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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Ende einer weltgeschichtlichen Tegende.

Da dem Konvent daran lag, den Tod des Prinzen in Gegenwart einer
möglichst großen Anzahl von Zeugen anch noch amtlich und öffentlich feststellen
zu lassen, so wurde" noch sieben vertraueuswerte Delegirte und eine Anzahl
von Offizieren der Nationalgarde nach dem Temple beordnet, in deren Gegen¬
wart ein Beamter, namens Darlot, das Protokoll über die Leichenschau abfaßte,
um es dann, von ihnen unterzeichnet, der Nationalversammlung zu überreichen,
der damit zugleich auch die offizielle Anzeige von dem Tode des Prinzen er¬
stattet wurde. Letztere nahm die Mitteilung mit eisiger Ruhe hin. Nicht
einmal eine vorübergehende Bewegung war zu bemerken. Kein Mitleid mit
dem schrecklichen Geschicke eines Kindes, das mit teuflischer Überlegung durch
Entziehung von Luft, Nahrung und Sauberkeit zu gründe gerichtet worden
war, kein Bedauern für die tragische Katastrophe, die eins der glanzvollsten
Fürstengeschlechter so schwer getroffen hatte! Weit eher mochte heimliche Freude
darüber herrschen, daß die Republik einen Widersacher weniger zählte. Was
man im Volke den Leitern und Machthabern derselben zutraute, bewiesen die
zahlreich umlaufenden Gerüchte, daß der Prinz, von dessen Reichtum man in
weiteren Kreisen Kunde hatte, an einem langsam wirkenden Gifte umgekommen
sei. Um diesen Ausstreuungen den Glauben zu entziehen, hatte der Konvent,
der dieselben kannte, den Befehl einer ärztlichen Untersuchung erteilt und mit
dieser Pflicht vier der ausgezeichnetsten und angesehensten Pariser Ärzte betraut,
die nicht nur als Männer der Wissenschaft, sondern auch als zuverlässige
Charaktere bekannt und geschätzt waren, und von denen überdies auch noch drei
den Dauphin in den Tuilerien gekannt hatten. Es waren dies die Professoren
Pelletan, Lassüs und Jeanroi, von denen die beiden letzter" Ärzte der prinz¬
lichen Herrschaften des königlichen Hofes gewesen waren. Ihnen wurde als
vierter or. Dumangain, dirigirender Arzt des Eiuigkcitskrankenhauscs, hinzu¬
gesellt. Jeanroi wollte die ihm angetragene Ehre ablehnen. Er erklärte den
Mitgliedern des allgemeinen Sicherheitsausschusses, die hierüber zu entscheiden
hatten, daß er, wenn er uur die geringste Spur von Gift finden würde, dieses
zu melden für seine Pflicht halten müßte, und koste es auch sein Leben. Man
antwortete ihm darauf, daß er gerade der rechte Manu sei, wie man ihn
wünsche, und daß man ihm aus diesem Grunde den Vorzug vor allen andern
gegeben habe. Eine Dame von Stande, die mit der Prinzessin Maria Theresia
befreundet war und später über die Revolutionsepvche Memoiren von großer
Zuverlässigkeit veröffentlichte, die Herzogin von Tourzel, bezeugt die Richtigkeit
dieser Thatsache mit der Bemerkung, daß Jeanroi sie ihr selbst erzählt habe.
Die vier Ärzte erschienen am 9. Juni um elf Uhr vormittags im Temple
und machten sich ans Werk. Die Sektion und die Aufnahme des Befundes
waren erst um 4>/z Uhr nachmittags beendet. Bei denjenigen Mitgliedern
der Untersuchungskommission, die, wie Lassüs, aus ihren frühern Beziehungen
zum Hofe den Prinzen Ludwig kannten, waltete auch nicht die Spur eines


Das Ende einer weltgeschichtlichen Tegende.

Da dem Konvent daran lag, den Tod des Prinzen in Gegenwart einer
möglichst großen Anzahl von Zeugen anch noch amtlich und öffentlich feststellen
zu lassen, so wurde» noch sieben vertraueuswerte Delegirte und eine Anzahl
von Offizieren der Nationalgarde nach dem Temple beordnet, in deren Gegen¬
wart ein Beamter, namens Darlot, das Protokoll über die Leichenschau abfaßte,
um es dann, von ihnen unterzeichnet, der Nationalversammlung zu überreichen,
der damit zugleich auch die offizielle Anzeige von dem Tode des Prinzen er¬
stattet wurde. Letztere nahm die Mitteilung mit eisiger Ruhe hin. Nicht
einmal eine vorübergehende Bewegung war zu bemerken. Kein Mitleid mit
dem schrecklichen Geschicke eines Kindes, das mit teuflischer Überlegung durch
Entziehung von Luft, Nahrung und Sauberkeit zu gründe gerichtet worden
war, kein Bedauern für die tragische Katastrophe, die eins der glanzvollsten
Fürstengeschlechter so schwer getroffen hatte! Weit eher mochte heimliche Freude
darüber herrschen, daß die Republik einen Widersacher weniger zählte. Was
man im Volke den Leitern und Machthabern derselben zutraute, bewiesen die
zahlreich umlaufenden Gerüchte, daß der Prinz, von dessen Reichtum man in
weiteren Kreisen Kunde hatte, an einem langsam wirkenden Gifte umgekommen
sei. Um diesen Ausstreuungen den Glauben zu entziehen, hatte der Konvent,
der dieselben kannte, den Befehl einer ärztlichen Untersuchung erteilt und mit
dieser Pflicht vier der ausgezeichnetsten und angesehensten Pariser Ärzte betraut,
die nicht nur als Männer der Wissenschaft, sondern auch als zuverlässige
Charaktere bekannt und geschätzt waren, und von denen überdies auch noch drei
den Dauphin in den Tuilerien gekannt hatten. Es waren dies die Professoren
Pelletan, Lassüs und Jeanroi, von denen die beiden letzter» Ärzte der prinz¬
lichen Herrschaften des königlichen Hofes gewesen waren. Ihnen wurde als
vierter or. Dumangain, dirigirender Arzt des Eiuigkcitskrankenhauscs, hinzu¬
gesellt. Jeanroi wollte die ihm angetragene Ehre ablehnen. Er erklärte den
Mitgliedern des allgemeinen Sicherheitsausschusses, die hierüber zu entscheiden
hatten, daß er, wenn er uur die geringste Spur von Gift finden würde, dieses
zu melden für seine Pflicht halten müßte, und koste es auch sein Leben. Man
antwortete ihm darauf, daß er gerade der rechte Manu sei, wie man ihn
wünsche, und daß man ihm aus diesem Grunde den Vorzug vor allen andern
gegeben habe. Eine Dame von Stande, die mit der Prinzessin Maria Theresia
befreundet war und später über die Revolutionsepvche Memoiren von großer
Zuverlässigkeit veröffentlichte, die Herzogin von Tourzel, bezeugt die Richtigkeit
dieser Thatsache mit der Bemerkung, daß Jeanroi sie ihr selbst erzählt habe.
Die vier Ärzte erschienen am 9. Juni um elf Uhr vormittags im Temple
und machten sich ans Werk. Die Sektion und die Aufnahme des Befundes
waren erst um 4>/z Uhr nachmittags beendet. Bei denjenigen Mitgliedern
der Untersuchungskommission, die, wie Lassüs, aus ihren frühern Beziehungen
zum Hofe den Prinzen Ludwig kannten, waltete auch nicht die Spur eines


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[0525] Das Ende einer weltgeschichtlichen Tegende. Da dem Konvent daran lag, den Tod des Prinzen in Gegenwart einer möglichst großen Anzahl von Zeugen anch noch amtlich und öffentlich feststellen zu lassen, so wurde» noch sieben vertraueuswerte Delegirte und eine Anzahl von Offizieren der Nationalgarde nach dem Temple beordnet, in deren Gegen¬ wart ein Beamter, namens Darlot, das Protokoll über die Leichenschau abfaßte, um es dann, von ihnen unterzeichnet, der Nationalversammlung zu überreichen, der damit zugleich auch die offizielle Anzeige von dem Tode des Prinzen er¬ stattet wurde. Letztere nahm die Mitteilung mit eisiger Ruhe hin. Nicht einmal eine vorübergehende Bewegung war zu bemerken. Kein Mitleid mit dem schrecklichen Geschicke eines Kindes, das mit teuflischer Überlegung durch Entziehung von Luft, Nahrung und Sauberkeit zu gründe gerichtet worden war, kein Bedauern für die tragische Katastrophe, die eins der glanzvollsten Fürstengeschlechter so schwer getroffen hatte! Weit eher mochte heimliche Freude darüber herrschen, daß die Republik einen Widersacher weniger zählte. Was man im Volke den Leitern und Machthabern derselben zutraute, bewiesen die zahlreich umlaufenden Gerüchte, daß der Prinz, von dessen Reichtum man in weiteren Kreisen Kunde hatte, an einem langsam wirkenden Gifte umgekommen sei. Um diesen Ausstreuungen den Glauben zu entziehen, hatte der Konvent, der dieselben kannte, den Befehl einer ärztlichen Untersuchung erteilt und mit dieser Pflicht vier der ausgezeichnetsten und angesehensten Pariser Ärzte betraut, die nicht nur als Männer der Wissenschaft, sondern auch als zuverlässige Charaktere bekannt und geschätzt waren, und von denen überdies auch noch drei den Dauphin in den Tuilerien gekannt hatten. Es waren dies die Professoren Pelletan, Lassüs und Jeanroi, von denen die beiden letzter» Ärzte der prinz¬ lichen Herrschaften des königlichen Hofes gewesen waren. Ihnen wurde als vierter or. Dumangain, dirigirender Arzt des Eiuigkcitskrankenhauscs, hinzu¬ gesellt. Jeanroi wollte die ihm angetragene Ehre ablehnen. Er erklärte den Mitgliedern des allgemeinen Sicherheitsausschusses, die hierüber zu entscheiden hatten, daß er, wenn er uur die geringste Spur von Gift finden würde, dieses zu melden für seine Pflicht halten müßte, und koste es auch sein Leben. Man antwortete ihm darauf, daß er gerade der rechte Manu sei, wie man ihn wünsche, und daß man ihm aus diesem Grunde den Vorzug vor allen andern gegeben habe. Eine Dame von Stande, die mit der Prinzessin Maria Theresia befreundet war und später über die Revolutionsepvche Memoiren von großer Zuverlässigkeit veröffentlichte, die Herzogin von Tourzel, bezeugt die Richtigkeit dieser Thatsache mit der Bemerkung, daß Jeanroi sie ihr selbst erzählt habe. Die vier Ärzte erschienen am 9. Juni um elf Uhr vormittags im Temple und machten sich ans Werk. Die Sektion und die Aufnahme des Befundes waren erst um 4>/z Uhr nachmittags beendet. Bei denjenigen Mitgliedern der Untersuchungskommission, die, wie Lassüs, aus ihren frühern Beziehungen zum Hofe den Prinzen Ludwig kannten, waltete auch nicht die Spur eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/525>, abgerufen am 27.09.2024.