Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

zum andern legend, allmählich zu einer Summe zu gelangen, welche der Gegner
in diesem Pfennigspiel wiederzugewinnen schließlich keine Aussicht mehr hat.
Die logische Devise dieser Strategie ist: strategische Offensive, taktische Defensive.

Aus dieser Abneigung gegen die taktische Offensive, die man als sichere
Thatsache auch beim Gegner voraussetzt, entspringt dann das wundersame und
künstliche Manövriren, entspringen alle die "Jalousien," "Anbragen," "Diver¬
sionen" und wie die strategischen Vogelscheuchen alle heißen; es entspringt daraus
das System, welches -- nach des berühmtesten lebenden Strategen Wort --
mehr das Terrain als den Feind berücksichtigend, alle Verbindungen decken will
und daher alle Punkte besetzen muß.

Das ist die Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts. Und das soll
auch die Weise König Friedrichs gewesen sein? Nun und nimmermehr!

Ein einmaliges Durchlesen seiner "Instruktion an Meine Generals" genügt,
um auf das klarste zu zeigen, daß die Kriegführung nach seiner Auffassung
sich nicht nur dem Grade nach von der eben geschilderten unterschied, sondern
daß sie dieser völlig entgegengesetzt war. Alle militärischen Schriften des Königs
sind von dem Geiste der den Gegner vernichtenden Offensive erfüllt. Aber sie sollen
hier als unbekannt oder ungeschrieben vorausgesetzt werden, nur die Ereignisse
sollen reden.

Da sehen wir denn im Jahre 1767, also zu Beginn der großen Züge des
siebenjährigen Krieges, Friedrich mit einer Feldarmee von etwa 160000 Mann
und etwa 50000 Mann Hilfstruppen einer Gesamtheit von über 400000
Feinden gegenüber, welche von allen Himmelsgegenden auf ihn eindringen. Daß
unter diesen Umständen nicht von einem Stoß ins Herz der österreichischen
Monarchie die Rede sein konnte, ist ohne weiteres klar. Es galt also, das
Ziel zu beschränken, die Größe des Kriegstheaters, d. h. des zu behauptenden
Raumes, den gegebenen Mitteln anzupassen und dasselbe dadurch zu behaupten,
daß Friedrich über jeden Gegner, der darin einzudringen versucht, herfällt, ihn
so rasch als möglich mit einem vernichtenden Schlage ans längere Zeit unschäd¬
lich zu machen sucht und so das Zusammenwirken der getrennten Gegner ver¬
hindert. Widerspricht nun diese Beschränkung des Zieles irgendeinem Grundsatz,
der nicht die Prüfung jeder gefunden Theorie, sei es der alten oder der neuen
Welt, aushielte? Ist das Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts? Gewiß
nicht, aber es ist, um einen Kunstausdruck zu gebrauchen, "strategische Defensive
auf den innern Linien," und zwar echte strategische Defensive von bester Qualität.
Merkwürdigerweise hat Herr Dr. Delbrück, selbst nachdem er auf diesen Unter¬
schied hingewiesen worden ist, denselben sich nicht zu eigen zu machen gewußt.

Keineswegs ist es eine kleine Gruppe von Fachmännern, welche erst in
neuester Zeit entdeckt hat, daß Friedrich sich in seiner Kriegführung weit über
sein Jahrhundert erhebt. In einer aus dem Jahre 1869 herrührenden Arbeit
eines höhern Offiziers findet sich ausgeführt, daß Friedrich im siebenjährigen


Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.

zum andern legend, allmählich zu einer Summe zu gelangen, welche der Gegner
in diesem Pfennigspiel wiederzugewinnen schließlich keine Aussicht mehr hat.
Die logische Devise dieser Strategie ist: strategische Offensive, taktische Defensive.

Aus dieser Abneigung gegen die taktische Offensive, die man als sichere
Thatsache auch beim Gegner voraussetzt, entspringt dann das wundersame und
künstliche Manövriren, entspringen alle die „Jalousien," „Anbragen," „Diver¬
sionen" und wie die strategischen Vogelscheuchen alle heißen; es entspringt daraus
das System, welches — nach des berühmtesten lebenden Strategen Wort —
mehr das Terrain als den Feind berücksichtigend, alle Verbindungen decken will
und daher alle Punkte besetzen muß.

Das ist die Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts. Und das soll
auch die Weise König Friedrichs gewesen sein? Nun und nimmermehr!

Ein einmaliges Durchlesen seiner „Instruktion an Meine Generals" genügt,
um auf das klarste zu zeigen, daß die Kriegführung nach seiner Auffassung
sich nicht nur dem Grade nach von der eben geschilderten unterschied, sondern
daß sie dieser völlig entgegengesetzt war. Alle militärischen Schriften des Königs
sind von dem Geiste der den Gegner vernichtenden Offensive erfüllt. Aber sie sollen
hier als unbekannt oder ungeschrieben vorausgesetzt werden, nur die Ereignisse
sollen reden.

Da sehen wir denn im Jahre 1767, also zu Beginn der großen Züge des
siebenjährigen Krieges, Friedrich mit einer Feldarmee von etwa 160000 Mann
und etwa 50000 Mann Hilfstruppen einer Gesamtheit von über 400000
Feinden gegenüber, welche von allen Himmelsgegenden auf ihn eindringen. Daß
unter diesen Umständen nicht von einem Stoß ins Herz der österreichischen
Monarchie die Rede sein konnte, ist ohne weiteres klar. Es galt also, das
Ziel zu beschränken, die Größe des Kriegstheaters, d. h. des zu behauptenden
Raumes, den gegebenen Mitteln anzupassen und dasselbe dadurch zu behaupten,
daß Friedrich über jeden Gegner, der darin einzudringen versucht, herfällt, ihn
so rasch als möglich mit einem vernichtenden Schlage ans längere Zeit unschäd¬
lich zu machen sucht und so das Zusammenwirken der getrennten Gegner ver¬
hindert. Widerspricht nun diese Beschränkung des Zieles irgendeinem Grundsatz,
der nicht die Prüfung jeder gefunden Theorie, sei es der alten oder der neuen
Welt, aushielte? Ist das Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts? Gewiß
nicht, aber es ist, um einen Kunstausdruck zu gebrauchen, „strategische Defensive
auf den innern Linien," und zwar echte strategische Defensive von bester Qualität.
Merkwürdigerweise hat Herr Dr. Delbrück, selbst nachdem er auf diesen Unter¬
schied hingewiesen worden ist, denselben sich nicht zu eigen zu machen gewußt.

Keineswegs ist es eine kleine Gruppe von Fachmännern, welche erst in
neuester Zeit entdeckt hat, daß Friedrich sich in seiner Kriegführung weit über
sein Jahrhundert erhebt. In einer aus dem Jahre 1869 herrührenden Arbeit
eines höhern Offiziers findet sich ausgeführt, daß Friedrich im siebenjährigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156492"/>
          <fw type="header" place="top"> Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_938" prev="#ID_937"> zum andern legend, allmählich zu einer Summe zu gelangen, welche der Gegner<lb/>
in diesem Pfennigspiel wiederzugewinnen schließlich keine Aussicht mehr hat.<lb/>
Die logische Devise dieser Strategie ist: strategische Offensive, taktische Defensive.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_939"> Aus dieser Abneigung gegen die taktische Offensive, die man als sichere<lb/>
Thatsache auch beim Gegner voraussetzt, entspringt dann das wundersame und<lb/>
künstliche Manövriren, entspringen alle die &#x201E;Jalousien," &#x201E;Anbragen," &#x201E;Diver¬<lb/>
sionen" und wie die strategischen Vogelscheuchen alle heißen; es entspringt daraus<lb/>
das System, welches &#x2014; nach des berühmtesten lebenden Strategen Wort &#x2014;<lb/>
mehr das Terrain als den Feind berücksichtigend, alle Verbindungen decken will<lb/>
und daher alle Punkte besetzen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_940"> Das ist die Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts. Und das soll<lb/>
auch die Weise König Friedrichs gewesen sein?  Nun und nimmermehr!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_941"> Ein einmaliges Durchlesen seiner &#x201E;Instruktion an Meine Generals" genügt,<lb/>
um auf das klarste zu zeigen, daß die Kriegführung nach seiner Auffassung<lb/>
sich nicht nur dem Grade nach von der eben geschilderten unterschied, sondern<lb/>
daß sie dieser völlig entgegengesetzt war. Alle militärischen Schriften des Königs<lb/>
sind von dem Geiste der den Gegner vernichtenden Offensive erfüllt. Aber sie sollen<lb/>
hier als unbekannt oder ungeschrieben vorausgesetzt werden, nur die Ereignisse<lb/>
sollen reden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_942"> Da sehen wir denn im Jahre 1767, also zu Beginn der großen Züge des<lb/>
siebenjährigen Krieges, Friedrich mit einer Feldarmee von etwa 160000 Mann<lb/>
und etwa 50000 Mann Hilfstruppen einer Gesamtheit von über 400000<lb/>
Feinden gegenüber, welche von allen Himmelsgegenden auf ihn eindringen. Daß<lb/>
unter diesen Umständen nicht von einem Stoß ins Herz der österreichischen<lb/>
Monarchie die Rede sein konnte, ist ohne weiteres klar. Es galt also, das<lb/>
Ziel zu beschränken, die Größe des Kriegstheaters, d. h. des zu behauptenden<lb/>
Raumes, den gegebenen Mitteln anzupassen und dasselbe dadurch zu behaupten,<lb/>
daß Friedrich über jeden Gegner, der darin einzudringen versucht, herfällt, ihn<lb/>
so rasch als möglich mit einem vernichtenden Schlage ans längere Zeit unschäd¬<lb/>
lich zu machen sucht und so das Zusammenwirken der getrennten Gegner ver¬<lb/>
hindert. Widerspricht nun diese Beschränkung des Zieles irgendeinem Grundsatz,<lb/>
der nicht die Prüfung jeder gefunden Theorie, sei es der alten oder der neuen<lb/>
Welt, aushielte? Ist das Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts? Gewiß<lb/>
nicht, aber es ist, um einen Kunstausdruck zu gebrauchen, &#x201E;strategische Defensive<lb/>
auf den innern Linien," und zwar echte strategische Defensive von bester Qualität.<lb/>
Merkwürdigerweise hat Herr Dr. Delbrück, selbst nachdem er auf diesen Unter¬<lb/>
schied hingewiesen worden ist, denselben sich nicht zu eigen zu machen gewußt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_943" next="#ID_944"> Keineswegs ist es eine kleine Gruppe von Fachmännern, welche erst in<lb/>
neuester Zeit entdeckt hat, daß Friedrich sich in seiner Kriegführung weit über<lb/>
sein Jahrhundert erhebt. In einer aus dem Jahre 1869 herrührenden Arbeit<lb/>
eines höhern Offiziers findet sich ausgeführt, daß Friedrich im siebenjährigen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Die methodische Kriegführung Friedrichs des Großen. zum andern legend, allmählich zu einer Summe zu gelangen, welche der Gegner in diesem Pfennigspiel wiederzugewinnen schließlich keine Aussicht mehr hat. Die logische Devise dieser Strategie ist: strategische Offensive, taktische Defensive. Aus dieser Abneigung gegen die taktische Offensive, die man als sichere Thatsache auch beim Gegner voraussetzt, entspringt dann das wundersame und künstliche Manövriren, entspringen alle die „Jalousien," „Anbragen," „Diver¬ sionen" und wie die strategischen Vogelscheuchen alle heißen; es entspringt daraus das System, welches — nach des berühmtesten lebenden Strategen Wort — mehr das Terrain als den Feind berücksichtigend, alle Verbindungen decken will und daher alle Punkte besetzen muß. Das ist die Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts. Und das soll auch die Weise König Friedrichs gewesen sein? Nun und nimmermehr! Ein einmaliges Durchlesen seiner „Instruktion an Meine Generals" genügt, um auf das klarste zu zeigen, daß die Kriegführung nach seiner Auffassung sich nicht nur dem Grade nach von der eben geschilderten unterschied, sondern daß sie dieser völlig entgegengesetzt war. Alle militärischen Schriften des Königs sind von dem Geiste der den Gegner vernichtenden Offensive erfüllt. Aber sie sollen hier als unbekannt oder ungeschrieben vorausgesetzt werden, nur die Ereignisse sollen reden. Da sehen wir denn im Jahre 1767, also zu Beginn der großen Züge des siebenjährigen Krieges, Friedrich mit einer Feldarmee von etwa 160000 Mann und etwa 50000 Mann Hilfstruppen einer Gesamtheit von über 400000 Feinden gegenüber, welche von allen Himmelsgegenden auf ihn eindringen. Daß unter diesen Umständen nicht von einem Stoß ins Herz der österreichischen Monarchie die Rede sein konnte, ist ohne weiteres klar. Es galt also, das Ziel zu beschränken, die Größe des Kriegstheaters, d. h. des zu behauptenden Raumes, den gegebenen Mitteln anzupassen und dasselbe dadurch zu behaupten, daß Friedrich über jeden Gegner, der darin einzudringen versucht, herfällt, ihn so rasch als möglich mit einem vernichtenden Schlage ans längere Zeit unschäd¬ lich zu machen sucht und so das Zusammenwirken der getrennten Gegner ver¬ hindert. Widerspricht nun diese Beschränkung des Zieles irgendeinem Grundsatz, der nicht die Prüfung jeder gefunden Theorie, sei es der alten oder der neuen Welt, aushielte? Ist das Kriegführung des achtzehnten Jahrhunderts? Gewiß nicht, aber es ist, um einen Kunstausdruck zu gebrauchen, „strategische Defensive auf den innern Linien," und zwar echte strategische Defensive von bester Qualität. Merkwürdigerweise hat Herr Dr. Delbrück, selbst nachdem er auf diesen Unter¬ schied hingewiesen worden ist, denselben sich nicht zu eigen zu machen gewußt. Keineswegs ist es eine kleine Gruppe von Fachmännern, welche erst in neuester Zeit entdeckt hat, daß Friedrich sich in seiner Kriegführung weit über sein Jahrhundert erhebt. In einer aus dem Jahre 1869 herrührenden Arbeit eines höhern Offiziers findet sich ausgeführt, daß Friedrich im siebenjährigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/221>, abgerufen am 21.06.2024.