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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Musikalische Genüsse,

ein wissenschaftlicher Katalog derselben angefertigt würde. Im übrigen ist allen
kleineren schwäbischen Behörden ans Herz zu legen, was der Ulmer Bürger
Martin Neubronner in seinem Testamente aussprach, als er den Zeitblomschen
Altar in die Blaubeurer Stadtkirche stiftete. Er bestimmte, daß "die Herrn
zu Blawbenren sollche Taffel von disem unnscrem gestiffteten Allmuosen zinnß
geldt jedesmahls, so offt es die Nothdurfft erfordert, wieder ernewern, machen
und ausbessern, auch selbige immer und bestendiglich in iren Wesen richtig
crhalldten lassen sollen." Wenn überall nach dieser Bestimmung verfahren
wird, werden die Kunstwerke wohl geborgen sein. Man wird nicht nötig haben,
sie in die Museen zu übertragen, und die kleinen schwäbischen Städte werden
noch in späten Jahrhunderten von jedem aufgesucht werden, der sich einen Be¬
griff von dem Glanz, der Größe und der Gediegenheit unsrer altdeutschen Kunst
bilden will.




Musikalische Genüsse.

cchrelang hatte mich der Wunsch erfüllt, deine sonnigen Halden,
deine grünen Höhen und trauten Thäler und deine anheimelnden
kleinen, hinter den herrlichsten Gärten sich bergenden Residenzen
wiederzusehen, du liebes, an Naturreizen und Kunstschätzen und
den anregendsten Eindrücken so reiches Thüringerland! Endlich
hatte der diesjährige wunderschöne Mai mich zu einem raschen Entschlüsse be¬
stimmt, und wieder schwelgte ich, von fernen Erinnerungen umschwebt, in den
schönen Umgebungen Coburgs, Meiningens, Gothas und in den einsamen Alleen
und halbverwildcrten Gärten so mancher in Märchenschlaf versunkenen ehemaligen
Herrschersitze, sah wonnetrunken von der Höhe der ehrwürdigen Wartburg weit
hinaus in die entzückende, blühende Gegend.

Im Begriffe, mich Weimar zu nähern, hörte ich davon, daß der unter dem
Protektorat des Großherzogs Karl Alexander von Sachsen stehende Allge¬
meine Deutsche Musikverein dort seine Festversammlung, und zwar zur
Feier seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens, abzuhalten gedenke. Hielt ich
mich in Erfurt nicht ans, so konnte ich gerade noch zurecht kommen zu der szenischen
Aufführung des Lisztschen Oratoriums "Die heilige Elisabeth." Also rasch
vorwärts und hinein in ein begeistertes Festtreiben!

Ich bemerke im voraus, daß ich Thüringen auch deshalb ganz besonders
liebe, weil seine Bewohner so reich musikalisch begabt, so glücklich musikalisch
angelegt sind. Ich erinnere mich, daß, als ich meine erste Reise durch dies alte


Musikalische Genüsse,

ein wissenschaftlicher Katalog derselben angefertigt würde. Im übrigen ist allen
kleineren schwäbischen Behörden ans Herz zu legen, was der Ulmer Bürger
Martin Neubronner in seinem Testamente aussprach, als er den Zeitblomschen
Altar in die Blaubeurer Stadtkirche stiftete. Er bestimmte, daß „die Herrn
zu Blawbenren sollche Taffel von disem unnscrem gestiffteten Allmuosen zinnß
geldt jedesmahls, so offt es die Nothdurfft erfordert, wieder ernewern, machen
und ausbessern, auch selbige immer und bestendiglich in iren Wesen richtig
crhalldten lassen sollen." Wenn überall nach dieser Bestimmung verfahren
wird, werden die Kunstwerke wohl geborgen sein. Man wird nicht nötig haben,
sie in die Museen zu übertragen, und die kleinen schwäbischen Städte werden
noch in späten Jahrhunderten von jedem aufgesucht werden, der sich einen Be¬
griff von dem Glanz, der Größe und der Gediegenheit unsrer altdeutschen Kunst
bilden will.




Musikalische Genüsse.

cchrelang hatte mich der Wunsch erfüllt, deine sonnigen Halden,
deine grünen Höhen und trauten Thäler und deine anheimelnden
kleinen, hinter den herrlichsten Gärten sich bergenden Residenzen
wiederzusehen, du liebes, an Naturreizen und Kunstschätzen und
den anregendsten Eindrücken so reiches Thüringerland! Endlich
hatte der diesjährige wunderschöne Mai mich zu einem raschen Entschlüsse be¬
stimmt, und wieder schwelgte ich, von fernen Erinnerungen umschwebt, in den
schönen Umgebungen Coburgs, Meiningens, Gothas und in den einsamen Alleen
und halbverwildcrten Gärten so mancher in Märchenschlaf versunkenen ehemaligen
Herrschersitze, sah wonnetrunken von der Höhe der ehrwürdigen Wartburg weit
hinaus in die entzückende, blühende Gegend.

Im Begriffe, mich Weimar zu nähern, hörte ich davon, daß der unter dem
Protektorat des Großherzogs Karl Alexander von Sachsen stehende Allge¬
meine Deutsche Musikverein dort seine Festversammlung, und zwar zur
Feier seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens, abzuhalten gedenke. Hielt ich
mich in Erfurt nicht ans, so konnte ich gerade noch zurecht kommen zu der szenischen
Aufführung des Lisztschen Oratoriums „Die heilige Elisabeth." Also rasch
vorwärts und hinein in ein begeistertes Festtreiben!

Ich bemerke im voraus, daß ich Thüringen auch deshalb ganz besonders
liebe, weil seine Bewohner so reich musikalisch begabt, so glücklich musikalisch
angelegt sind. Ich erinnere mich, daß, als ich meine erste Reise durch dies alte


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[0036] Musikalische Genüsse, ein wissenschaftlicher Katalog derselben angefertigt würde. Im übrigen ist allen kleineren schwäbischen Behörden ans Herz zu legen, was der Ulmer Bürger Martin Neubronner in seinem Testamente aussprach, als er den Zeitblomschen Altar in die Blaubeurer Stadtkirche stiftete. Er bestimmte, daß „die Herrn zu Blawbenren sollche Taffel von disem unnscrem gestiffteten Allmuosen zinnß geldt jedesmahls, so offt es die Nothdurfft erfordert, wieder ernewern, machen und ausbessern, auch selbige immer und bestendiglich in iren Wesen richtig crhalldten lassen sollen." Wenn überall nach dieser Bestimmung verfahren wird, werden die Kunstwerke wohl geborgen sein. Man wird nicht nötig haben, sie in die Museen zu übertragen, und die kleinen schwäbischen Städte werden noch in späten Jahrhunderten von jedem aufgesucht werden, der sich einen Be¬ griff von dem Glanz, der Größe und der Gediegenheit unsrer altdeutschen Kunst bilden will. Musikalische Genüsse. cchrelang hatte mich der Wunsch erfüllt, deine sonnigen Halden, deine grünen Höhen und trauten Thäler und deine anheimelnden kleinen, hinter den herrlichsten Gärten sich bergenden Residenzen wiederzusehen, du liebes, an Naturreizen und Kunstschätzen und den anregendsten Eindrücken so reiches Thüringerland! Endlich hatte der diesjährige wunderschöne Mai mich zu einem raschen Entschlüsse be¬ stimmt, und wieder schwelgte ich, von fernen Erinnerungen umschwebt, in den schönen Umgebungen Coburgs, Meiningens, Gothas und in den einsamen Alleen und halbverwildcrten Gärten so mancher in Märchenschlaf versunkenen ehemaligen Herrschersitze, sah wonnetrunken von der Höhe der ehrwürdigen Wartburg weit hinaus in die entzückende, blühende Gegend. Im Begriffe, mich Weimar zu nähern, hörte ich davon, daß der unter dem Protektorat des Großherzogs Karl Alexander von Sachsen stehende Allge¬ meine Deutsche Musikverein dort seine Festversammlung, und zwar zur Feier seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens, abzuhalten gedenke. Hielt ich mich in Erfurt nicht ans, so konnte ich gerade noch zurecht kommen zu der szenischen Aufführung des Lisztschen Oratoriums „Die heilige Elisabeth." Also rasch vorwärts und hinein in ein begeistertes Festtreiben! Ich bemerke im voraus, daß ich Thüringen auch deshalb ganz besonders liebe, weil seine Bewohner so reich musikalisch begabt, so glücklich musikalisch angelegt sind. Ich erinnere mich, daß, als ich meine erste Reise durch dies alte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/36>, abgerufen am 23.06.2024.