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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Parole.

kommen, allein sie muß erkämpft werden, durch vernünftiges Zureden ist der
bis zum Wahnwitz erhitzte Parteigeist nicht zu bändigen, und je einmütiger und
entschlossener wir jetzt in den Krieg ziehen, desto eher wird er beendigt sein.

Die Sache wäre kinderleicht, wenn die große Menge von Deutschen, die
jetzt den Anhang der gewerbsmäßigen Oppositionsmacher bilden, nur einmal
sechs Monate hindurch von jeder politischen Bearbeitung und Beeinflussung,
komme sie von welcher Seite sie wolle, abgeschlossen werden könnten, ihre
Kenntnis von den Weltereignissen nur aus solchen Zeitungen schöpften, die lediglich
Thatsachen, in höchster Unparteilichkeit, aber ohne alles Raisonnement, berich¬
teten. Wie verlassen würden plötzlich die Herren "Führer" dastehen! Denn das
Volk empfindet und denkt national überall, wo es nicht durch Phrasen berauscht
und durch Lügen verhetzt wird. Erleben wir doch gerade jetzt, daß in gewissen
Momenten der gesunde nationale Instinkt so unaufhaltsam durchbricht, daß die
Dunstfabrikanten sich uicht anders zu helfen wissen, als indem sie beteuern,
sie Hütten gar keinen Dunst machen wollen, sondern Dampf zur Förderung des
Nationalwohlstandes. Die Herren haben ihren Reineke Fuchs nicht umsonst
gelesen! Uns aber hat seit langem kein Schauspiel mit solchem Behagen er¬
füllt, als wie die Richter, Virchow e> WM aug-uti sich voll Verlegenheit decken
und wenden, Taschenspielerkünsie mit dem Worte Kolonialpolitik treiben und
ihre eignen Worte wieder verschlingen. "Hier, meine Herren, sehen Sie ein
höchst verabscheuungswürdiges Ding, genannt Kolonialpolitik -- eins, zwei,
drei: es ist verschwunden! -- eins, zwei, drei: da kommt es aus meiner Rock¬
tasche wieder zum Vorschein, ist aber inzwischen ganz nützlich geworden, und
die Behauptung, daß ich es jemals unnütz genannt hätte, ist abgeschmackt." Es
fehlte nur noch, daß Herr Bamberger sich als Freund von Samoa und der
Dampfervorlage entpuppte, der nur durch den bösen Kanzler verleitet worden
sei, dagegen zu stimmen. Übrigens ist wohl zu glauben, daß Herr Richter das
Gedächtnis andrer Leute für seine und seiner Mameluken Worte und Hand¬
lungen recht "abgeschmackt" findet. Aber so leid es uns thut, wir werden es
uns zum Geschäft machen müssen, sein zu Zeiten auffallend schwach werdendes
Erinnerungsvermögen im rechten Augenblick aufzumuntern; die Leistungen
eines so reinen und konsequenten Patriotismus dürfen nicht in Vergessenheit
geraten.

Und nicht bloß im Heerbann der Freisinnigen wissen wir die National¬
gesinnten, welche sich haben bethören lassen; es steht nach Abzug derjenigen,
deren Arbeit das "Führen," d. h. das Reden und Schüren ist, und einer An¬
zahl hirnverbrannter Fanatiker, die wirklich an ein Jkarien glauben, in der
Arbeiterpartei nicht anders, und das würde viel häufiger zu tage treten, wenn
nicht dort wie überall die Entschiedener, die Radikalen den ärgsten Terrorismus
ausübten, und die dennoch vorkommenden Spaltungen dank dem herrschenden
Korpsgeiste den Außerhalbstehenden gewöhnlich verborgen blieben. Die Beispiele


Die Parole.

kommen, allein sie muß erkämpft werden, durch vernünftiges Zureden ist der
bis zum Wahnwitz erhitzte Parteigeist nicht zu bändigen, und je einmütiger und
entschlossener wir jetzt in den Krieg ziehen, desto eher wird er beendigt sein.

Die Sache wäre kinderleicht, wenn die große Menge von Deutschen, die
jetzt den Anhang der gewerbsmäßigen Oppositionsmacher bilden, nur einmal
sechs Monate hindurch von jeder politischen Bearbeitung und Beeinflussung,
komme sie von welcher Seite sie wolle, abgeschlossen werden könnten, ihre
Kenntnis von den Weltereignissen nur aus solchen Zeitungen schöpften, die lediglich
Thatsachen, in höchster Unparteilichkeit, aber ohne alles Raisonnement, berich¬
teten. Wie verlassen würden plötzlich die Herren „Führer" dastehen! Denn das
Volk empfindet und denkt national überall, wo es nicht durch Phrasen berauscht
und durch Lügen verhetzt wird. Erleben wir doch gerade jetzt, daß in gewissen
Momenten der gesunde nationale Instinkt so unaufhaltsam durchbricht, daß die
Dunstfabrikanten sich uicht anders zu helfen wissen, als indem sie beteuern,
sie Hütten gar keinen Dunst machen wollen, sondern Dampf zur Förderung des
Nationalwohlstandes. Die Herren haben ihren Reineke Fuchs nicht umsonst
gelesen! Uns aber hat seit langem kein Schauspiel mit solchem Behagen er¬
füllt, als wie die Richter, Virchow e> WM aug-uti sich voll Verlegenheit decken
und wenden, Taschenspielerkünsie mit dem Worte Kolonialpolitik treiben und
ihre eignen Worte wieder verschlingen. „Hier, meine Herren, sehen Sie ein
höchst verabscheuungswürdiges Ding, genannt Kolonialpolitik — eins, zwei,
drei: es ist verschwunden! — eins, zwei, drei: da kommt es aus meiner Rock¬
tasche wieder zum Vorschein, ist aber inzwischen ganz nützlich geworden, und
die Behauptung, daß ich es jemals unnütz genannt hätte, ist abgeschmackt." Es
fehlte nur noch, daß Herr Bamberger sich als Freund von Samoa und der
Dampfervorlage entpuppte, der nur durch den bösen Kanzler verleitet worden
sei, dagegen zu stimmen. Übrigens ist wohl zu glauben, daß Herr Richter das
Gedächtnis andrer Leute für seine und seiner Mameluken Worte und Hand¬
lungen recht „abgeschmackt" findet. Aber so leid es uns thut, wir werden es
uns zum Geschäft machen müssen, sein zu Zeiten auffallend schwach werdendes
Erinnerungsvermögen im rechten Augenblick aufzumuntern; die Leistungen
eines so reinen und konsequenten Patriotismus dürfen nicht in Vergessenheit
geraten.

Und nicht bloß im Heerbann der Freisinnigen wissen wir die National¬
gesinnten, welche sich haben bethören lassen; es steht nach Abzug derjenigen,
deren Arbeit das „Führen," d. h. das Reden und Schüren ist, und einer An¬
zahl hirnverbrannter Fanatiker, die wirklich an ein Jkarien glauben, in der
Arbeiterpartei nicht anders, und das würde viel häufiger zu tage treten, wenn
nicht dort wie überall die Entschiedener, die Radikalen den ärgsten Terrorismus
ausübten, und die dennoch vorkommenden Spaltungen dank dem herrschenden
Korpsgeiste den Außerhalbstehenden gewöhnlich verborgen blieben. Die Beispiele


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[0594] Die Parole. kommen, allein sie muß erkämpft werden, durch vernünftiges Zureden ist der bis zum Wahnwitz erhitzte Parteigeist nicht zu bändigen, und je einmütiger und entschlossener wir jetzt in den Krieg ziehen, desto eher wird er beendigt sein. Die Sache wäre kinderleicht, wenn die große Menge von Deutschen, die jetzt den Anhang der gewerbsmäßigen Oppositionsmacher bilden, nur einmal sechs Monate hindurch von jeder politischen Bearbeitung und Beeinflussung, komme sie von welcher Seite sie wolle, abgeschlossen werden könnten, ihre Kenntnis von den Weltereignissen nur aus solchen Zeitungen schöpften, die lediglich Thatsachen, in höchster Unparteilichkeit, aber ohne alles Raisonnement, berich¬ teten. Wie verlassen würden plötzlich die Herren „Führer" dastehen! Denn das Volk empfindet und denkt national überall, wo es nicht durch Phrasen berauscht und durch Lügen verhetzt wird. Erleben wir doch gerade jetzt, daß in gewissen Momenten der gesunde nationale Instinkt so unaufhaltsam durchbricht, daß die Dunstfabrikanten sich uicht anders zu helfen wissen, als indem sie beteuern, sie Hütten gar keinen Dunst machen wollen, sondern Dampf zur Förderung des Nationalwohlstandes. Die Herren haben ihren Reineke Fuchs nicht umsonst gelesen! Uns aber hat seit langem kein Schauspiel mit solchem Behagen er¬ füllt, als wie die Richter, Virchow e> WM aug-uti sich voll Verlegenheit decken und wenden, Taschenspielerkünsie mit dem Worte Kolonialpolitik treiben und ihre eignen Worte wieder verschlingen. „Hier, meine Herren, sehen Sie ein höchst verabscheuungswürdiges Ding, genannt Kolonialpolitik — eins, zwei, drei: es ist verschwunden! — eins, zwei, drei: da kommt es aus meiner Rock¬ tasche wieder zum Vorschein, ist aber inzwischen ganz nützlich geworden, und die Behauptung, daß ich es jemals unnütz genannt hätte, ist abgeschmackt." Es fehlte nur noch, daß Herr Bamberger sich als Freund von Samoa und der Dampfervorlage entpuppte, der nur durch den bösen Kanzler verleitet worden sei, dagegen zu stimmen. Übrigens ist wohl zu glauben, daß Herr Richter das Gedächtnis andrer Leute für seine und seiner Mameluken Worte und Hand¬ lungen recht „abgeschmackt" findet. Aber so leid es uns thut, wir werden es uns zum Geschäft machen müssen, sein zu Zeiten auffallend schwach werdendes Erinnerungsvermögen im rechten Augenblick aufzumuntern; die Leistungen eines so reinen und konsequenten Patriotismus dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Und nicht bloß im Heerbann der Freisinnigen wissen wir die National¬ gesinnten, welche sich haben bethören lassen; es steht nach Abzug derjenigen, deren Arbeit das „Führen," d. h. das Reden und Schüren ist, und einer An¬ zahl hirnverbrannter Fanatiker, die wirklich an ein Jkarien glauben, in der Arbeiterpartei nicht anders, und das würde viel häufiger zu tage treten, wenn nicht dort wie überall die Entschiedener, die Radikalen den ärgsten Terrorismus ausübten, und die dennoch vorkommenden Spaltungen dank dem herrschenden Korpsgeiste den Außerhalbstehenden gewöhnlich verborgen blieben. Die Beispiele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/594>, abgerufen am 27.06.2024.