenso unter der Sitzungspolizei
des Präsidenten wie das übrige Publikum, aber diese Befugnis erstreckt sich
nur auf Vorgänge innerhalb des Gerichtssaales. Das Gericht kann einen
Journalisten zweifellos ausweisen, es kann ihm aber nicht einen ordnungsmäßig
eingenommenen Sitzplatz entziehen und dafür einen Strafplatz anweisen." Ma¬
teriell findet Kielmeyer das Vorgehen des Präsidenten "unbegründet und in
hohem Grade bedenklich." Er sagt: "Keineswegs kann der Presse schon daraus
ein Vorwurf gemacht werden, daß sie für den Angeklagten Partei nimmt oder
zu nehmen scheint, hierzu ist sie im Gegenteil verpflichtet, sobald sie Zweifel
an dessen Schuld oder an der objektiven Behandlung des Falles von seiten des
Gerichtes hegt." Endlich rügt Kielmeyer die Art des Vollzuges: da es sich um
die Entscheidung eines Gerichts in Abwesenheit der betroffenen Person gehandelt
habe, so hätte es nach der Strafprozeßordnung einer schriftlichen Zustellung
bedurft, die öffentliche Verkündigung sei unstatthaft. Schließlich faßt Kielmeyer
seine Meinung dahin zusammen, der Vorfall bekunde "ein bedauerliches Ver¬
kennen der Bedeutung der Öffentlichkeit und der Presse für die Rechtspflege
und nicht minder der Machtgrenzen des Gerichts oder seines Vorsitzenden; die
Art und Weise, wie die Maßregel vollzogen wurde, entspreche weder den Vor¬
schriften noch dem Sinn und Geist unsrer Justizgesetze."

Minder sachlich, als hier in dem Gutachten eines Rechtsgelehrten geschieht,
wird natürlich in Leitartikeln und Korrespondenzen der Zeitungen der Vorfall
besprochen. So äußerte sich beispielsweise das betroffene Blatt selbst folgender-


Die Presse im Gerichtssaal.

gerichts, Landgerichtsrat Bucher, das Wort, um über die Berichte des genannten
Blattes Klage zu führen. Es werde darin für den Angeklagten Partei genommen
und dem Präsidenten unterstellt, daß er die Zeugen durch fein Kreuzverhör zu
verwirren suche. Der Gerichtshof habe daher einstimmig beschlossen, den be¬
treffenden Berichterstatter auf die Dauer einer Woche von der Benutzung der
für die Presse reservirten vordern Bank des Gerichtssaales auszuschließen. Auf
Aufforderung des Präsidenten verließ denn auch der Betroffene, ein Hauptmann
a. D. Fischer, angesichts des Gerichtshofs, der Geschworenen und eines nach
Hunderten zählenden Publikums den Saal.

Dieser Vorgang nun hat in einem großen Teile der Presse von sich reden
gemacht, und von feiten liberaler und freisinniger Blätter wurde derselbe sofort
zum Anlaß genommen, um über Verletzung der „Öffentlichkeit des Gerichts¬
verfahrens" Klage zu erheben. Vor allem hat das betroffene Blatt selbst einen
energischen Protest ergehen lassen und dieser Tage das ausführliche Gutachten
eines der ersten Rechtsanwälte Stuttgarts, des Dr. Kielmeyer, über den Fall
veröffentlicht. Auch Kielmeyer betont in seinem Gutachten die Verletzung des
Prinzips der Öffentlichkeit; „ohne Presse, sagt er, keine Öffentlichkeit, also ist
die Einräumung des Journalistenplatzcs keine Vergünstigung des Gerichts, sondern
eine ebenso berechtigte Einrichtung wie das Pult des Verteidigers." Ferner
führt Kielmeyer aus: „Die Journalisten stehen ebenso unter der Sitzungspolizei
des Präsidenten wie das übrige Publikum, aber diese Befugnis erstreckt sich
nur auf Vorgänge innerhalb des Gerichtssaales. Das Gericht kann einen
Journalisten zweifellos ausweisen, es kann ihm aber nicht einen ordnungsmäßig
eingenommenen Sitzplatz entziehen und dafür einen Strafplatz anweisen." Ma¬
teriell findet Kielmeyer das Vorgehen des Präsidenten „unbegründet und in
hohem Grade bedenklich." Er sagt: „Keineswegs kann der Presse schon daraus
ein Vorwurf gemacht werden, daß sie für den Angeklagten Partei nimmt oder
zu nehmen scheint, hierzu ist sie im Gegenteil verpflichtet, sobald sie Zweifel
an dessen Schuld oder an der objektiven Behandlung des Falles von seiten des
Gerichtes hegt." Endlich rügt Kielmeyer die Art des Vollzuges: da es sich um
die Entscheidung eines Gerichts in Abwesenheit der betroffenen Person gehandelt
habe, so hätte es nach der Strafprozeßordnung einer schriftlichen Zustellung
bedurft, die öffentliche Verkündigung sei unstatthaft. Schließlich faßt Kielmeyer
seine Meinung dahin zusammen, der Vorfall bekunde „ein bedauerliches Ver¬
kennen der Bedeutung der Öffentlichkeit und der Presse für die Rechtspflege
und nicht minder der Machtgrenzen des Gerichts oder seines Vorsitzenden; die
Art und Weise, wie die Maßregel vollzogen wurde, entspreche weder den Vor¬
schriften noch dem Sinn und Geist unsrer Justizgesetze."

Minder sachlich, als hier in dem Gutachten eines Rechtsgelehrten geschieht,
wird natürlich in Leitartikeln und Korrespondenzen der Zeitungen der Vorfall
besprochen. So äußerte sich beispielsweise das betroffene Blatt selbst folgender-


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[0167] Die Presse im Gerichtssaal. gerichts, Landgerichtsrat Bucher, das Wort, um über die Berichte des genannten Blattes Klage zu führen. Es werde darin für den Angeklagten Partei genommen und dem Präsidenten unterstellt, daß er die Zeugen durch fein Kreuzverhör zu verwirren suche. Der Gerichtshof habe daher einstimmig beschlossen, den be¬ treffenden Berichterstatter auf die Dauer einer Woche von der Benutzung der für die Presse reservirten vordern Bank des Gerichtssaales auszuschließen. Auf Aufforderung des Präsidenten verließ denn auch der Betroffene, ein Hauptmann a. D. Fischer, angesichts des Gerichtshofs, der Geschworenen und eines nach Hunderten zählenden Publikums den Saal. Dieser Vorgang nun hat in einem großen Teile der Presse von sich reden gemacht, und von feiten liberaler und freisinniger Blätter wurde derselbe sofort zum Anlaß genommen, um über Verletzung der „Öffentlichkeit des Gerichts¬ verfahrens" Klage zu erheben. Vor allem hat das betroffene Blatt selbst einen energischen Protest ergehen lassen und dieser Tage das ausführliche Gutachten eines der ersten Rechtsanwälte Stuttgarts, des Dr. Kielmeyer, über den Fall veröffentlicht. Auch Kielmeyer betont in seinem Gutachten die Verletzung des Prinzips der Öffentlichkeit; „ohne Presse, sagt er, keine Öffentlichkeit, also ist die Einräumung des Journalistenplatzcs keine Vergünstigung des Gerichts, sondern eine ebenso berechtigte Einrichtung wie das Pult des Verteidigers." Ferner führt Kielmeyer aus: „Die Journalisten stehen ebenso unter der Sitzungspolizei des Präsidenten wie das übrige Publikum, aber diese Befugnis erstreckt sich nur auf Vorgänge innerhalb des Gerichtssaales. Das Gericht kann einen Journalisten zweifellos ausweisen, es kann ihm aber nicht einen ordnungsmäßig eingenommenen Sitzplatz entziehen und dafür einen Strafplatz anweisen." Ma¬ teriell findet Kielmeyer das Vorgehen des Präsidenten „unbegründet und in hohem Grade bedenklich." Er sagt: „Keineswegs kann der Presse schon daraus ein Vorwurf gemacht werden, daß sie für den Angeklagten Partei nimmt oder zu nehmen scheint, hierzu ist sie im Gegenteil verpflichtet, sobald sie Zweifel an dessen Schuld oder an der objektiven Behandlung des Falles von seiten des Gerichtes hegt." Endlich rügt Kielmeyer die Art des Vollzuges: da es sich um die Entscheidung eines Gerichts in Abwesenheit der betroffenen Person gehandelt habe, so hätte es nach der Strafprozeßordnung einer schriftlichen Zustellung bedurft, die öffentliche Verkündigung sei unstatthaft. Schließlich faßt Kielmeyer seine Meinung dahin zusammen, der Vorfall bekunde „ein bedauerliches Ver¬ kennen der Bedeutung der Öffentlichkeit und der Presse für die Rechtspflege und nicht minder der Machtgrenzen des Gerichts oder seines Vorsitzenden; die Art und Weise, wie die Maßregel vollzogen wurde, entspreche weder den Vor¬ schriften noch dem Sinn und Geist unsrer Justizgesetze." Minder sachlich, als hier in dem Gutachten eines Rechtsgelehrten geschieht, wird natürlich in Leitartikeln und Korrespondenzen der Zeitungen der Vorfall besprochen. So äußerte sich beispielsweise das betroffene Blatt selbst folgender-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/167>, abgerufen am 28.12.2024.