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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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'Englische Politik und deutsche Interessen.

würde alle Verträge mit den Dänen, also auch das Londoner Protokoll, ver¬
nichten.

Russell verlangte nun am 31. Dezember Entscheidung der Frage auf einer
Konferenz. Er schrieb dabei mit echt englischer Insolenz: "Wann endlich wird
Dänemark Ruhe vor diesen unaufhörlichen Anforderungen hoffen können? Wenn
seine Unabhängigkeit gewahrt bleiben soll, so wäre besser, es leistete jetzt Wider¬
stand, als es ließe sich durch stete, immer nutzlose Zugestündnisse schwächen--
Dänemark hat ein Recht, die Grenzen der Ansprüche Deutschlands zu erfahren
und in die Möglichkeit versetzt zu werden, diesen langwierigen und ermüdenden
Streit seinem Ende entgcgenzuftthren. Mag es elf Jahre lang sich seinen Ver¬
bindlichkeiten entzogen haben, mag Deutschland diese Zeit hindurch Dänemark
mit unausführbaren Forderungen gequält haben, so ist es jetzt Zeit, diesem Streit
ein Ziel zu setze". Die Mächte, die den Londoner Traktat unterzeichnet haben,
sind nebst dem deutschen Bunde in erster Reihe dazu berufen, die Bedingungen
eines endgiltigen Übereinkommens festzustellen. Ihrer Majestät Regierung ver¬
langt daher im Interesse des Friedens, daß eine Konferenz der Mächte, welche
das Londoner Protokoll unterschrieben haben, im Vereine mit einem Abgeord¬
neten des deutschen Bundes in Paris oder London zur Verhandlung über die
Streitigkeiten zwischen Deutschland und Dänemark zusammentrete, und daß bis
zur Beendigung der Arbeiten dieser Konferenz der status quo aufrecht erhalten
bleibe." In einer andern Depesche an den englischen Gesandten in Berlin fügte
Russell hinzu, die britische Regierung könne nicht glauben, daß Preußen sich zu
einem Eroberungskriege gegen Dänemark herbeilassen werde. Wenn die deutsche
Nationalität in Holstein und zum Teil in Schleswig ein Grund zur Zertrüm¬
merung Dänemarks werden solle, so könnte dasselbe wegen der polnischen Na¬
tionalität im Großherzogtnme Posen Preußen gegenüber der Fall sein. Nur
durch Festhalten an den Verträgen könne Preußen die Sympathie und Zustim¬
mung der übrigen Mächte erlangen, dnrch entgegengesetztes Verhalten würde es
sich die Verurteilung aller Unbefangenen zuziehen, nur auf jenem Wege könne
ein europäischer Krieg vermieden werden.

Diese heuchlerische Schulmeisteret mit ihrer Drohung machte selbstverständlich
in Berlin geringen Eindruck, und die Heere der deutschen Großmächte rückten
nach der Eider vor, um Schleswig für die Erfüllung ihrer Forderungen in
Pfand zu nehmen. Nochmals warnte und drohte Russell, indem er am
18. Januar 1864 deu englischen Botschafter in Berlin anwies, er möge in
den entschiedensten Ausdrücken Herrn von Bismarck und womöglich auch den
König auf die äußerste Ungerechtigkeit und Gefahr aufmerksam machen, die
darin liege, wenn man sich durch die Besetzung Schleswigs materielle Bürg¬
schaften verschaffen wolle. Ein solches Verhalten werde verhängnisvoll für
den Frieden sein, denn der Krieg werde, einmal begonnen, sich nicht auf die
ersten Grenzen beschränken lassen, Wie es sich 1853 bei der russischen Okkupation


'Englische Politik und deutsche Interessen.

würde alle Verträge mit den Dänen, also auch das Londoner Protokoll, ver¬
nichten.

Russell verlangte nun am 31. Dezember Entscheidung der Frage auf einer
Konferenz. Er schrieb dabei mit echt englischer Insolenz: „Wann endlich wird
Dänemark Ruhe vor diesen unaufhörlichen Anforderungen hoffen können? Wenn
seine Unabhängigkeit gewahrt bleiben soll, so wäre besser, es leistete jetzt Wider¬
stand, als es ließe sich durch stete, immer nutzlose Zugestündnisse schwächen—
Dänemark hat ein Recht, die Grenzen der Ansprüche Deutschlands zu erfahren
und in die Möglichkeit versetzt zu werden, diesen langwierigen und ermüdenden
Streit seinem Ende entgcgenzuftthren. Mag es elf Jahre lang sich seinen Ver¬
bindlichkeiten entzogen haben, mag Deutschland diese Zeit hindurch Dänemark
mit unausführbaren Forderungen gequält haben, so ist es jetzt Zeit, diesem Streit
ein Ziel zu setze». Die Mächte, die den Londoner Traktat unterzeichnet haben,
sind nebst dem deutschen Bunde in erster Reihe dazu berufen, die Bedingungen
eines endgiltigen Übereinkommens festzustellen. Ihrer Majestät Regierung ver¬
langt daher im Interesse des Friedens, daß eine Konferenz der Mächte, welche
das Londoner Protokoll unterschrieben haben, im Vereine mit einem Abgeord¬
neten des deutschen Bundes in Paris oder London zur Verhandlung über die
Streitigkeiten zwischen Deutschland und Dänemark zusammentrete, und daß bis
zur Beendigung der Arbeiten dieser Konferenz der status quo aufrecht erhalten
bleibe." In einer andern Depesche an den englischen Gesandten in Berlin fügte
Russell hinzu, die britische Regierung könne nicht glauben, daß Preußen sich zu
einem Eroberungskriege gegen Dänemark herbeilassen werde. Wenn die deutsche
Nationalität in Holstein und zum Teil in Schleswig ein Grund zur Zertrüm¬
merung Dänemarks werden solle, so könnte dasselbe wegen der polnischen Na¬
tionalität im Großherzogtnme Posen Preußen gegenüber der Fall sein. Nur
durch Festhalten an den Verträgen könne Preußen die Sympathie und Zustim¬
mung der übrigen Mächte erlangen, dnrch entgegengesetztes Verhalten würde es
sich die Verurteilung aller Unbefangenen zuziehen, nur auf jenem Wege könne
ein europäischer Krieg vermieden werden.

Diese heuchlerische Schulmeisteret mit ihrer Drohung machte selbstverständlich
in Berlin geringen Eindruck, und die Heere der deutschen Großmächte rückten
nach der Eider vor, um Schleswig für die Erfüllung ihrer Forderungen in
Pfand zu nehmen. Nochmals warnte und drohte Russell, indem er am
18. Januar 1864 deu englischen Botschafter in Berlin anwies, er möge in
den entschiedensten Ausdrücken Herrn von Bismarck und womöglich auch den
König auf die äußerste Ungerechtigkeit und Gefahr aufmerksam machen, die
darin liege, wenn man sich durch die Besetzung Schleswigs materielle Bürg¬
schaften verschaffen wolle. Ein solches Verhalten werde verhängnisvoll für
den Frieden sein, denn der Krieg werde, einmal begonnen, sich nicht auf die
ersten Grenzen beschränken lassen, Wie es sich 1853 bei der russischen Okkupation


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/551>, abgerufen am 27.09.2024.