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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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die beiden Flügelbilder, von denen die äußern die Verkündigung, die innern die
Geburt Christi und den Tod der Maria vorführen, Zeitblom an, während das
Mittelbild, eine Kreuzigung, von dem Regensburger Maler Altdorfer gefertigt
wurde. Sowohl die Malereien des Hochaltars wie die der Stadtkirche sind
von schlichter Keuschheit und Würde. Man muß Zeitbloms Werke in Blau-
beuren kennen, um Wagens Behauptung, daß Zeitblom der deutscheste aller
deutschen Maler sei, zu verstehen.

Aber wir haben noch einen andern schwäbischen Ort aufzusuchen, um die
Ulmer Meister weiter zu verfolgen, das etwas südlicher gelegene Sigmaringen,
die Hauptstadt des ehemaligen Fürstentums Hohenzollern und Residenz des
Fürsten Karl Anton. Hoch oben auf einem steil ansteigenden Berge liegt das
fürstliche Schloß und in demselben die im Jahre 1862 vom Fürsten Karl
Anton erbaute Knnsthalle. Der Hauptraum des Gebäudes ist in englisch¬
gothischem Stile gehalten und durch eine doppelte Säulenreihe in drei Schiffe
geteilt. In diesem Raume, der nicht den Eindruck einer Gemäldegalerie,
sondern eines vornehmen Prachtsaales macht, befinden sich die Bilder, deren
Zahl sich nach dem von Hofrat Lehrer angefertigten vorzüglichen Katalog auf
226 Nummern beläuft. Von der schwäbischen Schule ist hier besonders viel
vereinigt. Von Zeitblom besitzt die Galerie die Fragmente eines großen Altar¬
werkes, das acht Darstellungen aus dem Leben der Maria vorführt. Martin
Schaffner tritt uus in einem großen vierflügligen Altare entgegen, der ur¬
sprünglich in der gothischen Kirche zu Ennetach, dann in Pfullendorf sich
befunden haben soll, und dessen ziemlich nnkünstlerische Außenseiten die Kreuz-
tragung, dessen künstlerisch vollendete Innenseiten die Verkündigung, die Geburt
Christi, seine Beschneidung und die Anbetung der Könige darstellen. Außer
Zeitblom und Schaffner lernen wir aber in Sigmaringen noch einen dritten
schwäbischen Meister kennen, der von beiden scharf unterschieden ist und dessen
Namen sich bis jetzt nicht hat feststellen lassen. Man hat ihn, da er in der
Galerie von Sigmaringen besonders gut, nämlich mit achtzehn Nummern ver¬
treten ist, den "Meister von Sigmaringen" genannt. Zwei offenbar zusammen¬
gehörige Bilder zeigen die Grablegung Christi und die Erscheinung Christi bei
den Jüngern, zwei andre die Heiligen Dominikus und Benedikt. Weit wichtiger
aber sind mehrere früher in der Schloßkapelle zu Krauchenwies befindliche
Altarflügel. Der eine Altar ist dem Leben der Maria gewidmet, der andre
führt die Verkündigung, die Geburt Christi und die Anbetung der Könige vor.
Überall finden wir Gesichter, die sich sonderbar von denen Zeitbloms und aller
übrigen schwäbischen Künstler unterscheiden. Die Maria mit ihren langen
blonden Locken und ihrem rundlichen, stark entwickelten Kinn erinnert geradezu
an Dürer. Der "Meister von Sigmaringen" ist ein Künstler, der halb der
alten, halb der neuen Zeit angehört, der zuerst die Gestalten seiner Bilder
noch von mittelalterlichen Goldgrunde sich abheben läßt, zuletzt aber auch sich


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die beiden Flügelbilder, von denen die äußern die Verkündigung, die innern die
Geburt Christi und den Tod der Maria vorführen, Zeitblom an, während das
Mittelbild, eine Kreuzigung, von dem Regensburger Maler Altdorfer gefertigt
wurde. Sowohl die Malereien des Hochaltars wie die der Stadtkirche sind
von schlichter Keuschheit und Würde. Man muß Zeitbloms Werke in Blau-
beuren kennen, um Wagens Behauptung, daß Zeitblom der deutscheste aller
deutschen Maler sei, zu verstehen.

Aber wir haben noch einen andern schwäbischen Ort aufzusuchen, um die
Ulmer Meister weiter zu verfolgen, das etwas südlicher gelegene Sigmaringen,
die Hauptstadt des ehemaligen Fürstentums Hohenzollern und Residenz des
Fürsten Karl Anton. Hoch oben auf einem steil ansteigenden Berge liegt das
fürstliche Schloß und in demselben die im Jahre 1862 vom Fürsten Karl
Anton erbaute Knnsthalle. Der Hauptraum des Gebäudes ist in englisch¬
gothischem Stile gehalten und durch eine doppelte Säulenreihe in drei Schiffe
geteilt. In diesem Raume, der nicht den Eindruck einer Gemäldegalerie,
sondern eines vornehmen Prachtsaales macht, befinden sich die Bilder, deren
Zahl sich nach dem von Hofrat Lehrer angefertigten vorzüglichen Katalog auf
226 Nummern beläuft. Von der schwäbischen Schule ist hier besonders viel
vereinigt. Von Zeitblom besitzt die Galerie die Fragmente eines großen Altar¬
werkes, das acht Darstellungen aus dem Leben der Maria vorführt. Martin
Schaffner tritt uus in einem großen vierflügligen Altare entgegen, der ur¬
sprünglich in der gothischen Kirche zu Ennetach, dann in Pfullendorf sich
befunden haben soll, und dessen ziemlich nnkünstlerische Außenseiten die Kreuz-
tragung, dessen künstlerisch vollendete Innenseiten die Verkündigung, die Geburt
Christi, seine Beschneidung und die Anbetung der Könige darstellen. Außer
Zeitblom und Schaffner lernen wir aber in Sigmaringen noch einen dritten
schwäbischen Meister kennen, der von beiden scharf unterschieden ist und dessen
Namen sich bis jetzt nicht hat feststellen lassen. Man hat ihn, da er in der
Galerie von Sigmaringen besonders gut, nämlich mit achtzehn Nummern ver¬
treten ist, den „Meister von Sigmaringen" genannt. Zwei offenbar zusammen¬
gehörige Bilder zeigen die Grablegung Christi und die Erscheinung Christi bei
den Jüngern, zwei andre die Heiligen Dominikus und Benedikt. Weit wichtiger
aber sind mehrere früher in der Schloßkapelle zu Krauchenwies befindliche
Altarflügel. Der eine Altar ist dem Leben der Maria gewidmet, der andre
führt die Verkündigung, die Geburt Christi und die Anbetung der Könige vor.
Überall finden wir Gesichter, die sich sonderbar von denen Zeitbloms und aller
übrigen schwäbischen Künstler unterscheiden. Die Maria mit ihren langen
blonden Locken und ihrem rundlichen, stark entwickelten Kinn erinnert geradezu
an Dürer. Der „Meister von Sigmaringen" ist ein Künstler, der halb der
alten, halb der neuen Zeit angehört, der zuerst die Gestalten seiner Bilder
noch von mittelalterlichen Goldgrunde sich abheben läßt, zuletzt aber auch sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/30>, abgerufen am 23.06.2024.