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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

Regierung Englands aber war jetzt in den Händen der Tories, die im Ein¬
verständnisse mit dem Prinzregenten sich zu Schirmvögten des alten Staatsrechts
und Bekämpfern der Ideen berufen fühlten, welche die französische Revolution
in Europa ausgebreitet hatte. Als solche hatten sie mit Napoleon Krieg ge¬
führt, und als solche hauptsächlich traten sie jetzt Alexanders Plane entgegen.
Der Preis des Sieges sollte nach ihrer Meinung, abgesehen von dem Gewinn
einer unbedingten Herrschaft Englands zur See und in den Kolonien, eine
möglichst gründliche Wiederherstellung der frühern staatsrechtlichen Verhältnisse
sein, die den Interessen der Aristokratie entsprach. Neben den liberalen Ab¬
sichten Alexanders mit Polen fürchteten sie aber zugleich die Vergrößerung der
Macht Rußlands und dessen Vorrücken gegen die Mitte Europas, das mit
dessen Ansprüchen auf bedeutende Teile des eroberten polnischen Gebietes in
Aussicht stand. So war denn das Kabinet von Se. James entschlossen, eine
Restauration Polens mit einer parlamentarischen Verfassung zu hintertreiben
und eine Verteilung der Landstriche, welche bisher das Herzogtum Warschau
gebildet hatten, unter die drei angrenzenden Mächte zu fordern. Eine Ver¬
ständigung mit Preußen und Österreich auf diesem Wege schien nicht schwer,
aber bald zeigte sich, daß die Entscheidung über Polen unlösbar mit der über
Sachsen verknüpft war. Lord Castlereagh vertrat anfangs, zunächst in einer
Denkschrift, dann in amtlicher Form die Vereinigung dieses Königreichs mit
Preußen als erlaubt und notwendig. Doch unterließ er nicht, sogleich anzu¬
deuten, an welche Bedingungen Englands Zustimmung geknüpft sei, indem er
hinzufügte, solle die Erwerbung Sachsens als Entschädigung für das Fallen¬
lassen der Ansprüche Preußens im Osten angesehen werden, so werde England
einer solchen Ordnung der Dinge nicht beistimmen. "Diplomaten, die den
Wiener Kongreß mit erlebt haben, bezeugen, daß Castlereagh sich mündlich noch
viel bestimmter gegen Hardenberg erklärt und der Krone Preußen die sächsischen
Lande ausdrücklich zugesagt habe, jedoch unter der Bedingung, daß Preußen
sich gemeinschaftlich mit England den Forderungen Rußlands in Polen wider¬
setze und namentlich dem Kaiser Alexander nicht gestatte, die Grenzen seines
Reiches weiter als bis an die Weichsel auszudehnen."*) Hardenberg verfolgte
wörtlich die so angedeutete" Bahnen, aber zuletzt ließ König Friedrich Wilhelm
sich von Alexander sür seine Absichten gewinnen, und der Minister mußte sich
unterwerfen. Castlereagh aber geriet jetzt, unwissend, wie er in betreff der fest¬
ländischen Verhältnisse war, in das Netz Talleyrands und Metternichs, und statt,
wie er glaubte, zu leiten, ging er fortan an deren Gängelbande. Als Österreichs
Eifersucht auf Preußen in Fluß kam, vollzog sich bei der englischen Diplomatie
rasch der Umschwung, der England mit diesem und Frankreich zusammenführte.



*) Vergl. Geschichte Rußlands und der europäischen Politik von Th. v, Bernhardt,
1. Teil, S- 47.
Englische Politik und deutsche Interessen.

Regierung Englands aber war jetzt in den Händen der Tories, die im Ein¬
verständnisse mit dem Prinzregenten sich zu Schirmvögten des alten Staatsrechts
und Bekämpfern der Ideen berufen fühlten, welche die französische Revolution
in Europa ausgebreitet hatte. Als solche hatten sie mit Napoleon Krieg ge¬
führt, und als solche hauptsächlich traten sie jetzt Alexanders Plane entgegen.
Der Preis des Sieges sollte nach ihrer Meinung, abgesehen von dem Gewinn
einer unbedingten Herrschaft Englands zur See und in den Kolonien, eine
möglichst gründliche Wiederherstellung der frühern staatsrechtlichen Verhältnisse
sein, die den Interessen der Aristokratie entsprach. Neben den liberalen Ab¬
sichten Alexanders mit Polen fürchteten sie aber zugleich die Vergrößerung der
Macht Rußlands und dessen Vorrücken gegen die Mitte Europas, das mit
dessen Ansprüchen auf bedeutende Teile des eroberten polnischen Gebietes in
Aussicht stand. So war denn das Kabinet von Se. James entschlossen, eine
Restauration Polens mit einer parlamentarischen Verfassung zu hintertreiben
und eine Verteilung der Landstriche, welche bisher das Herzogtum Warschau
gebildet hatten, unter die drei angrenzenden Mächte zu fordern. Eine Ver¬
ständigung mit Preußen und Österreich auf diesem Wege schien nicht schwer,
aber bald zeigte sich, daß die Entscheidung über Polen unlösbar mit der über
Sachsen verknüpft war. Lord Castlereagh vertrat anfangs, zunächst in einer
Denkschrift, dann in amtlicher Form die Vereinigung dieses Königreichs mit
Preußen als erlaubt und notwendig. Doch unterließ er nicht, sogleich anzu¬
deuten, an welche Bedingungen Englands Zustimmung geknüpft sei, indem er
hinzufügte, solle die Erwerbung Sachsens als Entschädigung für das Fallen¬
lassen der Ansprüche Preußens im Osten angesehen werden, so werde England
einer solchen Ordnung der Dinge nicht beistimmen. „Diplomaten, die den
Wiener Kongreß mit erlebt haben, bezeugen, daß Castlereagh sich mündlich noch
viel bestimmter gegen Hardenberg erklärt und der Krone Preußen die sächsischen
Lande ausdrücklich zugesagt habe, jedoch unter der Bedingung, daß Preußen
sich gemeinschaftlich mit England den Forderungen Rußlands in Polen wider¬
setze und namentlich dem Kaiser Alexander nicht gestatte, die Grenzen seines
Reiches weiter als bis an die Weichsel auszudehnen."*) Hardenberg verfolgte
wörtlich die so angedeutete» Bahnen, aber zuletzt ließ König Friedrich Wilhelm
sich von Alexander sür seine Absichten gewinnen, und der Minister mußte sich
unterwerfen. Castlereagh aber geriet jetzt, unwissend, wie er in betreff der fest¬
ländischen Verhältnisse war, in das Netz Talleyrands und Metternichs, und statt,
wie er glaubte, zu leiten, ging er fortan an deren Gängelbande. Als Österreichs
Eifersucht auf Preußen in Fluß kam, vollzog sich bei der englischen Diplomatie
rasch der Umschwung, der England mit diesem und Frankreich zusammenführte.



*) Vergl. Geschichte Rußlands und der europäischen Politik von Th. v, Bernhardt,
1. Teil, S- 47.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/500>, abgerufen am 27.06.2024.