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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Schritte geschahen, um der Ernestine Wegner, und nicht etwa nur in der Haupt-,
sondern auch in allen möglichen Provinzial- und Landstädten, ein Denkmal zu
errichten. Damit vergleiche man die sang- und klanglose Art, mit welcher so
mancher unsrer ruhmgekrönten Helden aus den jüngstverflossenen Kriegen ins
Grab sinkt!

Aus welchem in der Sache liegenden reellen Grunde ergießt sich denn nicht
ein ähnlicher Strom fortwährender öffentlicher Beachtung wie auf die Schau¬
spieler auf Maler, Bildhauer, Architekten, Musiker -- Dichter? Sind alle
diese weniger Künstler? Oder bedürfen sie der öffentlichen Anerkennung weniger?
Oder ist ihre Kunst weniger wichtig und bedeutsam? Skurriler Weise aber
giebt es allerdings einen Stand von "Künstlern," der in ganz ähnlicher Weise
wie der Schauspielerstand gewürdigt und mit öffentlicher Aufmerksamkeit über¬
schüttet wird. Das sind die Zauberkünstler, die Luftschiffer, die Kunstreiter,
ferner die Gymnastiker vnIZo Seiltänzer und Akrobaten, der Schlangenmensch,
der Kanonenkönig e wtri c-nardi. Die Schlußfolgerung daraus überlassen wir,
gerade weil sie eine etwas zusammengesetzte und mehr zu empfindende als mit
Worten wiederzugebende sein muß, unsern Lesern.

Noch ein kurzes Schlußwort. Wenn zumal die fortschrittliche Presse es
ist, welche sich so ungeheuer kunst-, d. h. theaterfreundlich geberdet, so hat das
seinen guten Grund; wir haben mehr als einmal das Wort gehört und gelesen:
"Das Theater ist unsre Kirche." Das Publikum muß gewöhnt werden, im
Theater etwas ungeheuer Wichtiges zu erblicken, und da dieses gerade seiner
Heruntergekommenheit wegen zu sehr großem Teile im Dienste der liberalen
Tagesströmungen steht, so macht sich dieses Interesse bezahlt. Wenn aber gerade
die Personen gewisser Schauspieler und Schauspielerinnen, und zwar zunächst
solcher, deren Namen unwillkürlich zu dem Ausrufe veranlassen: "Dieser Name
sagt genug wohl schon," so ungeheuer fetirt werden -- nun, so beweist dies
zweierlei: erstens die Gewalt des Geistes der Kameraderie, welcher einen großen
Teil unsrer Presse und einen ansehnlichen Teil unsers Schauspielerstandes um¬
schlingt, und zweitens das Bewußtsein, welches dieser Teil der Presse von seiner
besondern Begabung hat, Geschäft und Kunstsinn miteinander zu verbinden.




Schritte geschahen, um der Ernestine Wegner, und nicht etwa nur in der Haupt-,
sondern auch in allen möglichen Provinzial- und Landstädten, ein Denkmal zu
errichten. Damit vergleiche man die sang- und klanglose Art, mit welcher so
mancher unsrer ruhmgekrönten Helden aus den jüngstverflossenen Kriegen ins
Grab sinkt!

Aus welchem in der Sache liegenden reellen Grunde ergießt sich denn nicht
ein ähnlicher Strom fortwährender öffentlicher Beachtung wie auf die Schau¬
spieler auf Maler, Bildhauer, Architekten, Musiker — Dichter? Sind alle
diese weniger Künstler? Oder bedürfen sie der öffentlichen Anerkennung weniger?
Oder ist ihre Kunst weniger wichtig und bedeutsam? Skurriler Weise aber
giebt es allerdings einen Stand von „Künstlern," der in ganz ähnlicher Weise
wie der Schauspielerstand gewürdigt und mit öffentlicher Aufmerksamkeit über¬
schüttet wird. Das sind die Zauberkünstler, die Luftschiffer, die Kunstreiter,
ferner die Gymnastiker vnIZo Seiltänzer und Akrobaten, der Schlangenmensch,
der Kanonenkönig e wtri c-nardi. Die Schlußfolgerung daraus überlassen wir,
gerade weil sie eine etwas zusammengesetzte und mehr zu empfindende als mit
Worten wiederzugebende sein muß, unsern Lesern.

Noch ein kurzes Schlußwort. Wenn zumal die fortschrittliche Presse es
ist, welche sich so ungeheuer kunst-, d. h. theaterfreundlich geberdet, so hat das
seinen guten Grund; wir haben mehr als einmal das Wort gehört und gelesen:
„Das Theater ist unsre Kirche." Das Publikum muß gewöhnt werden, im
Theater etwas ungeheuer Wichtiges zu erblicken, und da dieses gerade seiner
Heruntergekommenheit wegen zu sehr großem Teile im Dienste der liberalen
Tagesströmungen steht, so macht sich dieses Interesse bezahlt. Wenn aber gerade
die Personen gewisser Schauspieler und Schauspielerinnen, und zwar zunächst
solcher, deren Namen unwillkürlich zu dem Ausrufe veranlassen: „Dieser Name
sagt genug wohl schon," so ungeheuer fetirt werden — nun, so beweist dies
zweierlei: erstens die Gewalt des Geistes der Kameraderie, welcher einen großen
Teil unsrer Presse und einen ansehnlichen Teil unsers Schauspielerstandes um¬
schlingt, und zweitens das Bewußtsein, welches dieser Teil der Presse von seiner
besondern Begabung hat, Geschäft und Kunstsinn miteinander zu verbinden.




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[0435] Schritte geschahen, um der Ernestine Wegner, und nicht etwa nur in der Haupt-, sondern auch in allen möglichen Provinzial- und Landstädten, ein Denkmal zu errichten. Damit vergleiche man die sang- und klanglose Art, mit welcher so mancher unsrer ruhmgekrönten Helden aus den jüngstverflossenen Kriegen ins Grab sinkt! Aus welchem in der Sache liegenden reellen Grunde ergießt sich denn nicht ein ähnlicher Strom fortwährender öffentlicher Beachtung wie auf die Schau¬ spieler auf Maler, Bildhauer, Architekten, Musiker — Dichter? Sind alle diese weniger Künstler? Oder bedürfen sie der öffentlichen Anerkennung weniger? Oder ist ihre Kunst weniger wichtig und bedeutsam? Skurriler Weise aber giebt es allerdings einen Stand von „Künstlern," der in ganz ähnlicher Weise wie der Schauspielerstand gewürdigt und mit öffentlicher Aufmerksamkeit über¬ schüttet wird. Das sind die Zauberkünstler, die Luftschiffer, die Kunstreiter, ferner die Gymnastiker vnIZo Seiltänzer und Akrobaten, der Schlangenmensch, der Kanonenkönig e wtri c-nardi. Die Schlußfolgerung daraus überlassen wir, gerade weil sie eine etwas zusammengesetzte und mehr zu empfindende als mit Worten wiederzugebende sein muß, unsern Lesern. Noch ein kurzes Schlußwort. Wenn zumal die fortschrittliche Presse es ist, welche sich so ungeheuer kunst-, d. h. theaterfreundlich geberdet, so hat das seinen guten Grund; wir haben mehr als einmal das Wort gehört und gelesen: „Das Theater ist unsre Kirche." Das Publikum muß gewöhnt werden, im Theater etwas ungeheuer Wichtiges zu erblicken, und da dieses gerade seiner Heruntergekommenheit wegen zu sehr großem Teile im Dienste der liberalen Tagesströmungen steht, so macht sich dieses Interesse bezahlt. Wenn aber gerade die Personen gewisser Schauspieler und Schauspielerinnen, und zwar zunächst solcher, deren Namen unwillkürlich zu dem Ausrufe veranlassen: „Dieser Name sagt genug wohl schon," so ungeheuer fetirt werden — nun, so beweist dies zweierlei: erstens die Gewalt des Geistes der Kameraderie, welcher einen großen Teil unsrer Presse und einen ansehnlichen Teil unsers Schauspielerstandes um¬ schlingt, und zweitens das Bewußtsein, welches dieser Teil der Presse von seiner besondern Begabung hat, Geschäft und Kunstsinn miteinander zu verbinden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/435>, abgerufen am 22.06.2024.