Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Line Wanderung durch Schwaben,

Endlich wenden wir uns von Nördlingen in das benachbarte Augsburg.
Um die Anfänge der dortigen Schule kennen zu lernen, haben wir den Dom
aufzusuchen, wo sich an deu ersten Pfeilern des Langhauses die frühesten
Werke des alten Hans Holbein, die ursprünglichen Flügel eines 1493 für die
Reichsabtei Weingarten gefertigten Altarwerkes, befinden, die sämtlich dem Leben
der Maria gewidmet sind. Außen waren Joachims Opfer und Marias Geburt,
innen ihre und Christi Darstellung im Tempel zu sehen. Auch hier ist schon
alles in das wirkliche Leben übertragen: bei der Geburt der Maria nehmen
wir Einblick in eine Augsburger Wochenstube, ganz vorn sitzt eine junge, hübsche
Maid, die mit dem nackten Fuße die Wärme des Wassers erprobt, in dem die
kleine Maria gebadet werden soll. Daneben ist besonders die Farbengebung
für den alten Holbein bezeichnend. Der Vater Holbein ist unter den schwäbischen
Malern des fünfzehnten Jahrhunderts der hervorragendste Kolvrist, von ihm
hat sein großer Sohn seine malerischen Fähigkeiten geerbt.

Einen Überblick über die Weiterentwicklung der Augsburger Schule gewährt
ein Besuch der Galerie, die sich im Gebäude der ehemaligen Klosterkirche von
Se. Katharina befindet. Die altdeutschen Gemälde stammen größtenteils aus
dem Katharinenkloster selbst; sie sind vor vierhundert Jahren für das Gebäude
gemalt worden, in dem sie sich noch jetzt befinden. Dies giebt der Augsburger
Galerie eine besondre Weihe. Fast alle Bilder der Katharinenkapelle verdanken
folgendem Umstände ihre Entstehung. Die Nonnen des Katharinenklosters
wünschten gern den reichen Ablaß zu gewinnen, welcher an den Besuch der
sieben Hauptkirchen Roms geknüpft war. Da sie jedoch die Pilgerfahrt nach
Rom selbst nicht antreten konnten, empfingen sie vom Papste die Erlaubnis,
Bilder jener Hauptkirchen im Kreuzgange des Klosters aufzustellen, vor welchen
sie ihre Gebete mit dein gleichen Erfolge verrichten durften. Sie begnügten
sich aber nicht mit den bloßen Abbildungen der Kirchen, sondern erweiterten die
Darstellung, indem sie Szenen aus dem Leben der Schutzherren der einzelnen
Kirchen hinzufügten, und ließen die Bilder von den drei bedeutendsten Augs¬
burger Künstlern jeuer Zeit malen. Bei Haus Holbein dem Ältern wurde von
Dorothea Rölinger die Basilika Santa Maria Maggiore, von Veronika Welser
die Basilika des heiligen Paulus bestellt; einen unbekannten Meister L. F.
beauftragte Helena RePhon mit dem Bilde der Basiliken Se. Lorenz und
Se. Sebastian; bei Hans Burgkmair endlich bestellte Anna Niedler die Basilika
Se. Peter, Barbara Riedler diejenige von San Giovanni, Veronika Welser
diejenige von Santa Croce. Alle diese Bilder, die in den Jahren 1499 bis 1504
entstanden, sind jetzt nebeneinander aufgehängt. Sie zeigen sämtlich breit-
spitzbogige Form, entsprechend der Wölbung des Kreuzganges, für den sie
bestimmt waren. Das Bild des Meisters L. F. ist das unbedeutendste der
Folge. Die Anordnung ist schwach, das Kolorit schwer, auch machen namentlich
seine Frauen mit ihren langen drahtartigen Locken und starken Backenknochen


Grenzboten III. 1L34. 4
Line Wanderung durch Schwaben,

Endlich wenden wir uns von Nördlingen in das benachbarte Augsburg.
Um die Anfänge der dortigen Schule kennen zu lernen, haben wir den Dom
aufzusuchen, wo sich an deu ersten Pfeilern des Langhauses die frühesten
Werke des alten Hans Holbein, die ursprünglichen Flügel eines 1493 für die
Reichsabtei Weingarten gefertigten Altarwerkes, befinden, die sämtlich dem Leben
der Maria gewidmet sind. Außen waren Joachims Opfer und Marias Geburt,
innen ihre und Christi Darstellung im Tempel zu sehen. Auch hier ist schon
alles in das wirkliche Leben übertragen: bei der Geburt der Maria nehmen
wir Einblick in eine Augsburger Wochenstube, ganz vorn sitzt eine junge, hübsche
Maid, die mit dem nackten Fuße die Wärme des Wassers erprobt, in dem die
kleine Maria gebadet werden soll. Daneben ist besonders die Farbengebung
für den alten Holbein bezeichnend. Der Vater Holbein ist unter den schwäbischen
Malern des fünfzehnten Jahrhunderts der hervorragendste Kolvrist, von ihm
hat sein großer Sohn seine malerischen Fähigkeiten geerbt.

Einen Überblick über die Weiterentwicklung der Augsburger Schule gewährt
ein Besuch der Galerie, die sich im Gebäude der ehemaligen Klosterkirche von
Se. Katharina befindet. Die altdeutschen Gemälde stammen größtenteils aus
dem Katharinenkloster selbst; sie sind vor vierhundert Jahren für das Gebäude
gemalt worden, in dem sie sich noch jetzt befinden. Dies giebt der Augsburger
Galerie eine besondre Weihe. Fast alle Bilder der Katharinenkapelle verdanken
folgendem Umstände ihre Entstehung. Die Nonnen des Katharinenklosters
wünschten gern den reichen Ablaß zu gewinnen, welcher an den Besuch der
sieben Hauptkirchen Roms geknüpft war. Da sie jedoch die Pilgerfahrt nach
Rom selbst nicht antreten konnten, empfingen sie vom Papste die Erlaubnis,
Bilder jener Hauptkirchen im Kreuzgange des Klosters aufzustellen, vor welchen
sie ihre Gebete mit dein gleichen Erfolge verrichten durften. Sie begnügten
sich aber nicht mit den bloßen Abbildungen der Kirchen, sondern erweiterten die
Darstellung, indem sie Szenen aus dem Leben der Schutzherren der einzelnen
Kirchen hinzufügten, und ließen die Bilder von den drei bedeutendsten Augs¬
burger Künstlern jeuer Zeit malen. Bei Haus Holbein dem Ältern wurde von
Dorothea Rölinger die Basilika Santa Maria Maggiore, von Veronika Welser
die Basilika des heiligen Paulus bestellt; einen unbekannten Meister L. F.
beauftragte Helena RePhon mit dem Bilde der Basiliken Se. Lorenz und
Se. Sebastian; bei Hans Burgkmair endlich bestellte Anna Niedler die Basilika
Se. Peter, Barbara Riedler diejenige von San Giovanni, Veronika Welser
diejenige von Santa Croce. Alle diese Bilder, die in den Jahren 1499 bis 1504
entstanden, sind jetzt nebeneinander aufgehängt. Sie zeigen sämtlich breit-
spitzbogige Form, entsprechend der Wölbung des Kreuzganges, für den sie
bestimmt waren. Das Bild des Meisters L. F. ist das unbedeutendste der
Folge. Die Anordnung ist schwach, das Kolorit schwer, auch machen namentlich
seine Frauen mit ihren langen drahtartigen Locken und starken Backenknochen


Grenzboten III. 1L34. 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156304"/>
          <fw type="header" place="top"> Line Wanderung durch Schwaben,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_80"> Endlich wenden wir uns von Nördlingen in das benachbarte Augsburg.<lb/>
Um die Anfänge der dortigen Schule kennen zu lernen, haben wir den Dom<lb/>
aufzusuchen, wo sich an deu ersten Pfeilern des Langhauses die frühesten<lb/>
Werke des alten Hans Holbein, die ursprünglichen Flügel eines 1493 für die<lb/>
Reichsabtei Weingarten gefertigten Altarwerkes, befinden, die sämtlich dem Leben<lb/>
der Maria gewidmet sind. Außen waren Joachims Opfer und Marias Geburt,<lb/>
innen ihre und Christi Darstellung im Tempel zu sehen. Auch hier ist schon<lb/>
alles in das wirkliche Leben übertragen: bei der Geburt der Maria nehmen<lb/>
wir Einblick in eine Augsburger Wochenstube, ganz vorn sitzt eine junge, hübsche<lb/>
Maid, die mit dem nackten Fuße die Wärme des Wassers erprobt, in dem die<lb/>
kleine Maria gebadet werden soll. Daneben ist besonders die Farbengebung<lb/>
für den alten Holbein bezeichnend. Der Vater Holbein ist unter den schwäbischen<lb/>
Malern des fünfzehnten Jahrhunderts der hervorragendste Kolvrist, von ihm<lb/>
hat sein großer Sohn seine malerischen Fähigkeiten geerbt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_81" next="#ID_82"> Einen Überblick über die Weiterentwicklung der Augsburger Schule gewährt<lb/>
ein Besuch der Galerie, die sich im Gebäude der ehemaligen Klosterkirche von<lb/>
Se. Katharina befindet. Die altdeutschen Gemälde stammen größtenteils aus<lb/>
dem Katharinenkloster selbst; sie sind vor vierhundert Jahren für das Gebäude<lb/>
gemalt worden, in dem sie sich noch jetzt befinden. Dies giebt der Augsburger<lb/>
Galerie eine besondre Weihe. Fast alle Bilder der Katharinenkapelle verdanken<lb/>
folgendem Umstände ihre Entstehung. Die Nonnen des Katharinenklosters<lb/>
wünschten gern den reichen Ablaß zu gewinnen, welcher an den Besuch der<lb/>
sieben Hauptkirchen Roms geknüpft war. Da sie jedoch die Pilgerfahrt nach<lb/>
Rom selbst nicht antreten konnten, empfingen sie vom Papste die Erlaubnis,<lb/>
Bilder jener Hauptkirchen im Kreuzgange des Klosters aufzustellen, vor welchen<lb/>
sie ihre Gebete mit dein gleichen Erfolge verrichten durften. Sie begnügten<lb/>
sich aber nicht mit den bloßen Abbildungen der Kirchen, sondern erweiterten die<lb/>
Darstellung, indem sie Szenen aus dem Leben der Schutzherren der einzelnen<lb/>
Kirchen hinzufügten, und ließen die Bilder von den drei bedeutendsten Augs¬<lb/>
burger Künstlern jeuer Zeit malen. Bei Haus Holbein dem Ältern wurde von<lb/>
Dorothea Rölinger die Basilika Santa Maria Maggiore, von Veronika Welser<lb/>
die Basilika des heiligen Paulus bestellt; einen unbekannten Meister L. F.<lb/>
beauftragte Helena RePhon mit dem Bilde der Basiliken Se. Lorenz und<lb/>
Se. Sebastian; bei Hans Burgkmair endlich bestellte Anna Niedler die Basilika<lb/>
Se. Peter, Barbara Riedler diejenige von San Giovanni, Veronika Welser<lb/>
diejenige von Santa Croce. Alle diese Bilder, die in den Jahren 1499 bis 1504<lb/>
entstanden, sind jetzt nebeneinander aufgehängt. Sie zeigen sämtlich breit-<lb/>
spitzbogige Form, entsprechend der Wölbung des Kreuzganges, für den sie<lb/>
bestimmt waren. Das Bild des Meisters L. F. ist das unbedeutendste der<lb/>
Folge. Die Anordnung ist schwach, das Kolorit schwer, auch machen namentlich<lb/>
seine Frauen mit ihren langen drahtartigen Locken und starken Backenknochen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1L34. 4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] Line Wanderung durch Schwaben, Endlich wenden wir uns von Nördlingen in das benachbarte Augsburg. Um die Anfänge der dortigen Schule kennen zu lernen, haben wir den Dom aufzusuchen, wo sich an deu ersten Pfeilern des Langhauses die frühesten Werke des alten Hans Holbein, die ursprünglichen Flügel eines 1493 für die Reichsabtei Weingarten gefertigten Altarwerkes, befinden, die sämtlich dem Leben der Maria gewidmet sind. Außen waren Joachims Opfer und Marias Geburt, innen ihre und Christi Darstellung im Tempel zu sehen. Auch hier ist schon alles in das wirkliche Leben übertragen: bei der Geburt der Maria nehmen wir Einblick in eine Augsburger Wochenstube, ganz vorn sitzt eine junge, hübsche Maid, die mit dem nackten Fuße die Wärme des Wassers erprobt, in dem die kleine Maria gebadet werden soll. Daneben ist besonders die Farbengebung für den alten Holbein bezeichnend. Der Vater Holbein ist unter den schwäbischen Malern des fünfzehnten Jahrhunderts der hervorragendste Kolvrist, von ihm hat sein großer Sohn seine malerischen Fähigkeiten geerbt. Einen Überblick über die Weiterentwicklung der Augsburger Schule gewährt ein Besuch der Galerie, die sich im Gebäude der ehemaligen Klosterkirche von Se. Katharina befindet. Die altdeutschen Gemälde stammen größtenteils aus dem Katharinenkloster selbst; sie sind vor vierhundert Jahren für das Gebäude gemalt worden, in dem sie sich noch jetzt befinden. Dies giebt der Augsburger Galerie eine besondre Weihe. Fast alle Bilder der Katharinenkapelle verdanken folgendem Umstände ihre Entstehung. Die Nonnen des Katharinenklosters wünschten gern den reichen Ablaß zu gewinnen, welcher an den Besuch der sieben Hauptkirchen Roms geknüpft war. Da sie jedoch die Pilgerfahrt nach Rom selbst nicht antreten konnten, empfingen sie vom Papste die Erlaubnis, Bilder jener Hauptkirchen im Kreuzgange des Klosters aufzustellen, vor welchen sie ihre Gebete mit dein gleichen Erfolge verrichten durften. Sie begnügten sich aber nicht mit den bloßen Abbildungen der Kirchen, sondern erweiterten die Darstellung, indem sie Szenen aus dem Leben der Schutzherren der einzelnen Kirchen hinzufügten, und ließen die Bilder von den drei bedeutendsten Augs¬ burger Künstlern jeuer Zeit malen. Bei Haus Holbein dem Ältern wurde von Dorothea Rölinger die Basilika Santa Maria Maggiore, von Veronika Welser die Basilika des heiligen Paulus bestellt; einen unbekannten Meister L. F. beauftragte Helena RePhon mit dem Bilde der Basiliken Se. Lorenz und Se. Sebastian; bei Hans Burgkmair endlich bestellte Anna Niedler die Basilika Se. Peter, Barbara Riedler diejenige von San Giovanni, Veronika Welser diejenige von Santa Croce. Alle diese Bilder, die in den Jahren 1499 bis 1504 entstanden, sind jetzt nebeneinander aufgehängt. Sie zeigen sämtlich breit- spitzbogige Form, entsprechend der Wölbung des Kreuzganges, für den sie bestimmt waren. Das Bild des Meisters L. F. ist das unbedeutendste der Folge. Die Anordnung ist schwach, das Kolorit schwer, auch machen namentlich seine Frauen mit ihren langen drahtartigen Locken und starken Backenknochen Grenzboten III. 1L34. 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/33
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/33>, abgerufen am 19.10.2024.