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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Das südafrikanische Reich der Engländer.

der englischen und in noch höherm Maße die der holländischen Ansiedler, und
die englische Fahne wurde für die letzteren allmählich ein Zeichen der Benach¬
teiligung ihrer Lebensinteressen und ein Gegenstand tiefsten Hasses. Diese
Komödie der Irrungen spielte sich ein halbes Jahrhundert hindurch fort. Eng¬
lisches Blut ist vergebens geflossen, englisches Geld umsonst ausgegeben worden;
denn noch diesen Augenblick befindet sich England vor dem Dilemma, entweder
gelassen einer groben Mißachtung seines Ansehens und der Ermordung seiner
Beamten zuzuschauen, oder sich abermals an den Versuch einer Züchtigung und
Niederdrückung der Boers zu machen, den man nach der Schleppe am Mad-
schubaberge mit nicht sehr ehrenvoller Hast aufgab.

Wie erklärt sich nun das Mißlingen des Versuches der Engländer, in
Südafrika ein großes Kolonialreich zu schaffen, während ähnliche Pläne
anderwärts mit bestem Erfolge verwirklicht wurden? In Indien haben sie
große Völker unterworfen und zu einem Ganzen vereinigt, welche zum nicht
kleinen Teil vornehmeren Raffen angehörten als die, welche im südlichen Afrika
wohnen. Millionen Menschen zwischen dem Indus und Ganges werden von
verhältnismäßig wenig Briten in Unterthänigkeit erhalten. In Kanada fühlen
sich Kolonisten von zweierlei Stamm und Herkunft, desgleichen von verschiednen
Glaubensbekenntnis unter britischer Autorität glücklich und zufrieden, und das
Land bietet von Jahr zu Jahr der über den Ozean herüberströmenden Ein¬
wanderung aus Altengland mehr Gastfreundschaft. Warum verhält es sich mit
Südafrika fast ganz und gar anders? Die Geschichte erwiedert: hier fand
England zunächst keine solche Energielosigkeit, Geduld, Sanftmut und Ge¬
lehrigkeit als in der Regel unter den Hindus, und die Kaffern und Boers
besaßen nicht die Eigenschaften, mit Hilfe deren es der britischen Politik gelang,
die kräftigeren Völkerschaften Ostindiens, die Sikhs, die Mahratten und die
Gurkas, gegen einander zu Hetzen und ins Feld zu führen. Auch zwischen
Kanada und den Landschaften am Kap herrscht ein auffallender Gegensatz. In
der Zeit, wo England sich des Kaplandes bemächtigte, konnte die Sachlage,
oberflächlich betrachtet, derjenigen vergleichbar scheinen, welche die Engländer
vorfanden, als sie Kanada den Franzosen abnahmen. Man erwarb am Kap
weite Gebiete, die von Holländern bewohnt waren, wie man früher weite Länder¬
strecken, besiedelt von französisch redenden Kolonisten, erobert hatte. Die letzteren
wurden ohne sehr viel Mühe in Ordnung gehalten und größtenteils absorbirt,
jene dagegen, die Holländer, besonders die Boers, machen den Eroberern noch
heute Not. Sie find eben von anderen Holze, kräftiger, ausdauernder,
selbständiger als die trotz ihrer drei Revolutionen leicht zu beherrschenden
Franzosen. Sie sind zähe und die Freiheit liebende niederdeutsche, Angehörige
des Volkes, das sich einst auch von der spanischen Weltmacht nicht dauernd
unter ihr Joch zwingen ließ. Dazu kam noch ein andres Moment. Kanada
hat seit mehreren Generationen Massen von englischen, schottischen und irischen


Das südafrikanische Reich der Engländer.

der englischen und in noch höherm Maße die der holländischen Ansiedler, und
die englische Fahne wurde für die letzteren allmählich ein Zeichen der Benach¬
teiligung ihrer Lebensinteressen und ein Gegenstand tiefsten Hasses. Diese
Komödie der Irrungen spielte sich ein halbes Jahrhundert hindurch fort. Eng¬
lisches Blut ist vergebens geflossen, englisches Geld umsonst ausgegeben worden;
denn noch diesen Augenblick befindet sich England vor dem Dilemma, entweder
gelassen einer groben Mißachtung seines Ansehens und der Ermordung seiner
Beamten zuzuschauen, oder sich abermals an den Versuch einer Züchtigung und
Niederdrückung der Boers zu machen, den man nach der Schleppe am Mad-
schubaberge mit nicht sehr ehrenvoller Hast aufgab.

Wie erklärt sich nun das Mißlingen des Versuches der Engländer, in
Südafrika ein großes Kolonialreich zu schaffen, während ähnliche Pläne
anderwärts mit bestem Erfolge verwirklicht wurden? In Indien haben sie
große Völker unterworfen und zu einem Ganzen vereinigt, welche zum nicht
kleinen Teil vornehmeren Raffen angehörten als die, welche im südlichen Afrika
wohnen. Millionen Menschen zwischen dem Indus und Ganges werden von
verhältnismäßig wenig Briten in Unterthänigkeit erhalten. In Kanada fühlen
sich Kolonisten von zweierlei Stamm und Herkunft, desgleichen von verschiednen
Glaubensbekenntnis unter britischer Autorität glücklich und zufrieden, und das
Land bietet von Jahr zu Jahr der über den Ozean herüberströmenden Ein¬
wanderung aus Altengland mehr Gastfreundschaft. Warum verhält es sich mit
Südafrika fast ganz und gar anders? Die Geschichte erwiedert: hier fand
England zunächst keine solche Energielosigkeit, Geduld, Sanftmut und Ge¬
lehrigkeit als in der Regel unter den Hindus, und die Kaffern und Boers
besaßen nicht die Eigenschaften, mit Hilfe deren es der britischen Politik gelang,
die kräftigeren Völkerschaften Ostindiens, die Sikhs, die Mahratten und die
Gurkas, gegen einander zu Hetzen und ins Feld zu führen. Auch zwischen
Kanada und den Landschaften am Kap herrscht ein auffallender Gegensatz. In
der Zeit, wo England sich des Kaplandes bemächtigte, konnte die Sachlage,
oberflächlich betrachtet, derjenigen vergleichbar scheinen, welche die Engländer
vorfanden, als sie Kanada den Franzosen abnahmen. Man erwarb am Kap
weite Gebiete, die von Holländern bewohnt waren, wie man früher weite Länder¬
strecken, besiedelt von französisch redenden Kolonisten, erobert hatte. Die letzteren
wurden ohne sehr viel Mühe in Ordnung gehalten und größtenteils absorbirt,
jene dagegen, die Holländer, besonders die Boers, machen den Eroberern noch
heute Not. Sie find eben von anderen Holze, kräftiger, ausdauernder,
selbständiger als die trotz ihrer drei Revolutionen leicht zu beherrschenden
Franzosen. Sie sind zähe und die Freiheit liebende niederdeutsche, Angehörige
des Volkes, das sich einst auch von der spanischen Weltmacht nicht dauernd
unter ihr Joch zwingen ließ. Dazu kam noch ein andres Moment. Kanada
hat seit mehreren Generationen Massen von englischen, schottischen und irischen


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[0118] Das südafrikanische Reich der Engländer. der englischen und in noch höherm Maße die der holländischen Ansiedler, und die englische Fahne wurde für die letzteren allmählich ein Zeichen der Benach¬ teiligung ihrer Lebensinteressen und ein Gegenstand tiefsten Hasses. Diese Komödie der Irrungen spielte sich ein halbes Jahrhundert hindurch fort. Eng¬ lisches Blut ist vergebens geflossen, englisches Geld umsonst ausgegeben worden; denn noch diesen Augenblick befindet sich England vor dem Dilemma, entweder gelassen einer groben Mißachtung seines Ansehens und der Ermordung seiner Beamten zuzuschauen, oder sich abermals an den Versuch einer Züchtigung und Niederdrückung der Boers zu machen, den man nach der Schleppe am Mad- schubaberge mit nicht sehr ehrenvoller Hast aufgab. Wie erklärt sich nun das Mißlingen des Versuches der Engländer, in Südafrika ein großes Kolonialreich zu schaffen, während ähnliche Pläne anderwärts mit bestem Erfolge verwirklicht wurden? In Indien haben sie große Völker unterworfen und zu einem Ganzen vereinigt, welche zum nicht kleinen Teil vornehmeren Raffen angehörten als die, welche im südlichen Afrika wohnen. Millionen Menschen zwischen dem Indus und Ganges werden von verhältnismäßig wenig Briten in Unterthänigkeit erhalten. In Kanada fühlen sich Kolonisten von zweierlei Stamm und Herkunft, desgleichen von verschiednen Glaubensbekenntnis unter britischer Autorität glücklich und zufrieden, und das Land bietet von Jahr zu Jahr der über den Ozean herüberströmenden Ein¬ wanderung aus Altengland mehr Gastfreundschaft. Warum verhält es sich mit Südafrika fast ganz und gar anders? Die Geschichte erwiedert: hier fand England zunächst keine solche Energielosigkeit, Geduld, Sanftmut und Ge¬ lehrigkeit als in der Regel unter den Hindus, und die Kaffern und Boers besaßen nicht die Eigenschaften, mit Hilfe deren es der britischen Politik gelang, die kräftigeren Völkerschaften Ostindiens, die Sikhs, die Mahratten und die Gurkas, gegen einander zu Hetzen und ins Feld zu führen. Auch zwischen Kanada und den Landschaften am Kap herrscht ein auffallender Gegensatz. In der Zeit, wo England sich des Kaplandes bemächtigte, konnte die Sachlage, oberflächlich betrachtet, derjenigen vergleichbar scheinen, welche die Engländer vorfanden, als sie Kanada den Franzosen abnahmen. Man erwarb am Kap weite Gebiete, die von Holländern bewohnt waren, wie man früher weite Länder¬ strecken, besiedelt von französisch redenden Kolonisten, erobert hatte. Die letzteren wurden ohne sehr viel Mühe in Ordnung gehalten und größtenteils absorbirt, jene dagegen, die Holländer, besonders die Boers, machen den Eroberern noch heute Not. Sie find eben von anderen Holze, kräftiger, ausdauernder, selbständiger als die trotz ihrer drei Revolutionen leicht zu beherrschenden Franzosen. Sie sind zähe und die Freiheit liebende niederdeutsche, Angehörige des Volkes, das sich einst auch von der spanischen Weltmacht nicht dauernd unter ihr Joch zwingen ließ. Dazu kam noch ein andres Moment. Kanada hat seit mehreren Generationen Massen von englischen, schottischen und irischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/118>, abgerufen am 29.12.2024.