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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Line Wanderung durch Schwaben.

hundert Hans Schäufelein an. In Ulm beginnt den Reigen Hans Schülein,
dem sein Schwiegersohn Bartholomäus Zeitblom und Martin Schaffner folgen.
In Augsburg find zwei der größten deutschen Künstler, Hans Holbein der Ältere
und Hans Burgkmair, thätig.

Der erste Ort, welchen wir aufzusuchen haben, um die Anfänge der schwä¬
bischen Tafelmalerei kennen zu lernen, ist die Stiftskirche zu Tiefenbronn, im
Norden von Schwaben in einsamer Gegend zwischen Calw und Pforzheim ge¬
legen. Hier wird das älteste schwäbische Tafelbild des fünfzehnten Jahrhunderts
bewahrt, der oben erwähnte Altar Lukas Mosers von 1431, also ein Werk,
das noch nicht von Eyckschen Einflüssen berührt ist. Die Flügelthüren ent¬
halten Gemälde, die dem Leben der heiligen Magdalena und ihrer Geschwister
gewidmet find. Alle sind auf Goldgrund mit leichter, flüssiger Farbe ausgeführt,
in einem Stile, welcher an die Kölner Schule aus der Zeit Meister Stephans
erinnert. Eine heitere Milde und stille Frömmigkeit ist über das Ganze aus¬
gegossen, die Gesichter find reine Jdealtypen ohne alles Porträtartige, richtige
Perspektive und strenge Durchbildung des Körpers ist garnicht angestrebt.
Das Bild hat wenig gemein mit den Leistungen jener schwäbischen Schule, die,
von den Niederländern befruchtet, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts so
bedeutende Leistungen hervorbrachte. Eins der frühesten Werke dieser Richtung
befindet sich ebenfalls in Tiefenbronn, eine Arbeit des Begründers der Ulmer
Schule, Hans Schülein. Es ist wieder ein Hochaltar, dessen Jnnenfliigel gleich
dem geschnitzten Mittelschrein Passionsdarstellungen enthalten, während die
Außenseiten der Geschichte Marias und der Kindheit Christi gewidmet sind.
Hier weht jedoch ein ganz andrer Geist. Jeder Kopf ist ein tüchtiges Porträt,
die landschaftlichen Hintergründe sind malerisch angeordnet, die Körper der
Figuren genau durchgebildet, die Perspektive ist wohlverstanden, die Zeichnung
richtig.

Um die Ulmer Schule näher kennen zu lernen, haben wir uns von Tiefcn-
bronn nach Ulm selbst zu wenden. Wir betreten hier eine Stadt, die gleich so
mancher alten deutschen Reichsstadt von ihrer großen Vergangenheit zehrt.
Seine eigentliche Blüte erlebte es in den Jahren 1350--1620, zu der Zeit, als
der Bau des Münsters begonnen wurde. Schon die Auffindung des Seeweges
nach Ostindien und der dadurch veränderte Zug des morgenländischen Handels
schlug der Stadt eine empfindliche Wunde; bald darauf erfolgte die Reformation
mit den sich anschließenden Religionskriegen, unter denen keine Stadt Süd¬
deutschlands mehr als Ulm zu leiden hatte. Seitdem ging es zurück, sodaß der
alte Spruch:


Venediger Macht,
Augsburger Pracht,
Straßburger Geschütz,
Nürnberger Witz

Line Wanderung durch Schwaben.

hundert Hans Schäufelein an. In Ulm beginnt den Reigen Hans Schülein,
dem sein Schwiegersohn Bartholomäus Zeitblom und Martin Schaffner folgen.
In Augsburg find zwei der größten deutschen Künstler, Hans Holbein der Ältere
und Hans Burgkmair, thätig.

Der erste Ort, welchen wir aufzusuchen haben, um die Anfänge der schwä¬
bischen Tafelmalerei kennen zu lernen, ist die Stiftskirche zu Tiefenbronn, im
Norden von Schwaben in einsamer Gegend zwischen Calw und Pforzheim ge¬
legen. Hier wird das älteste schwäbische Tafelbild des fünfzehnten Jahrhunderts
bewahrt, der oben erwähnte Altar Lukas Mosers von 1431, also ein Werk,
das noch nicht von Eyckschen Einflüssen berührt ist. Die Flügelthüren ent¬
halten Gemälde, die dem Leben der heiligen Magdalena und ihrer Geschwister
gewidmet find. Alle sind auf Goldgrund mit leichter, flüssiger Farbe ausgeführt,
in einem Stile, welcher an die Kölner Schule aus der Zeit Meister Stephans
erinnert. Eine heitere Milde und stille Frömmigkeit ist über das Ganze aus¬
gegossen, die Gesichter find reine Jdealtypen ohne alles Porträtartige, richtige
Perspektive und strenge Durchbildung des Körpers ist garnicht angestrebt.
Das Bild hat wenig gemein mit den Leistungen jener schwäbischen Schule, die,
von den Niederländern befruchtet, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts so
bedeutende Leistungen hervorbrachte. Eins der frühesten Werke dieser Richtung
befindet sich ebenfalls in Tiefenbronn, eine Arbeit des Begründers der Ulmer
Schule, Hans Schülein. Es ist wieder ein Hochaltar, dessen Jnnenfliigel gleich
dem geschnitzten Mittelschrein Passionsdarstellungen enthalten, während die
Außenseiten der Geschichte Marias und der Kindheit Christi gewidmet sind.
Hier weht jedoch ein ganz andrer Geist. Jeder Kopf ist ein tüchtiges Porträt,
die landschaftlichen Hintergründe sind malerisch angeordnet, die Körper der
Figuren genau durchgebildet, die Perspektive ist wohlverstanden, die Zeichnung
richtig.

Um die Ulmer Schule näher kennen zu lernen, haben wir uns von Tiefcn-
bronn nach Ulm selbst zu wenden. Wir betreten hier eine Stadt, die gleich so
mancher alten deutschen Reichsstadt von ihrer großen Vergangenheit zehrt.
Seine eigentliche Blüte erlebte es in den Jahren 1350—1620, zu der Zeit, als
der Bau des Münsters begonnen wurde. Schon die Auffindung des Seeweges
nach Ostindien und der dadurch veränderte Zug des morgenländischen Handels
schlug der Stadt eine empfindliche Wunde; bald darauf erfolgte die Reformation
mit den sich anschließenden Religionskriegen, unter denen keine Stadt Süd¬
deutschlands mehr als Ulm zu leiden hatte. Seitdem ging es zurück, sodaß der
alte Spruch:


Venediger Macht,
Augsburger Pracht,
Straßburger Geschütz,
Nürnberger Witz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/28>, abgerufen am 23.06.2024.