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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Line Wanderung durch Schwaben.

erstehen lassen. Auf sie waren im Anfange des dritten Jahrhunderts die Ale¬
mannen gefolgt, unter denen bald das Christentum Wurzel schlug. Eine ganze
Reihe von Klöstern wurde gegründet, die bald die Mutterstättcn der Kultur
und des gewerblichen Fleißes wurden. Neben ihnen erhoben sich feste Burgen,
denn der Meuge der aufstrebenden Herren und Ritter entsprach die Unzahl der
zum Burgbau einladenden Höhen. Aber die Glanzzeit Schwabens begann erst
unter den Hohenstaufen seit dem zwölften Jahrhundert: es kam die Blütezeit
des Rittertums und des Minnegesangs. Nach dem Untergange dieser Fürsten
hörte Schwaben auf, Herzogtum zu sein und gehörte von nun an dem Reiche
unmittelbar an. Die führende Stellung hatten nicht mehr die Klöster, sondern
die reichsfreicn Städte: Augsburg, als Sitz der Reichsversammlungen besonders
angesehen, Ulm, dessen Lage an der schiffbaren Donan noch günstiger war,
Eßlingen, Nördlingen und viele andre. An Stelle des Minneliedcs blühte der
Meistergesang und die Geschichtschreibung.

Bei diesem regen Kulturleben ist es natürlich, daß auch die Überreste der
alten Kunst in Schwabe" besonders zahlreich sind. Eine lebendige Geschichte
der Architektur, wie sie vollständiger nicht gedacht werden kann, tritt dem Wandrer
hier entgegen. Allerorten kommen die entschwundenen Jahrhunderte an uns
heran, unmittelbar, greifbar fast, wie kaum in irgend einer andern Landschaft.
Aus der römischen Zeit ist freilich nichts mehr zu finden, da alle römischen
Tempel, Villen und Kastelle von den Alemannen umgestürzt wurden. Auch aus
der Zeit der Karolinger, in der die deutsche Baukunst ihre ersten jugendlichen
Versuche machte, sind nur die Trümmer der Krypta zu Unterregeubach bei
Langenburg erhalten. Umso reicher ist das, was uns aus der ersten Hälfte des
zweiten Jahrtausends entgegenstrahlt. Schon der romanische Stil ist vortrefflich
vertreten. Im Süden entfaltete matt zuerst eine rege Thätigkeit am Bodensee.
Es entstanden die kleinen Kirchen zu Ober- und Unterzell auf der Insel Reichenau,
Basiliken mit dicken stämmigen Säulen, sowie der Dom zu Konstanz, an dem
sich der Säulenbau schon zu großartigen Verhältnissen entwickelt hat. Im Westen
ist der älteste Bau die jetzt halbzerstörte, 1071 eingeweihte Nurelinskirche zu
Hirschau, von harten und schweren, aber gediegenen Formen. Bald darauf ent¬
falten sich die größten Baugednnken an den Kirchen zu Zwiefalten, Alpirsbach,
Lorch, Komburg und Ellwangen, weit ausgedehnten Anlagen von strenge" und
schlichten Verhältnissen und wirksam gebildeten Einzelformen. Im Osten be¬
ginnt die Bauthütigkeit sehr früh mit dem Dom in Augsburg, von dem damals
die Krypta und die Pfeilerreihe des Schiffes erbaut wurde". Eine ganze Reihe
späterer romanischer Kirchen zu Gmünd, Sindelfingen, Rottweil, Pforzheim,
Maulbronn, Ellwangen schließen sich an. Auf den romanischen Stil folgt nach
der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts der gothische. Der erste in diesem Stil
errichtete Bau ist die Kirche zu Wimpfen im Thal, 1259 durch einen aus Paris
gekommenen Baumeister begonnen. Weitere Bauteil entstehen am Schlüsse des


Line Wanderung durch Schwaben.

erstehen lassen. Auf sie waren im Anfange des dritten Jahrhunderts die Ale¬
mannen gefolgt, unter denen bald das Christentum Wurzel schlug. Eine ganze
Reihe von Klöstern wurde gegründet, die bald die Mutterstättcn der Kultur
und des gewerblichen Fleißes wurden. Neben ihnen erhoben sich feste Burgen,
denn der Meuge der aufstrebenden Herren und Ritter entsprach die Unzahl der
zum Burgbau einladenden Höhen. Aber die Glanzzeit Schwabens begann erst
unter den Hohenstaufen seit dem zwölften Jahrhundert: es kam die Blütezeit
des Rittertums und des Minnegesangs. Nach dem Untergange dieser Fürsten
hörte Schwaben auf, Herzogtum zu sein und gehörte von nun an dem Reiche
unmittelbar an. Die führende Stellung hatten nicht mehr die Klöster, sondern
die reichsfreicn Städte: Augsburg, als Sitz der Reichsversammlungen besonders
angesehen, Ulm, dessen Lage an der schiffbaren Donan noch günstiger war,
Eßlingen, Nördlingen und viele andre. An Stelle des Minneliedcs blühte der
Meistergesang und die Geschichtschreibung.

Bei diesem regen Kulturleben ist es natürlich, daß auch die Überreste der
alten Kunst in Schwabe» besonders zahlreich sind. Eine lebendige Geschichte
der Architektur, wie sie vollständiger nicht gedacht werden kann, tritt dem Wandrer
hier entgegen. Allerorten kommen die entschwundenen Jahrhunderte an uns
heran, unmittelbar, greifbar fast, wie kaum in irgend einer andern Landschaft.
Aus der römischen Zeit ist freilich nichts mehr zu finden, da alle römischen
Tempel, Villen und Kastelle von den Alemannen umgestürzt wurden. Auch aus
der Zeit der Karolinger, in der die deutsche Baukunst ihre ersten jugendlichen
Versuche machte, sind nur die Trümmer der Krypta zu Unterregeubach bei
Langenburg erhalten. Umso reicher ist das, was uns aus der ersten Hälfte des
zweiten Jahrtausends entgegenstrahlt. Schon der romanische Stil ist vortrefflich
vertreten. Im Süden entfaltete matt zuerst eine rege Thätigkeit am Bodensee.
Es entstanden die kleinen Kirchen zu Ober- und Unterzell auf der Insel Reichenau,
Basiliken mit dicken stämmigen Säulen, sowie der Dom zu Konstanz, an dem
sich der Säulenbau schon zu großartigen Verhältnissen entwickelt hat. Im Westen
ist der älteste Bau die jetzt halbzerstörte, 1071 eingeweihte Nurelinskirche zu
Hirschau, von harten und schweren, aber gediegenen Formen. Bald darauf ent¬
falten sich die größten Baugednnken an den Kirchen zu Zwiefalten, Alpirsbach,
Lorch, Komburg und Ellwangen, weit ausgedehnten Anlagen von strenge» und
schlichten Verhältnissen und wirksam gebildeten Einzelformen. Im Osten be¬
ginnt die Bauthütigkeit sehr früh mit dem Dom in Augsburg, von dem damals
die Krypta und die Pfeilerreihe des Schiffes erbaut wurde». Eine ganze Reihe
späterer romanischer Kirchen zu Gmünd, Sindelfingen, Rottweil, Pforzheim,
Maulbronn, Ellwangen schließen sich an. Auf den romanischen Stil folgt nach
der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts der gothische. Der erste in diesem Stil
errichtete Bau ist die Kirche zu Wimpfen im Thal, 1259 durch einen aus Paris
gekommenen Baumeister begonnen. Weitere Bauteil entstehen am Schlüsse des


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[0024] Line Wanderung durch Schwaben. erstehen lassen. Auf sie waren im Anfange des dritten Jahrhunderts die Ale¬ mannen gefolgt, unter denen bald das Christentum Wurzel schlug. Eine ganze Reihe von Klöstern wurde gegründet, die bald die Mutterstättcn der Kultur und des gewerblichen Fleißes wurden. Neben ihnen erhoben sich feste Burgen, denn der Meuge der aufstrebenden Herren und Ritter entsprach die Unzahl der zum Burgbau einladenden Höhen. Aber die Glanzzeit Schwabens begann erst unter den Hohenstaufen seit dem zwölften Jahrhundert: es kam die Blütezeit des Rittertums und des Minnegesangs. Nach dem Untergange dieser Fürsten hörte Schwaben auf, Herzogtum zu sein und gehörte von nun an dem Reiche unmittelbar an. Die führende Stellung hatten nicht mehr die Klöster, sondern die reichsfreicn Städte: Augsburg, als Sitz der Reichsversammlungen besonders angesehen, Ulm, dessen Lage an der schiffbaren Donan noch günstiger war, Eßlingen, Nördlingen und viele andre. An Stelle des Minneliedcs blühte der Meistergesang und die Geschichtschreibung. Bei diesem regen Kulturleben ist es natürlich, daß auch die Überreste der alten Kunst in Schwabe» besonders zahlreich sind. Eine lebendige Geschichte der Architektur, wie sie vollständiger nicht gedacht werden kann, tritt dem Wandrer hier entgegen. Allerorten kommen die entschwundenen Jahrhunderte an uns heran, unmittelbar, greifbar fast, wie kaum in irgend einer andern Landschaft. Aus der römischen Zeit ist freilich nichts mehr zu finden, da alle römischen Tempel, Villen und Kastelle von den Alemannen umgestürzt wurden. Auch aus der Zeit der Karolinger, in der die deutsche Baukunst ihre ersten jugendlichen Versuche machte, sind nur die Trümmer der Krypta zu Unterregeubach bei Langenburg erhalten. Umso reicher ist das, was uns aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends entgegenstrahlt. Schon der romanische Stil ist vortrefflich vertreten. Im Süden entfaltete matt zuerst eine rege Thätigkeit am Bodensee. Es entstanden die kleinen Kirchen zu Ober- und Unterzell auf der Insel Reichenau, Basiliken mit dicken stämmigen Säulen, sowie der Dom zu Konstanz, an dem sich der Säulenbau schon zu großartigen Verhältnissen entwickelt hat. Im Westen ist der älteste Bau die jetzt halbzerstörte, 1071 eingeweihte Nurelinskirche zu Hirschau, von harten und schweren, aber gediegenen Formen. Bald darauf ent¬ falten sich die größten Baugednnken an den Kirchen zu Zwiefalten, Alpirsbach, Lorch, Komburg und Ellwangen, weit ausgedehnten Anlagen von strenge» und schlichten Verhältnissen und wirksam gebildeten Einzelformen. Im Osten be¬ ginnt die Bauthütigkeit sehr früh mit dem Dom in Augsburg, von dem damals die Krypta und die Pfeilerreihe des Schiffes erbaut wurde». Eine ganze Reihe späterer romanischer Kirchen zu Gmünd, Sindelfingen, Rottweil, Pforzheim, Maulbronn, Ellwangen schließen sich an. Auf den romanischen Stil folgt nach der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts der gothische. Der erste in diesem Stil errichtete Bau ist die Kirche zu Wimpfen im Thal, 1259 durch einen aus Paris gekommenen Baumeister begonnen. Weitere Bauteil entstehen am Schlüsse des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/24>, abgerufen am 23.06.2024.