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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Musikalische Genüsse.

zerte. Die Zahl der Aufführungen bei den Fcstversammlnngen ging nie unter
vier Konzerte herab, stieg jedoch gelegentlich ans 7 (Leipzig, Altenburg), 9 (Er¬
furt und Weimar) und 12 (Hannover). Dieser Umstand setzt ein ungemeines
Mnsikbcdürfnis, eine enorme Nervenkraft und eine bewundernswürdige Ausdauer
bei den Festteilnehmern, Zuhörern und Mitwirkenden, voraus. Auffallenderweise
blieb der "Allgemeine" Tonkünstlerverein bis jetzt eine vorzugsweise norddeutsche
Verbindung. Nur längs der Rheingrenze bis hinab nach Zürich vermochte er
Boden zu fassen. Sonst blieben Baden, Würtemberg, Baiern und Osterreich
bis jetzt von seiner Wirksamkeit verschont. Ich werde versuchen, die Gründe für
diese auffallende Erscheinung am Schlusse dieses Aufsatzes darzulegen.

Das durch die heiligsten Erinnerungen an unsre größten Dichter geweihte
Hoftheater in Weimar ist äußerlich ein schlicht-unscheinbarer Bau und bietet
im Innern wenig Raum. Die Bühne ist beschränkt, die Ausstattung verzichtet
auf jeglichen Schmuck. Indes sind Oper und Schauspiel, wenn sich auch nur
einige hervorragende Künstler unter dem Personal befinden, im ganzen gut be¬
setzt, das von Ed. Lassen geleitete, nicht sehr große Orchester zählt vorzügliche
Mitglieder und ist trefflich eingespielt. Die wackern Musiker hatten heiße Tage
zwischen dem 23. und 28. Mai zu bestehen, und es ist zu verwundern, daß aus
diesem gemeinsamen Feldzuge nur ein Invalide (MAolro xriino) zu verzeichnen
war. Die Nachwirkung bei andern wird sich aber wohl noch zeigen. Das
Orchester löste übrigens seine schwere Aufgabe, man darf sagen seine Niesen-
aufgabe, mit bewundernswürdigem Heroismus.

Man begegnet seit einer Reihe von Jahren auf dem Gebiete dramatischer
Darstellungen einer seltsamen Erscheinung. Nicht mehr in Akte teilen Dichter
und Tonsetzer ihre Werke, sondern in Tableaus; sie wollen dadurch zeigen, daß
es ihnen nicht mehr um eine logische, künstlerisch sich steigernde Entwicklung der
Handlung, sondern um glänzende, farbenreiche, verblüffende, den Beifall heraus¬
fordernde Effekte an den Aktschlüsse" zu thun ist, der schaulustigen Menge
wird durch diese Einrichtung eine neue Lockspeise geboten; aber auch die Auf¬
merksamkeit vom Wesen der Sache abgelenkt und das Kunstwerk als solches
beeinträchtigt. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Nur in Fällen, wo
wirkliche Ausstattungs- und Spektakelstücke sich dieses Reizmittels bedienen,
vermag es momentane Wirkung zu thun. Bei allen mit Tableaus schließenden
Opern jedoch, wenn sie sonst poetisch und musikalisch unbedeutend sind, geht
das Publikum nur selten lange auf den Leim.

Liszt ist ein von den Epigonen in seinen künstlerischen Vorzügen nicht
erreichter, in seinen virtuosen Übertreibungen jedoch vielfach von ihnen karikirter
und überbotener Klaviermeister; er ist aber zugleich, und darin vermögen es die
ihn nachäffenden Klavierhelden ihm ebenfalls nicht gleich zu thun, ein hochgebildeter,
witziger und geistvoller Mann und ein großdenkender und uneigennütziger
Charakter, nicht bloß seinen Schülern gegenüber. Er hat zahlreiche Beweise


Musikalische Genüsse.

zerte. Die Zahl der Aufführungen bei den Fcstversammlnngen ging nie unter
vier Konzerte herab, stieg jedoch gelegentlich ans 7 (Leipzig, Altenburg), 9 (Er¬
furt und Weimar) und 12 (Hannover). Dieser Umstand setzt ein ungemeines
Mnsikbcdürfnis, eine enorme Nervenkraft und eine bewundernswürdige Ausdauer
bei den Festteilnehmern, Zuhörern und Mitwirkenden, voraus. Auffallenderweise
blieb der „Allgemeine" Tonkünstlerverein bis jetzt eine vorzugsweise norddeutsche
Verbindung. Nur längs der Rheingrenze bis hinab nach Zürich vermochte er
Boden zu fassen. Sonst blieben Baden, Würtemberg, Baiern und Osterreich
bis jetzt von seiner Wirksamkeit verschont. Ich werde versuchen, die Gründe für
diese auffallende Erscheinung am Schlusse dieses Aufsatzes darzulegen.

Das durch die heiligsten Erinnerungen an unsre größten Dichter geweihte
Hoftheater in Weimar ist äußerlich ein schlicht-unscheinbarer Bau und bietet
im Innern wenig Raum. Die Bühne ist beschränkt, die Ausstattung verzichtet
auf jeglichen Schmuck. Indes sind Oper und Schauspiel, wenn sich auch nur
einige hervorragende Künstler unter dem Personal befinden, im ganzen gut be¬
setzt, das von Ed. Lassen geleitete, nicht sehr große Orchester zählt vorzügliche
Mitglieder und ist trefflich eingespielt. Die wackern Musiker hatten heiße Tage
zwischen dem 23. und 28. Mai zu bestehen, und es ist zu verwundern, daß aus
diesem gemeinsamen Feldzuge nur ein Invalide (MAolro xriino) zu verzeichnen
war. Die Nachwirkung bei andern wird sich aber wohl noch zeigen. Das
Orchester löste übrigens seine schwere Aufgabe, man darf sagen seine Niesen-
aufgabe, mit bewundernswürdigem Heroismus.

Man begegnet seit einer Reihe von Jahren auf dem Gebiete dramatischer
Darstellungen einer seltsamen Erscheinung. Nicht mehr in Akte teilen Dichter
und Tonsetzer ihre Werke, sondern in Tableaus; sie wollen dadurch zeigen, daß
es ihnen nicht mehr um eine logische, künstlerisch sich steigernde Entwicklung der
Handlung, sondern um glänzende, farbenreiche, verblüffende, den Beifall heraus¬
fordernde Effekte an den Aktschlüsse» zu thun ist, der schaulustigen Menge
wird durch diese Einrichtung eine neue Lockspeise geboten; aber auch die Auf¬
merksamkeit vom Wesen der Sache abgelenkt und das Kunstwerk als solches
beeinträchtigt. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Nur in Fällen, wo
wirkliche Ausstattungs- und Spektakelstücke sich dieses Reizmittels bedienen,
vermag es momentane Wirkung zu thun. Bei allen mit Tableaus schließenden
Opern jedoch, wenn sie sonst poetisch und musikalisch unbedeutend sind, geht
das Publikum nur selten lange auf den Leim.

Liszt ist ein von den Epigonen in seinen künstlerischen Vorzügen nicht
erreichter, in seinen virtuosen Übertreibungen jedoch vielfach von ihnen karikirter
und überbotener Klaviermeister; er ist aber zugleich, und darin vermögen es die
ihn nachäffenden Klavierhelden ihm ebenfalls nicht gleich zu thun, ein hochgebildeter,
witziger und geistvoller Mann und ein großdenkender und uneigennütziger
Charakter, nicht bloß seinen Schülern gegenüber. Er hat zahlreiche Beweise


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[0038] Musikalische Genüsse. zerte. Die Zahl der Aufführungen bei den Fcstversammlnngen ging nie unter vier Konzerte herab, stieg jedoch gelegentlich ans 7 (Leipzig, Altenburg), 9 (Er¬ furt und Weimar) und 12 (Hannover). Dieser Umstand setzt ein ungemeines Mnsikbcdürfnis, eine enorme Nervenkraft und eine bewundernswürdige Ausdauer bei den Festteilnehmern, Zuhörern und Mitwirkenden, voraus. Auffallenderweise blieb der „Allgemeine" Tonkünstlerverein bis jetzt eine vorzugsweise norddeutsche Verbindung. Nur längs der Rheingrenze bis hinab nach Zürich vermochte er Boden zu fassen. Sonst blieben Baden, Würtemberg, Baiern und Osterreich bis jetzt von seiner Wirksamkeit verschont. Ich werde versuchen, die Gründe für diese auffallende Erscheinung am Schlusse dieses Aufsatzes darzulegen. Das durch die heiligsten Erinnerungen an unsre größten Dichter geweihte Hoftheater in Weimar ist äußerlich ein schlicht-unscheinbarer Bau und bietet im Innern wenig Raum. Die Bühne ist beschränkt, die Ausstattung verzichtet auf jeglichen Schmuck. Indes sind Oper und Schauspiel, wenn sich auch nur einige hervorragende Künstler unter dem Personal befinden, im ganzen gut be¬ setzt, das von Ed. Lassen geleitete, nicht sehr große Orchester zählt vorzügliche Mitglieder und ist trefflich eingespielt. Die wackern Musiker hatten heiße Tage zwischen dem 23. und 28. Mai zu bestehen, und es ist zu verwundern, daß aus diesem gemeinsamen Feldzuge nur ein Invalide (MAolro xriino) zu verzeichnen war. Die Nachwirkung bei andern wird sich aber wohl noch zeigen. Das Orchester löste übrigens seine schwere Aufgabe, man darf sagen seine Niesen- aufgabe, mit bewundernswürdigem Heroismus. Man begegnet seit einer Reihe von Jahren auf dem Gebiete dramatischer Darstellungen einer seltsamen Erscheinung. Nicht mehr in Akte teilen Dichter und Tonsetzer ihre Werke, sondern in Tableaus; sie wollen dadurch zeigen, daß es ihnen nicht mehr um eine logische, künstlerisch sich steigernde Entwicklung der Handlung, sondern um glänzende, farbenreiche, verblüffende, den Beifall heraus¬ fordernde Effekte an den Aktschlüsse» zu thun ist, der schaulustigen Menge wird durch diese Einrichtung eine neue Lockspeise geboten; aber auch die Auf¬ merksamkeit vom Wesen der Sache abgelenkt und das Kunstwerk als solches beeinträchtigt. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Nur in Fällen, wo wirkliche Ausstattungs- und Spektakelstücke sich dieses Reizmittels bedienen, vermag es momentane Wirkung zu thun. Bei allen mit Tableaus schließenden Opern jedoch, wenn sie sonst poetisch und musikalisch unbedeutend sind, geht das Publikum nur selten lange auf den Leim. Liszt ist ein von den Epigonen in seinen künstlerischen Vorzügen nicht erreichter, in seinen virtuosen Übertreibungen jedoch vielfach von ihnen karikirter und überbotener Klaviermeister; er ist aber zugleich, und darin vermögen es die ihn nachäffenden Klavierhelden ihm ebenfalls nicht gleich zu thun, ein hochgebildeter, witziger und geistvoller Mann und ein großdenkender und uneigennütziger Charakter, nicht bloß seinen Schülern gegenüber. Er hat zahlreiche Beweise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/38>, abgerufen am 21.06.2024.