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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Ein Franzose über Bismarcks Politik.

Gewalt anthun, und doch befindet er sich jedes Jahr in Verlegenheit vor seinem
Parlamente. . . . Wie er der gewandteste Geschäftsmann ist, den die Welt jemals
unter den Politikern gesehen hat, so ist er auch der persönlichste unter den großen
Staatsmännern. So erfüllt auch der erste Napoleon von seinem Ich war, er ver¬
trat die Durchschnittsideen seiner Zeit und verbreitete sie über Europa. Es schien,
als ob Korsika diesen Fremden nach Frankreich geschickt hätte, damit er, frei von
allen Verpflichtungen gegen die Parteien, die einem mit Schlichtung ihrer Mei¬
nungsunterschiede betrauten Schiedsrichter notwendige Unparteilichkeit habe"') und
die Grundsätze der Regierung und Erhaltung mit den neuen Ideen in Einklang
bringe. Herr von Bismarck ist überall und immerdar nur von seinen eignen Ideen
erfüllt und hat sie durch seine Willenskraft seiner Nation aufgezwungen.

Bismarck war und ist nichts weniger als ein Staatsmann, der seine eignen
Gedanken und Zwecke im Auge hat, sondern der scharfblickende und willensstarke
Träger der deutschen Idee einerseits und der monarchischen Idee andrerseits.
Jene lebte schon seit den Befreiungskriegen in unsrer Nation, und nur über
den Weg zu ihrer Verwirklichung war man verschiedner Meinung, Bismarck
aber hat, wie sein Erfolg nach den Mißerfolgen andrer beweist, den rechten
Weg gefunden und betreten. Die monarchische Idee ferner steht im Credo des
preußischen Volkes, wenigstens der großen Mehrzahl, obenan, sie ist ein inte-
grirender Bestandteil der wahren öffentlichen Meinung, die freilich nicht in den
Zeitungen und den fortschrittlichen Volksversammlungen gesucht werden darf,
sondern vornehmlich auf dem Lande und in denjenigen Schichten der städtischen
Bevölkerung lebt, welche durch die Schule des Heeres gegangen sind. Im
übrigen gilt von dem Urteil unsers Franzosen, was Bischer von andern Tad¬
lern des Reichskanzlers bemerkt, wenn er (Altes und Neues, Heft 3, S. 141)
sagt: "Es ist nur ganz begreiflich, daß die Atomisten dem Manne, dessen
Lebenszweck ist, Einheit, Verband, Gemeinsamkeit zu schaffen, Herrschaft der
Vielköpfigkeit zu stürzen -- daß sie diesem das Gegenteil vorwerfen: er wolle
nur sein herrisches Ich. Und das Volk hat sich einreden lassen, es sei eine
Schande, wenn ein Mann soviel thue, es hat sich scheu machen lassen vor der
Zahl eins. Es ist ja wohl ein Unglück, soviel gescheiter und thatkräftiger zu
sein als die meisten. Die Menschen können den Gedanken nicht ertragen, daß
der Verstand und Wille von so vielen in einen zusammengefaßt sei; sie hassen
ihn und säen Haß gegen ihn."

Nein, der deutsche Reichskanzler ist kein herrschbegieriger, eigenwilliger
Geist, wohl aber verlangt und erstrebt er straffe Zusammenfassung und Glie¬
derung der Lebenselemente im Bereiche des von ihm geschaffenen neuen deut¬
schen Staatswesens, weil es sich nur dadurch inmitten der ihm drohenden Ge¬
fahren zu erhalten imstande ist. Sein Ideal ist in dieser Hinsicht**) die preußische




*) Eine neue und sehr eigentümliche Auffassung; wir dachten bisher immer, dieser
"Schiedsrichter" habe die Parteien, die er vorfand, nicht sowohl unparteiisch versöhnt als
brutal zermalmt, um sich an ihre Stelle zu setzen.
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) Vergl. M. Busch am Schlüsse seines Kapitels "Die Junkerlegendc.
Ein Franzose über Bismarcks Politik.

Gewalt anthun, und doch befindet er sich jedes Jahr in Verlegenheit vor seinem
Parlamente. . . . Wie er der gewandteste Geschäftsmann ist, den die Welt jemals
unter den Politikern gesehen hat, so ist er auch der persönlichste unter den großen
Staatsmännern. So erfüllt auch der erste Napoleon von seinem Ich war, er ver¬
trat die Durchschnittsideen seiner Zeit und verbreitete sie über Europa. Es schien,
als ob Korsika diesen Fremden nach Frankreich geschickt hätte, damit er, frei von
allen Verpflichtungen gegen die Parteien, die einem mit Schlichtung ihrer Mei¬
nungsunterschiede betrauten Schiedsrichter notwendige Unparteilichkeit habe"') und
die Grundsätze der Regierung und Erhaltung mit den neuen Ideen in Einklang
bringe. Herr von Bismarck ist überall und immerdar nur von seinen eignen Ideen
erfüllt und hat sie durch seine Willenskraft seiner Nation aufgezwungen.

Bismarck war und ist nichts weniger als ein Staatsmann, der seine eignen
Gedanken und Zwecke im Auge hat, sondern der scharfblickende und willensstarke
Träger der deutschen Idee einerseits und der monarchischen Idee andrerseits.
Jene lebte schon seit den Befreiungskriegen in unsrer Nation, und nur über
den Weg zu ihrer Verwirklichung war man verschiedner Meinung, Bismarck
aber hat, wie sein Erfolg nach den Mißerfolgen andrer beweist, den rechten
Weg gefunden und betreten. Die monarchische Idee ferner steht im Credo des
preußischen Volkes, wenigstens der großen Mehrzahl, obenan, sie ist ein inte-
grirender Bestandteil der wahren öffentlichen Meinung, die freilich nicht in den
Zeitungen und den fortschrittlichen Volksversammlungen gesucht werden darf,
sondern vornehmlich auf dem Lande und in denjenigen Schichten der städtischen
Bevölkerung lebt, welche durch die Schule des Heeres gegangen sind. Im
übrigen gilt von dem Urteil unsers Franzosen, was Bischer von andern Tad¬
lern des Reichskanzlers bemerkt, wenn er (Altes und Neues, Heft 3, S. 141)
sagt: „Es ist nur ganz begreiflich, daß die Atomisten dem Manne, dessen
Lebenszweck ist, Einheit, Verband, Gemeinsamkeit zu schaffen, Herrschaft der
Vielköpfigkeit zu stürzen — daß sie diesem das Gegenteil vorwerfen: er wolle
nur sein herrisches Ich. Und das Volk hat sich einreden lassen, es sei eine
Schande, wenn ein Mann soviel thue, es hat sich scheu machen lassen vor der
Zahl eins. Es ist ja wohl ein Unglück, soviel gescheiter und thatkräftiger zu
sein als die meisten. Die Menschen können den Gedanken nicht ertragen, daß
der Verstand und Wille von so vielen in einen zusammengefaßt sei; sie hassen
ihn und säen Haß gegen ihn."

Nein, der deutsche Reichskanzler ist kein herrschbegieriger, eigenwilliger
Geist, wohl aber verlangt und erstrebt er straffe Zusammenfassung und Glie¬
derung der Lebenselemente im Bereiche des von ihm geschaffenen neuen deut¬
schen Staatswesens, weil es sich nur dadurch inmitten der ihm drohenden Ge¬
fahren zu erhalten imstande ist. Sein Ideal ist in dieser Hinsicht**) die preußische




*) Eine neue und sehr eigentümliche Auffassung; wir dachten bisher immer, dieser
„Schiedsrichter" habe die Parteien, die er vorfand, nicht sowohl unparteiisch versöhnt als
brutal zermalmt, um sich an ihre Stelle zu setzen.
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) Vergl. M. Busch am Schlüsse seines Kapitels „Die Junkerlegendc.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/15>, abgerufen am 28.12.2024.