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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Ende einer weltgeschichtlichen Legende.

setzen, der möge ein seltenes Buch in die Hand nehmen, um die Schliche kennen
zu lernen, mit denen Ncmndorff und sein getreuer Eckart, der Brüsseler Advokat
Gruau de la Barre, die Gläubigen ins Garn gelockt haben. Dasselbe führt
den Titel: IntriZ'nos clovoilves, ein livuis XVII. äeruier roi 16Zitiin"z as ^riuios.
liottsräÄin, 1848. Schon zuvor hatte Nauudorff selbst in einem Buche:
Il,soll<zroli68 sur los Wtorwns8 an og-uxlriir von London aus, wo er sich unter
dem angemaßten Titel eines Herzogs der Normandie aufhielt, die Welt von der
Rechtmäßigkeit seiner prinzlichen Herkunft zu überzeugen versucht. Indessen
enthält das erstgenannte, vier Bände starke Werk doch das Hauptmaterial, das
mit einer Emsigkeit, einem Eifer und einer Ausdauer zusammengetragen, mit
einer Kraft der Überzeugung und mit einem Reichtum an Phantasie verwertet
worden ist, welcher seinen Besitzer vielleicht zu einem angesehenen Romanschrift¬
steller gemacht haben würde, wenn dieser es nicht vorgezogen hätte, seine ganze
Kraft auf diese 2300 Seiten einnehmende Danaidenarbeit zu vergeuden, von
deren sittlicher Untadelhaftigkeit er umso überzeugter gewesen zu sein scheint, als es
ihm erst nach dem am 10. August 1845 erfolgten Tode seines Klienten und nach
völliger Abweisung desselben durch das Pariser Tribunal, vor dem dieser bereits
im Jahre 1842, wenn wir nicht irren, im Beistande von Jules Favre seine
Erbausprüche geltend zu machen bemüht war, vergönnt war, jene umfängliche
Verteidigungsschrift zu veröffentlichen, der im Jahre 1852 noch ein Nachtrag
zur Widerlegung des vernichtenden Beauchesneschen Buches folgte.

Es würde den Leser in ein wahres Chaos von abenteuerlich-romanhaften
Zufälligkeiten und Schicksalen von seltener Verkettung führen, wenn der Versuch
unternommen werden sollte, die wundersame Lebensgeschichte Naundorffs selbst
auch nur in den Hauptzügen wiederzugeben. Außerdem dürfte stark zu bezweifeln
sein, daß diese Wiedergabe jetzt noch, nachdem das Märchen von der Flucht
des Prinzen und der Unterschiebung eines stummen Kindes jeglichen Haltes
beraubt worden ist, von Interesse sein möchte. Wer dennoch die Hauptfaden
des Lügennetzes kennen lernen will, findet alles nötige im zweiten Bande von
Billaus "Geheimen Geschichten," in dem allerdings die listutation co livrs Ah
Ur. LöÄueussruz vom Jahre 1858 nicht mitberücksichtigt worden ist. Übrigens
darf hier beiläufig der an sich jedenfalls charakteristische Umstand erwähnt werden,
daß selbst Butan nicht ganz ungläubig dem für ihn als unaufgeklärtes Rätsel
geltenden Roman gegenübersteht. Freilich, wenn selbst ein Jules Favre dreißig
Jahre lang ein überzeugter Jünger Naundorffs war, so kann man Butan wegen
dieser kritischen Schwäche keinen Vorwurf machen.

Jules Favre erklärte im Jahre 1840 in einer für Gruau und dessen Pro¬
tege angestellten Verleumdungsklage wider einen Pariser Zeitungsredakteur, es
sei ihm zur Überzeugung geworden: 1. daß der angebliche Ncmndorff weder
Preuße noch Pole von Geburt sei ^merkwürdigerweise scheint es der preußischen
Regierung nicht gelungen zu sein, sein Nationale festzustellen!), sondern daß


Grenzboten III. 1884. 66
Das Ende einer weltgeschichtlichen Legende.

setzen, der möge ein seltenes Buch in die Hand nehmen, um die Schliche kennen
zu lernen, mit denen Ncmndorff und sein getreuer Eckart, der Brüsseler Advokat
Gruau de la Barre, die Gläubigen ins Garn gelockt haben. Dasselbe führt
den Titel: IntriZ'nos clovoilves, ein livuis XVII. äeruier roi 16Zitiin«z as ^riuios.
liottsräÄin, 1848. Schon zuvor hatte Nauudorff selbst in einem Buche:
Il,soll<zroli68 sur los Wtorwns8 an og-uxlriir von London aus, wo er sich unter
dem angemaßten Titel eines Herzogs der Normandie aufhielt, die Welt von der
Rechtmäßigkeit seiner prinzlichen Herkunft zu überzeugen versucht. Indessen
enthält das erstgenannte, vier Bände starke Werk doch das Hauptmaterial, das
mit einer Emsigkeit, einem Eifer und einer Ausdauer zusammengetragen, mit
einer Kraft der Überzeugung und mit einem Reichtum an Phantasie verwertet
worden ist, welcher seinen Besitzer vielleicht zu einem angesehenen Romanschrift¬
steller gemacht haben würde, wenn dieser es nicht vorgezogen hätte, seine ganze
Kraft auf diese 2300 Seiten einnehmende Danaidenarbeit zu vergeuden, von
deren sittlicher Untadelhaftigkeit er umso überzeugter gewesen zu sein scheint, als es
ihm erst nach dem am 10. August 1845 erfolgten Tode seines Klienten und nach
völliger Abweisung desselben durch das Pariser Tribunal, vor dem dieser bereits
im Jahre 1842, wenn wir nicht irren, im Beistande von Jules Favre seine
Erbausprüche geltend zu machen bemüht war, vergönnt war, jene umfängliche
Verteidigungsschrift zu veröffentlichen, der im Jahre 1852 noch ein Nachtrag
zur Widerlegung des vernichtenden Beauchesneschen Buches folgte.

Es würde den Leser in ein wahres Chaos von abenteuerlich-romanhaften
Zufälligkeiten und Schicksalen von seltener Verkettung führen, wenn der Versuch
unternommen werden sollte, die wundersame Lebensgeschichte Naundorffs selbst
auch nur in den Hauptzügen wiederzugeben. Außerdem dürfte stark zu bezweifeln
sein, daß diese Wiedergabe jetzt noch, nachdem das Märchen von der Flucht
des Prinzen und der Unterschiebung eines stummen Kindes jeglichen Haltes
beraubt worden ist, von Interesse sein möchte. Wer dennoch die Hauptfaden
des Lügennetzes kennen lernen will, findet alles nötige im zweiten Bande von
Billaus „Geheimen Geschichten," in dem allerdings die listutation co livrs Ah
Ur. LöÄueussruz vom Jahre 1858 nicht mitberücksichtigt worden ist. Übrigens
darf hier beiläufig der an sich jedenfalls charakteristische Umstand erwähnt werden,
daß selbst Butan nicht ganz ungläubig dem für ihn als unaufgeklärtes Rätsel
geltenden Roman gegenübersteht. Freilich, wenn selbst ein Jules Favre dreißig
Jahre lang ein überzeugter Jünger Naundorffs war, so kann man Butan wegen
dieser kritischen Schwäche keinen Vorwurf machen.

Jules Favre erklärte im Jahre 1840 in einer für Gruau und dessen Pro¬
tege angestellten Verleumdungsklage wider einen Pariser Zeitungsredakteur, es
sei ihm zur Überzeugung geworden: 1. daß der angebliche Ncmndorff weder
Preuße noch Pole von Geburt sei ^merkwürdigerweise scheint es der preußischen
Regierung nicht gelungen zu sein, sein Nationale festzustellen!), sondern daß


Grenzboten III. 1884. 66
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[0529] Das Ende einer weltgeschichtlichen Legende. setzen, der möge ein seltenes Buch in die Hand nehmen, um die Schliche kennen zu lernen, mit denen Ncmndorff und sein getreuer Eckart, der Brüsseler Advokat Gruau de la Barre, die Gläubigen ins Garn gelockt haben. Dasselbe führt den Titel: IntriZ'nos clovoilves, ein livuis XVII. äeruier roi 16Zitiin«z as ^riuios. liottsräÄin, 1848. Schon zuvor hatte Nauudorff selbst in einem Buche: Il,soll<zroli68 sur los Wtorwns8 an og-uxlriir von London aus, wo er sich unter dem angemaßten Titel eines Herzogs der Normandie aufhielt, die Welt von der Rechtmäßigkeit seiner prinzlichen Herkunft zu überzeugen versucht. Indessen enthält das erstgenannte, vier Bände starke Werk doch das Hauptmaterial, das mit einer Emsigkeit, einem Eifer und einer Ausdauer zusammengetragen, mit einer Kraft der Überzeugung und mit einem Reichtum an Phantasie verwertet worden ist, welcher seinen Besitzer vielleicht zu einem angesehenen Romanschrift¬ steller gemacht haben würde, wenn dieser es nicht vorgezogen hätte, seine ganze Kraft auf diese 2300 Seiten einnehmende Danaidenarbeit zu vergeuden, von deren sittlicher Untadelhaftigkeit er umso überzeugter gewesen zu sein scheint, als es ihm erst nach dem am 10. August 1845 erfolgten Tode seines Klienten und nach völliger Abweisung desselben durch das Pariser Tribunal, vor dem dieser bereits im Jahre 1842, wenn wir nicht irren, im Beistande von Jules Favre seine Erbausprüche geltend zu machen bemüht war, vergönnt war, jene umfängliche Verteidigungsschrift zu veröffentlichen, der im Jahre 1852 noch ein Nachtrag zur Widerlegung des vernichtenden Beauchesneschen Buches folgte. Es würde den Leser in ein wahres Chaos von abenteuerlich-romanhaften Zufälligkeiten und Schicksalen von seltener Verkettung führen, wenn der Versuch unternommen werden sollte, die wundersame Lebensgeschichte Naundorffs selbst auch nur in den Hauptzügen wiederzugeben. Außerdem dürfte stark zu bezweifeln sein, daß diese Wiedergabe jetzt noch, nachdem das Märchen von der Flucht des Prinzen und der Unterschiebung eines stummen Kindes jeglichen Haltes beraubt worden ist, von Interesse sein möchte. Wer dennoch die Hauptfaden des Lügennetzes kennen lernen will, findet alles nötige im zweiten Bande von Billaus „Geheimen Geschichten," in dem allerdings die listutation co livrs Ah Ur. LöÄueussruz vom Jahre 1858 nicht mitberücksichtigt worden ist. Übrigens darf hier beiläufig der an sich jedenfalls charakteristische Umstand erwähnt werden, daß selbst Butan nicht ganz ungläubig dem für ihn als unaufgeklärtes Rätsel geltenden Roman gegenübersteht. Freilich, wenn selbst ein Jules Favre dreißig Jahre lang ein überzeugter Jünger Naundorffs war, so kann man Butan wegen dieser kritischen Schwäche keinen Vorwurf machen. Jules Favre erklärte im Jahre 1840 in einer für Gruau und dessen Pro¬ tege angestellten Verleumdungsklage wider einen Pariser Zeitungsredakteur, es sei ihm zur Überzeugung geworden: 1. daß der angebliche Ncmndorff weder Preuße noch Pole von Geburt sei ^merkwürdigerweise scheint es der preußischen Regierung nicht gelungen zu sein, sein Nationale festzustellen!), sondern daß Grenzboten III. 1884. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/529>, abgerufen am 27.06.2024.