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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Der König von "Lyxern und Jerusalem.

nachgewiesen, den ganzen Faust als philosophisch allegorisches Gedicht aufzu¬
fassen, und wie er es selber nennt, in die gewöhnliche Sprache zu "übersetzen."

Die Sache ist freilich im ganzen von so gewaltigem Umfang, daß ich mich
vorläufig nur als unparteiischer Referent dazu verhalten kann und das Urteil
über die Richtigkeit der Auflösung in allen Einzelheiten dem künftigen Leser
überlassen muß. Ich beschränke mich also darauf, nur in großen Zügen anzu¬
geben, wie der Verfasser die Auflösung durchgeführt hat; die Gründe und
Beweise für die Deutungen selbst zu bringen, würde hier zu weit führen.

(Schluß folgt.)




Der König von (Lyvern und Jerusalem.

or einigen Tagen, irren wir nicht, in der ersten Woche des Juli,
begrub man in Petersburg einen "alten russischen Offizier," der
in bedrängten Umständen und im Alter von 77 Jahren verstorben
war. Nur sein Leichenbegängnis bekundete, obwohl es keineswegs
prächtig war, daß er noch etwas andres, etwas vornehmeres ge¬
wesen war als ein Dragoneroberst Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen.
Vor dem Trauerwagen, auf dem sich ein mit Goldbrokat aufgeschlagener Sarg
befand, gingen zwei Personen mit einem höchst komplizirten Wappen auf
Goldblech her, denen andre folgten, welche Kissen mit Orden von fremdartigem
Aussehen, worunter ein riesiger Stern, trugen. Hinter dem Wagen schritten
wieder zwei Personen her: ein Husarenoffizier mit einem Sterne auf der Brust,
der mit seiner Größe und sonderbaren Form dem auf dem Kissen glich, und
eine Dame. Den Zug schlössen zwei offene Mietkutschen. Außer den Genannten
waren keine weitern Begleiter zu sehen. Auf Befragen erfuhr man, daß der
Sarg die sterblichen Überreste eines Mannes enthielt, der im Besitz angeblich
wohlverbriefter Ansprüche auf deu Titel -- leider nur auf den Titel, nicht
auf die Mittel -- eines Königs von Cypern, Jerusalem und Armenien gewesen
war, Louis de Lusignan, ein direkter Nachkomme der "Hüter des Grabes Christi,"
der ältesten Exdynastie der Gegenwart, deren Titel und Rechte nun in dem
Husarcnofsizier, seinem eheleiblichen Sohne, fortleben.

Als Liebhaber von Raritäten, besonders von genealogischen, erkundigte ich
mich nach der Sache näher und fand darüber folgendes. Das uralte Haus
derer Lusignan wanderte bereits im zwölften Jahrhunderte nach dem Morgen-
lande aus. Vertreter der Familie befanden sich unter den Kreuzfahrern, die


Der König von «Lyxern und Jerusalem.

nachgewiesen, den ganzen Faust als philosophisch allegorisches Gedicht aufzu¬
fassen, und wie er es selber nennt, in die gewöhnliche Sprache zu „übersetzen."

Die Sache ist freilich im ganzen von so gewaltigem Umfang, daß ich mich
vorläufig nur als unparteiischer Referent dazu verhalten kann und das Urteil
über die Richtigkeit der Auflösung in allen Einzelheiten dem künftigen Leser
überlassen muß. Ich beschränke mich also darauf, nur in großen Zügen anzu¬
geben, wie der Verfasser die Auflösung durchgeführt hat; die Gründe und
Beweise für die Deutungen selbst zu bringen, würde hier zu weit führen.

(Schluß folgt.)




Der König von (Lyvern und Jerusalem.

or einigen Tagen, irren wir nicht, in der ersten Woche des Juli,
begrub man in Petersburg einen „alten russischen Offizier," der
in bedrängten Umständen und im Alter von 77 Jahren verstorben
war. Nur sein Leichenbegängnis bekundete, obwohl es keineswegs
prächtig war, daß er noch etwas andres, etwas vornehmeres ge¬
wesen war als ein Dragoneroberst Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen.
Vor dem Trauerwagen, auf dem sich ein mit Goldbrokat aufgeschlagener Sarg
befand, gingen zwei Personen mit einem höchst komplizirten Wappen auf
Goldblech her, denen andre folgten, welche Kissen mit Orden von fremdartigem
Aussehen, worunter ein riesiger Stern, trugen. Hinter dem Wagen schritten
wieder zwei Personen her: ein Husarenoffizier mit einem Sterne auf der Brust,
der mit seiner Größe und sonderbaren Form dem auf dem Kissen glich, und
eine Dame. Den Zug schlössen zwei offene Mietkutschen. Außer den Genannten
waren keine weitern Begleiter zu sehen. Auf Befragen erfuhr man, daß der
Sarg die sterblichen Überreste eines Mannes enthielt, der im Besitz angeblich
wohlverbriefter Ansprüche auf deu Titel — leider nur auf den Titel, nicht
auf die Mittel — eines Königs von Cypern, Jerusalem und Armenien gewesen
war, Louis de Lusignan, ein direkter Nachkomme der „Hüter des Grabes Christi,"
der ältesten Exdynastie der Gegenwart, deren Titel und Rechte nun in dem
Husarcnofsizier, seinem eheleiblichen Sohne, fortleben.

Als Liebhaber von Raritäten, besonders von genealogischen, erkundigte ich
mich nach der Sache näher und fand darüber folgendes. Das uralte Haus
derer Lusignan wanderte bereits im zwölften Jahrhunderte nach dem Morgen-
lande aus. Vertreter der Familie befanden sich unter den Kreuzfahrern, die


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[0240] Der König von «Lyxern und Jerusalem. nachgewiesen, den ganzen Faust als philosophisch allegorisches Gedicht aufzu¬ fassen, und wie er es selber nennt, in die gewöhnliche Sprache zu „übersetzen." Die Sache ist freilich im ganzen von so gewaltigem Umfang, daß ich mich vorläufig nur als unparteiischer Referent dazu verhalten kann und das Urteil über die Richtigkeit der Auflösung in allen Einzelheiten dem künftigen Leser überlassen muß. Ich beschränke mich also darauf, nur in großen Zügen anzu¬ geben, wie der Verfasser die Auflösung durchgeführt hat; die Gründe und Beweise für die Deutungen selbst zu bringen, würde hier zu weit führen. (Schluß folgt.) Der König von (Lyvern und Jerusalem. or einigen Tagen, irren wir nicht, in der ersten Woche des Juli, begrub man in Petersburg einen „alten russischen Offizier," der in bedrängten Umständen und im Alter von 77 Jahren verstorben war. Nur sein Leichenbegängnis bekundete, obwohl es keineswegs prächtig war, daß er noch etwas andres, etwas vornehmeres ge¬ wesen war als ein Dragoneroberst Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen. Vor dem Trauerwagen, auf dem sich ein mit Goldbrokat aufgeschlagener Sarg befand, gingen zwei Personen mit einem höchst komplizirten Wappen auf Goldblech her, denen andre folgten, welche Kissen mit Orden von fremdartigem Aussehen, worunter ein riesiger Stern, trugen. Hinter dem Wagen schritten wieder zwei Personen her: ein Husarenoffizier mit einem Sterne auf der Brust, der mit seiner Größe und sonderbaren Form dem auf dem Kissen glich, und eine Dame. Den Zug schlössen zwei offene Mietkutschen. Außer den Genannten waren keine weitern Begleiter zu sehen. Auf Befragen erfuhr man, daß der Sarg die sterblichen Überreste eines Mannes enthielt, der im Besitz angeblich wohlverbriefter Ansprüche auf deu Titel — leider nur auf den Titel, nicht auf die Mittel — eines Königs von Cypern, Jerusalem und Armenien gewesen war, Louis de Lusignan, ein direkter Nachkomme der „Hüter des Grabes Christi," der ältesten Exdynastie der Gegenwart, deren Titel und Rechte nun in dem Husarcnofsizier, seinem eheleiblichen Sohne, fortleben. Als Liebhaber von Raritäten, besonders von genealogischen, erkundigte ich mich nach der Sache näher und fand darüber folgendes. Das uralte Haus derer Lusignan wanderte bereits im zwölften Jahrhunderte nach dem Morgen- lande aus. Vertreter der Familie befanden sich unter den Kreuzfahrern, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/240>, abgerufen am 23.06.2024.